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Grundsatzentscheidung des BAG zur Fortwirkung von Entscheidungen im Fall von Wiedereinstellungen – Stufenzuordnung

Das Bundesarbeitsgericht nimmt dezidiert zur Addition von einschlägiger Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-L sowie erstmals zur Fortwirkung von Ermessensentscheidungen gem. § 16 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 2a TV-L bei späteren Wiedereinstellungen (Rechtsprechungsänderung) Stellung. Daneben enthält die Entscheidung bemerkenswerte Aussagen zur korrigierenden Rückstufung und zu den Folgen einer wiederholten Zahlbarmachung einer „unzutreffenden Stufe“.

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BAG vom 20.2.2025 – 6 AZR 108/24

Die wichtigsten Orientierungssätze (redaktionell bearbeitet)

  1. Wird ein Beschäftigter, bei dessen Ersteinstellung einschlägige Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L zu berücksichtigen war, von seinem Arbeitgeber wieder eingestellt und ist dabei abermals einschlägige Berufserfahrung zu berücksichtigen, ist die Stufenzuordnung nicht isoliert allein nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L vorzunehmen. Vielmehr fließt in die neue Stufenzuordnung auch die nach Satz 3 bei der Ersteinstellung berücksichtigte einschlägige Berufserfahrung weiter ein. § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-L sind kumulativ anzuwenden.

  2. Die Anerkennung förderlicher Zeiten nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L sowie die Stufenmitnahme nach § 16 Abs. 2a TV-L sind nur bei der erstmaligen Begründung eines Arbeitsverhältnisses zulässig. Etwas anders gilt allenfalls, wenn zwischen den Arbeitsverhältnissen eine schädliche Unterbrechung von mehr als 6 Monaten liegt.

  3. Werden Vortätigkeiten gem. § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L bzw. § 16 Abs. 2a TV-L anerkannt, „wandeln“ sich diese in Zeiten einschlägiger Berufserfahrung um, die bei einer gleichartigen Wiedereinstellung zu berücksichtigen sind.

  4. Aus der Zahlung eines Entgelts aus einer Entgeltstufe, die die nach § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-L erreichte Stufe maßgeblich übersteigt, darf der Beschäftigte nur dann auf eine zu seinen Gunsten erfolgte (und bindende) Ermessensausübung schließen, wenn er Anhaltspunkte für eine derartige Ermessensentscheidung des Arbeitgebers hat.

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Sachverhalt

Der Kläger war 7 Jahre als Hausmeister an der Freien Universität Berlin (KdöR) tätig und erhielt zuletzt eine Vergütung nach der EntgGr. 5 Stufe 5. Im Jahr 2019 wechselte er als Hausmeister nahtlos zum Land Berlin und wurde in der Folge auf der Basis mehrerer Arbeitsverträge als Hausmeister in der EntgGr. 5 beschäftigt. Abweichend von der Erst- und den vorherigen Wiedereinstellungen wurde der Hausmeister bei seiner letzten, hier streitgegenständlichen Wiedereinstellung im Jahr 2022 statt der Stufe 5 nur der Stufe 3 zugeordnet. Das Land Berlin war u. a. der Auffassung, ausschließlich die beim Land Berlin erworbene einschlägige Berufserfahrung anerkennen zu müssen. Es lagen zwischen allen Arbeitsverhältnissen unschädliche Unterbrechungen vor.

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Die Entscheidung

Das BAG hat entschieden, dass die Stufenzuordnungsregelungen in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-L keine selbstständigen, in sich geschlossenen Regelungen sind, sondern ineinandergreifen und in einem Wechselspiel miteinander stehen.

Wird ein Beschäftigter, bei dessen erster Einstellung einschlägige Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L zu berücksichtigen war, ohne schädliche Unterbrechung (beim selben Arbeitgeber) wiedereingestellt und ist dabei einschlägige Berufserfahrung zu berücksichtigen, ist die Stufenzuordnung nicht isoliert nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L vorzunehmen. Für die neue Stufenzuordnung ist die nach Satz 3 bei der seinerzeitigen Ersteinstellung angerechnete einschlägige Berufserfahrung „fortzuschreiben“, d. h., die Zeiten sind dann zu „addieren“. Erst im Zusammenspiel beider Regelungen wird die in früheren Arbeitsverhältnissen erworbene einschlägige Berufserfahrung, die dem aktuellen Arbeitgeber unmittelbar zugutekommt, zutreffend honoriert.

