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Der Koalitionsvertrag aus arbeitsrechtlicher Sicht: Welche Rechtsänderungen sind zu erwarten?

CDU/CSU und SPD haben sich am 9.4.2025 auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, der nunmehr auch die Zustimmung der jeweiligen Parteigremien bzw. Mitglieder gefunden hat. Der Beitrag beleuchtet die wichtigsten arbeitsrechtlichen Handlungsfelder der neuen Bundesregierung, die für Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen von Bedeutung sind.

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1. Höchstarbeitszeit (Zeilen 558, 559)

„Deshalb wollen wir im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen.“

Erste Einordnung:

Bereits im Koalitionsvertrag der sog. Ampel-Koalition im Jahr 2021 war eine Flexibilisierung der Tageshöchstarbeitszeit angestrebt worden. Das Vorhaben wurde nicht umgesetzt. Der jetzige Ansatz geht darüber hinaus. Die konkrete Ausgestaltung soll im Ergebnis eines Dialogs mit den Sozialpartnern erfolgen. Es wäre zu begrüßen, wenn die starren Vorgaben im deutschen Arbeitszeitrecht flexibilisiert und die Spielräume der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG vom 4. November 2003 genutzt werden würden.

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2. Arbeitszeiterfassung (Zeilen 561 ff)

„Wir werden die Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten unbürokratisch regeln und dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln vorsehen. Die Vertrauensarbeitszeit bleibt ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich.“

Erste Einordnung:

Der EuGH-hat mit Urteil vom 14.5.2019, „CCOO“, C-55/18, ECLI:EU:C:2019:402 und anschließend das BAG mit Beschluss vom 13.9.2022 – 1 ABR 22/21 die Pflicht des Arbeitgebers zu einer umfassenden Arbeitszeitaufzeichnung festgestellt. Der Gesetzentwurf des BMAS aus dem Jahr 2023 zur Umsetzung dieser Entscheidungen ist in der ministeriellen Abstimmung „stecken geblieben“.  

Mit der nunmehr vorgesehenen Neuregelung wird ein neuer Anlauf zur Umsetzung der Rechtsprechung unternommen, in dem die bisher wahlweise bestehenden Möglichkeiten der Zeiterfassung europarechtskonform eingeschränkt werden.

Die sich beim unbefangenen Lesen des Koalitionsvertrag aufdrängende Vorstellung, eine Vertrauensarbeitszeit könne von der Aufzeichnungspflicht ausgenommen werden, steht im Widerspruch zur Rechtsprechung und der Fachliteratur. Insoweit bleibt die gesetzliche Umsetzung abzuwarten.

Nach hier vertretener Auffassung sind Arbeitgeber gut beraten, die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten bereits gegenwärtig ausnahmslos zu erfassen, und sich auf eine elektronische Aufzeichnungspflicht vorzubereiten. 

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3. Anreize für die Beschäftigung von Rentnern (Zeilen 613 ff)

Bei freiwilliger Arbeit nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters soll ein Gehalt bis zu 2.000,00 EUR monatlich steuerfrei sein. Eine sachgrundlos befristete Beschäftigung bei dem früheren Arbeitgeber soll durch Aufhebung des sogenannten Vorbeschäftigungsverbotes im Teilzeit- und Befristungsgesetz ermöglicht werden.

Erste Einordnung:

Die Koalitionäre dürften an den Dialogprozess „Arbeit und Rente“ des BMAS und der Formulierungshilfe der Bundesregierung aus dem September 2024 anknüpfen. Da auch befristete Arbeitsverträge mit Rentnern eines Sachgrundes bedürfen, dürfte die Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung die Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber deutlich erleichtern. Erst die Kombination beider Maßnahmen kann – insb. im öffentlichen Dienst – die erhoffte Wirkung zeitigen.

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4. Steuerliche Begünstigung der Mehrarbeit (Zeilen 569 ff, 1466 ff)

Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, sollen steuerfrei gestellt werden. Als Vollzeitarbeit soll dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden gelten. Daneben sollen Prämien an Arbeitnehmer als Anreiz zur Ausweitung ihrer Teilzeitarbeit steuerfrei gestellt werden.

Erste Einordnung:

Das Vorhaben wirft eine Vielzahl komplexer Fragen auf, sodass die konkrete Ausgestaltung abzuwarten bleibt. Soweit allein Vollzeitarbeitnehmer (definiert durch einen fiktiven und niedrigen Schwellenwert) begünstigt werden sollen, dürfte eine europarechtskonforme Umsetzung eine große Herausforderung darstellen (siehe bspw. EuGH vom 19.10.2023, Az. C-660/20, BAG vom 5.12.2024, Az. 8 AZR 370/20).

