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VKA-Angebot in den Tarifverhandlungen für die Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Kliniken

Seit dem 18.6.2024 finden Tarifverhandlungen für die ca. 61.000 Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Kliniken statt. Auch nach fünf Verhandlungsrunden kam keine Einigung zustande. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund hat inzwischen eine Urabstimmung eingeleitet, um ihre Mitglieder über zeitlich unbefristete Arbeitskampfmaßnahmen zu befragen. Der Beitrag soll einen Überblick über den Kontext dieses Tarifkonfliktes und den aktuellen Verhandlungsstand geben.

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Nur ein Jahr nach der letzten Tarifeinigung zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und der Ärztegewerkschaft Marburger Bund finden seit Juni 2024 erneut Verhandlungen für die Ärztinnen und Ärzte an den kommunalen Krankenhäusern statt. Nach inzwischen fünf Verhandlungsrunden darf man sich fragen, warum es noch nicht zu einer Einigung gekommen ist.

Forderungen der Gewerkschaften

Wo kommen wir also her? Eine Woche vor Beginn der Verhandlungen hatte die Große Tarifkommission des Marburger Bundes Forderungen für die Tarifrunde 2024 zum TV‑Ärzte/VKA beschlossen. Der Marburger Bund fordert ab dem 1.7.2024 insbesondere:

  • die Erhöhung der Tabellenentgelte um 8,5 Prozent bei einer Laufzeit von einem Jahr,
  • grundlegende Änderungen der Regelungen von Schicht- und Wechselschichtarbeit, einschließlich der Erhöhung des Tabellenentgelts bei Arbeit außerhalb eines Zeitkorridors von 7:30 Uhr bis 18:00 Uhr,
  • die Erhöhung der Bereitschaftsdienstentgelte und der Rufbereitschaftspauschale.
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Rahmenbedingungen

Schon auf den ersten Blick erscheint es aus der Welt gefallen, dass die Gewerkschaft eine Entgelterhöhung von 8,5 Prozent ab dem 1.7.2024 fordert, obwohl am 1.4.2024 erst eine Entgelterhöhung von 4 Prozent erfolgte. Wohlgemerkt: seit dem Monat der Forderungsbekanntgabe liegt die Inflation dauerhaft unter drei Prozent, phasenweise sogar unter zwei Prozent. Dass hierzu die geforderte Entgeltsteigerung in vielfacher Höhe nicht passt, liegt auf der Hand; von den strukturellen Forderungen ganz zu schweigen.

Hohe Forderungen könnten dann nachvollziehbar sein, wenn ein Unternehmen oder eine ganze Sparte hohe Gewinne einfährt, an denen die Arbeitnehmer partizipieren sollen. Wie sieht also die wirtschaftliche Lage der kommunalen Krankenhäuser aus? Um ein Gefühl für die finanziellen Möglichkeiten der kommunalen Krankenhäuser zu bekommen, muss man etwas tiefer einsteigen: Die Krankenhauspreise können pro Jahr höchstens um den so genannten Veränderungswert steigen. Die Erlösentwicklung bleibt davon zwar unberührt. Da die Krankenhäuser aber nur mit sehr geringen Erlössteigerungen kalkulieren können, kann man tatsächlich mit diesen Einnahmen „nicht rechnen“. Wie kommt man nun zu diesem für die Finanzierung der Krankenhäuser so wichtigen Veränderungswert? Der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Orientierungswert spiegelt die Personal- und Sachkostenentwicklungen im Krankenhausbereich wider. Maßgeblich für die Umsetzung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität ist die so genannte Veränderungsrate, die vom Bundesministerium für Gesundheit festgestellt wird. Diese gibt die Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen an. Unterschreitet der Orientierungswert die Veränderungsrate entspricht der Veränderungswert der Veränderungsrate, ansonsten muss über die Höhe des Veränderungswerts verhandelt werden. Um die Komplexität etwas zu reduzieren: Der Veränderungswert für das Jahr 2024 betrug 5,13 Prozent. Der Veränderungswert für das Jahr 2025 beträgt 4,41 Prozent. Das ist also der finanzielle Rahmen, mit dem die Krankenhäuser rechnen können. Dass zu diesen Möglichkeiten eine Entgeltforderung 8,5 Prozent nicht passt, ist evident. Denn bereits die Summe der Entgelterhöhung vom 1.4.2024 und der geforderten Erhöhung ab dem 1.7.2024 liegt über der Summe der Veränderungswerte der Jahre 2024 und 2025. Und dabei sind die strukturellen Forderungen noch überhaupt nicht berücksichtigt. Das gesamte Forderungspaket schlägt abhängig von der konkreten Schichtmodellen mit über 20 Prozent zu Buche. In Worten: 20 Prozent!

An dieser Stelle könnte man an eine weitere Finanzquelle denken, nämlich den Umstand, dass die Kommunen in der Vergangenheit immer wieder die Defizite ihrer Krankenhäuser ausgeglichen haben. Aber hierbei ist zu beachten, dass die Kommunen hierfür an den Gesamtkuchen ihrer finanziellen Mittel heranmüssen. Das Geld fehlt also an anderer Stelle. Das Schließen eine Finanzlücke des Krankenhauses geht zu Lasten anderer kommunaler Leistungen, wie zum Beispiel der Kita, der Bibliothek, dem öffentlichen Nahverkehr etc. pp. Man kann bezweifeln, dass derart gesamtheitliche Überlegungen bei der Forderungsfindung des Marburger Bundes eine Rolle spielten. Aber diese Überlegungen dürfen die kommunalen Vertreter schlichtweg nicht aus den Augen verlieren und müssen sie auch immer wieder in die Verhandlungen einbringen; so, wie dies auch geschieht.