Das bedeutet für den entschiedenen Fall: Es war nicht nur die beim Land Berlin ab dem Jahr 2019 jeweils erworbene einschlägige Berufserfahrung, sondern auch die bei der FU Berlin erworbene einschlägige Berufserfahrung, die gem. § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L seinerzeit im Umfang von 3 Jahren anrechenbar war, hinzuzurechnen. Damit wäre der Beschäftigte bei der letzten Wiedereinstellung immerhin mindestens der Stufe 4 (plus Restzeiten) zuzuordnen gewesen.

Aufgrund des nicht ausermittelten Sachverhalts konnte das BAG die Rechtmäßigkeit der vorhergehenden Zuordnungen zur Stufe 5 nicht entscheiden und hat dem Landesarbeitsgericht für seine abschließende Entscheidung zahlreiche rechtliche Hinweise gegeben, die von grundsätzlicher Bedeutung sind.

  • Sollte bei der Ersteinstellung des Klägers beim Land Berlin im Jahr 2019 § 16 Abs. 2 Satz 4 oder Abs. 2a TV-L zur Anwendung gekommen sein, wirkt diese Entscheidung in gesetzeskonformer Auslegung der Tarifnorm – § 4 Abs. 2 Satz 3 TzBfG – im Fall gleichartiger Wiedereinstellungen ohne schädliche Unterbrechung fort. Diese Zeiten stehen insoweit den Zeiten einschlägiger Berufserfahrung gleich. Damit hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung, dass über die Anerkennung förderlicher Zeiten oder die Berücksichtigung von Zeiten gem. § 16 Abs. 2a TV-L bei jeder Einstellung/Wiedereinstellung neu zu entscheiden ist, aufgegeben. Das bedeutet für den entschiedenen Fall: Hat das Land Berlin bei der Ersteinstellung des Klägers im Jahr 2019 eine Ermessensentscheidung gem. § 16 Abs. 2 Satz 4 oder Abs. 2a TV-L getroffen, bleibt es an diese Wertung bei den nachfolgenden Wiedereinstellungen gebunden, da es sich ausschließlich um gleichartige und gleichwertige Wiedereinstellungen ohne schädliche Unterbrechung handelte. Auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Ermessensnormen zum Zeitpunkt der Wiedereinstellung kommt es nicht an.

  • Ferner ändert der Senat seine Rechtsprechung und judiziert, dass die Anerkennung förderlicher Zeiten nach § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L bzw. die Anerkennung von Zeiten gem. § 16 Abs. 2a TV-L nur bei der erstmaligen (!) Begründung eines Arbeitsverhältnisses möglich ist.

  • Für den nicht auszuschließenden Fall einer fehlerhaften Stufenzuordnung des Klägers bei der Ersteinstellung im Jahr 2019 (und den nachfolgenden Wiedereinstellungen) bekräftigt das BAG seine Rechtsprechung, dass eine fehlerhafte Stufenzuordnung aufgrund eines Irrtums über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen einer Ermessensnorm im Wege der einseitigen korrigierenden Rückstufung rückwirkend (zur Ersteinstellung im Jahr 2019) beseitigt werden kann.

  • Schließlich präzisierte das BAG eine frühere Entscheidung und stellte fest, dass ein Beschäftigter (hier der Kläger) allein aus dem Umstand einer Überzahlung nicht ohne Weiteres den Schluss ziehen könne, der Arbeitgeber habe zu seinen Gunsten eine der o. a. Ermessensnormen angewandt (und sich damit gebunden). Hierfür bedarf es weiterer Anhaltspunkte.

Was die Entscheidung für Personalsachbearbeiter bedeutet, welche Auswirkungen die Rechtsprechungsänderungen bzw. -präzisierungen auf Stufenzuordnungen in der Vergangenheit haben lesen Sie in Breier/Dassau TVöD PLUS Aktuelles.

Annette Salomon-Hengst

Die Verfasserin ist Referatsleiterin für Tarifrecht des Landes Brandenburg. Der Beitrag gibt ausschließlich ihre persönliche Ansicht wieder.

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