Auf den ersten Blick fällt die freiwillige wöchentliche Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit – Teil A, Ziff. 3, Buchst. b – aus der Tarifeinigung von Bund und VKA vom 6.4.25 nicht unter diese Regelung; aber auch insoweit bleiben die gesetzliche und tarifliche Ausgestaltung abzuwarten.

5. Mindestlohn (Zeilen 551 ff)

„Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“

Erste Einordnung

Der Koalitionsvertrag beschreibt lediglich das Prozedere der Mindestlohnkommission und beinhaltet eine als möglich eingeschätzte Erwartung, dass es im Jahr 2026 zu einer Erhöhung auf 15,00 Euro kommen kann.

Der Abgleich mit den tarifvertraglich vereinbarten Stundensätze des TVöD verdeutlicht die finanzielle Dimension für Arbeitgeber: So liegt in der EntgGr. 1 der tarifliche Stundenlohn erst ab Mai 2025 und ab Stufe 3 über dieser Erwartung (Prognose auf der Basis der Tarifeinigung vom 6.4.2025); für den Geltungsbereich des TV-L bleibt die Einkommensrunde abzuwarten.

6. Bürokratieabbau

Darüber hinaus enthält der Koalitionsvertrag weitere Absichtserklärungen wie bspw. zum Wegfall des Schriftformerfordernisses bei Befristungen (Zeilen 339, 340), der Einführung des Once-Only- Prinzips in der Sozialverwaltung (Zeilen 475 ff), zu einer digitalen A 1-Bescheinigung sowie einem schnelleren Statusfeststellungsverfahren (Zeilen 492 ff, 466 ff).  

7. Weitere Vorhaben

Einige, insbesondere umstrittene Gesetze, die auch einen arbeitsrechtlichen Bezug aufweisen, sollen evaluiert werden. Dazu gehören bspw. das Cannabisgesetz (Zeilen 2858, 2589) sowie das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (Zeilen 3320 ff).

Zur Prävention vor psychischen Erkrankungen sollen alle „nötigen“ Instrumente des Arbeitsschutzes auf ihre Wirksamkeit geprüft werden (Zeilen 482 ff). Das Vorhaben wird nicht weiter konturiert, sodass konkrete Vorhaben abzuwarten bleiben.

Darüber hinaus finden sich im Koalitionsvertrag weitere Vorhaben, die nicht für alle Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes gleichermaßen von Bedeutung sind, jedoch Ausstrahlungswirkung entfalten könnten. Dazu gehören u. a.

  • Anstrengungen zur Modernisierung des Dienstrechts auf Bundesebene (Zeilen 1846 ff),

  • die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (Zeilen 2426 ff), Maßnahmenbündel zur Verbesserung der Karrierewege in der Wissenschaft (Zeile 2427) sowie

  • die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes (Zeilen 577 ff) mit der Ermöglichung von Online-Betriebsratssitzungen und -Betriebsversammlungen sowie einem digitalen Zugangsrecht von Gewerkschaften.

8. Zu guter Letzt – Was der Koalitionsvertrag nicht aufgegriffen hat

Zwei große Themen wurden leider nicht in Angriff genommen:  

Das deutsche Urlaubsrecht bedarf einer grundlegenden Anpassung an die Rechtsprechung des EuGH (und in der Folge des BAG). Wie auch auf anderen Rechtsgebieten drängt sich die Frage auf, ob der Gesetzgeber das Urlaubsrecht nunmehr vollumfänglich und dauerhaft der europäischen und deutschen Rechtsprechung überlassen will, was einen ausufernden Verwaltungsaufwand zur Folge hat.

Die Entgelttransparenz-Richtlinie vom 10.5.2023 muss bis zum 7.6.2026 in nationales Recht umgesetzt werden; sie gibt verbindliche Maßnahmen zur Durchsetzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit einschließlich zahlloser Berichtspflichten vor. Zumindest eine Absichtserklärung der Koalitionäre, dieses neue „Bürokratiemonster" auf europäischer Ebene nochmals zu thematisieren und seine Umsetzung in das nationale Recht auf die rechtlichen Mindeststandards zu reduzieren und für den öffentlichen Dienst bundesweit einheitlich zu regeln, wäre wünschenswert gewesen.

Annette Salomon-Hengst
Referatsleiterin, Ministerium des Innern und für Kommunales, Land Brandenburg
(Die Autorin ist in Nebentätigkeit tätig. Die Inhalte spiegeln ausschließlich ihre persönliche Auffassung wider.)

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