In diesem Beitrag ist die Hauptgeschäftführerin des KAV Baden-Württemberg, Frau Sylvana Donath, auf die praktischen Bedeutung des Urteils des Bundesarbeitsgericht zur Gefahr von Kettenbefristungen eingegangen, sowie zur Frage hinsichtlich des institutionellen Rechtsmissbrauchs bei Befristungen.
Urteil des BAG vom 29.2.2024 – 8 AZR 187/23
Leitsätze:
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Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Daraus folgt ein grundrechtsgleiches Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl für jedes öffentliche Amt (sogenannter Bewerbungsverfahrensanspruch). Zu den öffentlichen Ämtern iSv. Art. 33 Abs. 2 GG zählen nicht nur Beamtenstellen, sondern auch Stellen, die ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes mit Arbeitnehmern zu besetzen beabsichtigt (Rn. 16).
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Öffentliche Arbeitgeber treffen im Rahmen ihrer Organisationsgewalt diejenigen Vorentscheidungen, die zur Existenz eines öffentlichen Amtes führen. Es besteht kein subjektives Recht auf Ausbringung einer bestimmten Planstelle. Der Dienstherr entscheidet nach organisatorischen Bedürfnissen und Möglichkeiten über die Einrichtung und nähere Ausgestaltung von Dienstposten (Rn. 17).
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Die Entscheidung, eine ausgeschriebene Stelle nur befristet zu besetzen, ist Teil der dem Auswahlverfahren nach Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsentscheidung. Das gilt auch für die Entscheidung, Bewerber vom Auswahlverfahren auszuschließen, bei denen eine weitere Sachgrundbefristung wegen der Gesamtdauer der befristeten Arbeitsverträge und/oder der Anzahl der Verlängerungen nach der Rechtsprechung des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts die Gefahr eines institutionellen Rechtsmissbrauchs begründet (Rn. 18 ff.).
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Öffentliche Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, ihr Organisationsermessen in einer Weise auszuüben, die sie dem Vorwurf des institutionellen Rechtsmissbrauchs aussetzt (Rn. 26).
TVöD/TV-L PRO
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Der Fall
Die Beklagte, eine Universität, hatte im Januar 2022 eine Stelle einer technischen Assistenz am Institut für Pathologie für interne und externe Bewerber ausgeschrieben. Die Stelle war nach der Ausschreibung auf zwei Jahre befristet mit der Option auf Verlängerung.
Der schwerbehinderte Kläger war seit dem 19. April 2010 bei der Beklagten auf der Grundlage von mehreren befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt. Nachdem sich der Kläger auf die ausgeschriebene Stelle bewarb, beantragte der Leiter des Pathologischen Instituts die Umsetzung des Klägers auf die angestrebte Stelle bei der Personalabteilung. Diese lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis an der Universität dem Kläger aufgrund der Vorbeschäftigungszeiten nicht mehr zumutbar sei. Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm könne nicht entgegengehalten werden, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund von Kettenbefristungen möglicherweise nicht mehr wirksam befristet werden könne. Da er der am besten geeignete Bewerber sei, folge sein Anspruch auf die Stelle aus Art. 33 Abs. 2 GG.
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die von ihr ausgeschriebene Stelle einer technischen Assistenz mit dem Kläger zu besetzen.

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Die Entscheidung des Gerichts
Die Klage hatte in allen drei Instanzen keinen Erfolg. Das BAG begründet seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt.

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1. Bewerbungsverfahrensanspruch und Organisationshoheit des öffentlichen Arbeitgebers
Der Bewerbungsverfahrensanspruch nach Art. 33 Abs. 2 GG steht im Verhältnis zum Organisationsermessen öffentlicher Arbeitgeber zurück.
Vorentscheidungen, die zur Existenz eines verfügbaren öffentlichen Amtes führen, unterfielen der Organisationsgewalt des staatlichen Rechtsträgers; ein subjektives Recht auf Ausbringung einer bestimmten Planstelle bestehe daher nicht.
Die verfassungsrechtlich gewährleistete exekutive Organisationsgewalt ermächtigt den öffentlichen Dienstherrn, die personelle Ausstattung nach den organisations- und verwaltungspolitischen Bedürfnissen zu gestalten. Wie eine Personalstelle zugeschnitten werde und welche Anforderungen demgemäß der Bewerbungsauswahl zugrunde zu legen sei, obliege dem organisatorischen Ermessen des Dienstherrn.
Eine Stelle befristet zu besetzen und Bewerber auszunehmen, mit denen eine weitere Befristung die Gefahr eines institutionellen Rechtsmissbrauchs begründet würde, sei Teil der dem Auswahlverfahren nach Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsentscheidung.
Nach den Ausführungen des BAG stehe es der Beklagten daher frei, eine Stelle aufgrund eines Sachgrundes im Sinne von § 14 Abs. 1 TzBfG nur befristet zu besetzen. Wäre der öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, auch solche Bewerbungen in die Auswahl einzubeziehen, bei denen die naheliegende Möglichkeit eines institutionellen Rechtsmissbrauchs besteht, wäre die Entscheidung für eine befristete Besetzung in keiner Weise rechtssicher umsetzbar.

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2. Keine Pflicht zum Eingehen rechtsunsicherer Befristungen
Das BAG erkannte im zugrundeliegenden Fall keine besonderen Umstände, aus denen ersichtlich wäre, dass der Beklagte die Befristung der ausgeschriebenen Stelle im konkreten Einzelfall aus unsachlichen Gründen vorgesehen habe. Insbesondere lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die ausgeschriebene Stelle befristet worden sei, um zu verhindern, dass sich der Kläger oder bestimmte andere Personen mit Erfolg auf die Stelle bewerben können.
Ist ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG gegeben, lasse erst das erhebliche Überschreiten der Grenzwerte den Schluss auf eine missbräuchliche Gestaltung zu. Zur Bestimmung der Schwelle eines institutionellen Rechtsmissbrauchs sei die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen maßgeblich. Liegt ein Sachgrund vor, könne von der Befristung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch gemacht werden, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreiten würde und zudem nicht mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart worden seien, es sei denn, die Gesamtdauer übersteige acht Jahre oder es wären mehr als zwölf Vertragsverlängerungen vereinbart worden. Erst dann sei eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten.
Das BAG stellte im vorliegenden Fall fest, dass bei Eingehen eines weiteren auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrages, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger länger als acht Jahre befristet gewesen wäre. Aufgrund der Gesamtdauer der Befristung (die bereits einen Rechtsmissbrauch indiziert) wäre im Fall einer Befristungskontrollklage des Klägers eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten gewesen.
3. Keine Selbstbindung durch Inklusionsvereinbarung
Laut BAG bedarf es im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob eine Selbstbindung des Arbeitgebers aufgrund der dort geltenden Inklusionsvereinbarung in Betracht komme. Aus dieser ergebe sich keine Selbstbindung des Arbeitgebers in Bezug auf seine Einstellpraxis, schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen in die Auswahl, um eine befristete Stelle auch dann einzubeziehen, wenn die naheliegende Möglichkeit einer rechtsmissbräuchlichen Sachgrundbefristung gegeben sei.
Sylvana Donath
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