Hinweis: Am 22.11.2024 passierte das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) den Bundesrat. Die sich aus diesem Gesetz ergebenden Änderungen in der (Re)Finanzierung konnten in den Verhandlungen (wegen der zeitlichen Abfolge) nicht berücksichtigt werden und werden das auch hier nicht.

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Verhandlungsstand

Die fünfte Verhandlungsrunde mündete in ein Angebot der Arbeitgeberseite. Das VKA-Angebot beinhaltete insbesondere:

  • eine Pauschale von 500 Euro für die Zeit bis Ende März 2025 und
  • eine Steigerung der Entgelte um insgesamt 5,5 Prozent während der 30-monatigen Laufzeit.

Offensichtlich hatte man mit dem Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie, in der wenige Tage vor der fünften Verhandlungsrunde zwischen Marburger Bund und VKA einen Pilotabschluss erzielt wurde, eine wichtige Benchmark in den Blick genommen.

Wesentliche Elemente dieses Abschlusses waren

  • eine Pauschale von 600 Euro für die Zeit bis Ende März 2025 und
  • eine Steigerung der Entgelte um insgesamt 5,1 Prozent während der 25-monatigen Laufzeit.

Das VKA-Angebot bewegt sich aber nicht nur in der aktuellen Tariflandschaft, sondern es schöpft die oben genannten Veränderungswerte schon fast aus. Hinzu kam im Angebot der VKA noch die Erhöhung des Zeitzuschlags für Nachtarbeit (§ 11 Abs, 1 Satz 2 Buchstabe b TV-Ärzte/VKA) von 15 auf 20 Prozent.

Der Marburger Bund sieht in dem Angebot der VKA aber kein Angebot, das in die gegenwärtige Tarifwelt passt. Nein er vermutet „eine Provokation, die zudem den Eindruck erweckt, dass die Ärztinnen und Ärzte […] zur Flucht aus der kommunalen Versorgung gedrängt werden sollen“ (Quelle: Pressemitteilung des Marburger Bundes vom 19.11.2024).

Wenn Sie sich fragen sollten, warum das Angebot neben der Entgelterhöhung nur noch die Erhöhung des Nachtzuschlags enthielt, so sei ein Blick in die Verhandlungshistorie gestattet: In den ersten vier Runden lag der Fokus auf den strukturellen, insbesondere den arbeitszeitlichen Themen. So wurde die komplette vierte Verhandlungsrunde dafür genutzt, über Modelle zum Zusatzurlaub zu verhandeln. Die betroffenen Zusatzurlaubstage entstehen aktuell bei Schicht- und Wechselschichtarbeit. Wenn das System der Wechselschicht nach Wunsch des Marburger Bundes grundlegend überarbeitet, ggf. sogar abgeschafft werden soll, braucht es anderer Ansätze, um die Arbeit zu wechselnden Tageszeiten durch Zusatzurlaubstage zu würdigen. Hier hat die Arbeitgeberseite Vorstellungen des Marburger Bundes aufgegriffen und eigene Ideen entwickelt und vorgestellt. So ging das über zwei lange und intensive Verhandlungstage. In der fünften Verhandlungsrunde hat die VKA gegenüber dem Marburger Bund ein eigenes Rechenmodell zum Zusatzurlaub aufgegriffen und mit konkreten Tariftexten vorgestellt. Zudem spielten in der dritten, vierten und fünften Runde der Verhandlungen Zeitzuschläge eine wichtige Rolle. Und warum sind diese Themen dann nicht Teil des Angebots geworden? Der starke Fokus auf die Gruppe der Ärztinnen und Ärzte in Schicht- und Nachtarbeit habe nach Aussage der VKA zwangsläufig dazu geführt, dass im vorgeschlagenen Gesamtpaket weniger Geld für allgemeine Gehaltssteigerungen verfügbar war. „Im Ergebnis wollte der Marburger Bund über unseren Vorschlag dann nicht so diskutieren, dass er in unser offizielles Angebot hätte einfließen können“, so der Verhandlungsführer der VKA (Quelle: Pressemitteilung der VKA vom 19.11.2024).

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Ausblick

Das Ergebnis der Urabstimmung de Marburger Bundes soll noch vor Weihnachten vorliegen. Der Marburger Bund wird sodann über die daraus folgenden Maßnahmen informieren. Um auch in der Zwischenzeit den Druck auf die VKA aufrecht zu erhalten, seien seit Mitte November Warnstreiks an den kommunalen Krankenhäusern möglich (Quelle: Pressemitteilung des Marburger Bundes vom 19.11.2024). Ganz klar: Streik ist das gute Recht einer Gewerkschaft. Aber das Augenmaß muss dabei gewahrt bleiben. Einen ersten Eindruck des Agierens des Marburger Bundes konnte man dadurch gewinnen, dass als erstes das Krankenhaus bestreikt wurde, dem der Verhandlungsführer der VKA als Geschäftsführer vorsteht. Diese „Personalisierung“ eines Streiks lässt dieses Augenmaß vollends vermissen und stellt einen Tiefpunkt dar. Soll ein gezielt ausgewähltes Krankenhaus „abgestraft“ werden, weil sein Geschäftsführer seit fünf Verhandlungsrunden versucht, eine Einigung in einem Tarifkonflikt zu erreichen? Man darf sich fragen, welchen Teil des Wortes „Sozialpartnerschaft“ die für diesen Streik Verantwortlichen des Marburger Bundes nicht verstanden haben.

Dr. Wolfgang Spree
Geschäftsführer der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA)

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