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Erschwerniszuschläge und die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien

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Das BAG beschäftigt sich in diesem Urteil mit der Frage, für welche Erschwernisse Zuschläge gewährt werden können und in welchem Umfang eine Willkürkontrolle seitens des Gerichts stattfinden muss.

BAG vom 23.07.2023 – 6 AZR 256/22

Leitsätze

  1. Mit Ausnahme der Zuschläge für die Arbeitsleistung während der tarifvertraglich definierten Nachtzeit können die Tarifvertragsparteien in den Grenzen des Willkürverbots frei regeln, für welche Erschwernisse sie in welcher Weise und Höhe einen Zuschlag gewähren wollen.

  2. Bei der Willkürkontrolle wird von den Arbeitsgerichten nur geprüft, ob objektive Willkür vorliegt, d. h., ob die Tarifnorm im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, die sie regeln soll, objektiv unangemessen ist. Die nach dem Willen der Tarifvertragsparteien für die Ausgestaltung der Tarifregelung maßgeblichen Gründe müssen sich insoweit weder ausdrücklich noch durch Auslegung dem Tarifvertrag entnehmen lassen.

Der Fall

Der Kläger begehrte die Zahlung von Erschwerniszuschlägen für das Tragen und Heben von Musikinstrumenten.

Der Kläger ist als Orchesterwart beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist aufgrund der Regelung in § 23 Abs. 1 TVÜ-VKA weiterhin der für Baden-Württemberg bezirklich vereinbarte 5. Tarifvertrag über die Zahlung von Erschwerniszuschlägen an Arbeiter vom 25.10.1965 (TVEZ) anwendbar. Dieser Tarifvertrag regelt in rund 300 Einzelpositionen die Zahlung von Zuschlägen. Nach § 2 Abs. 1 TVEZ sind diese Zuschläge abschließend. § 2 Abs. 2 TVEZ normiert ein Analogieverbot. In § 21 Positionen Nr. 828 und Nr. 829 sind Zuschläge für das Tragen von Cembali, Flügeln, Harmonien und Klavieren festgelegt. Der Kläger begehrte die Zahlung der Zuschläge auch für das Tragen von Hammerklavieren, Elektro-Pianos, Truhenorgeln und Cembalos. Streitbefangen war außerdem, ob auch das Heben von Instrumenten zuschlagspflichtig ist. Die Klage hatte nur bezüglich dieses Streitgegenstands Erfolg.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG hat zunächst geprüft, ob von § 21 Positionen 828, 829 TVEZ auch das Tragen anderer Instrumente als der darin ausdrücklich aufgezählten umfasst ist. Wenig überraschend hat es verneint, dass es sich insoweit nur um die die beispielhafte Aufführung von Instrumenten i.S.v. Oberbegriffen handelt. Nach einem Exkurs in die musikwissenschaftliche Einordnung der in § 21 Positionen 828, 829 TVEZ genannten und der streitbefangenen Instrumente (Rn. 26–28) hat es entscheidend auf den in § 2 Abs. 1 Satz 3 TVEZ unmissverständlich deutlich gewordenen Willen der Tarifvertragsparteien abgestellt, die Erschwerniszuschläge abschließend zu regeln. Aus demselben Grund hat es die analoge Anwendung der Tarifbestimmung auf die streitbefangenen Instrumente abgelehnt. Es fehle an der dafür erforderlichen unbewussten Regelungslücke. Die Tarifvertragsparteien hätten ein höchst ausdifferenziertes und in sich geschlossenes Zuschlagssystem schaffen wollen und hätten das mit § 2 TVEZ in nicht zu überbietender Deutlichkeit klargestellt. Eine Schließung dieser bewussten Regelungslücke durch die Arbeitsgerichte sei daher nur möglich, wenn der TVEZ nachträglich lückenhaft geworden wäre. Ungeachtet seines beträchtlichen Alters von knapp 60 Jahren sei das jedoch nicht der Fall. Alle streitbefangenen Instrumente seien bereits 1965 bekannt gewesen.

Das BAG hat die Ansicht des Klägers bestätigt, auch das Auf- bzw. Absetzen der in § 21 Positionen 828 und 829 TVEZ genannten Instrumente auf ein Podium sei ein „Tragen“ im tariflichen Sinn und darum zuschlagspflichtig. Vom Wortsinn dieses Begriffs und dem Zweck des Erschwerniszuschlags sei auch das Heben als vertikales Befördern von einer Stelle zu einer anderen umfasst.

Bis hierhin bewegte sich das BAG in den eingefahrenen Bahnen einer Tarifauslegung. Der Schwerpunkt und die Bedeutung der Entscheidung liegt in der dann folgenden Prüfung, ob die bewusste Entscheidung der Tarifvertragsparteien, nur für das Tragen der vier in § 21 Positionen 828 und 829 TVEZ genannten Instrumente einen Zuschlag vorzusehen, gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Das hat der 6. Senat des BAG verneint.

Der 6. Senat hält zunächst an seiner zuletzt in der Entscheidung vom 19.12.2019 (6 AZR 563/18) ausführlich entwickelten Auffassung von einer mittelbaren Bindung auch der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes an den Gleichheitssatz und den insoweit bestehenden Spielräumen der Normgeber fest (Rn. 37–38). Neuland betritt er dann mit der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs auf Erschwerniszuschläge. Insoweit hat er sich auf eine bloße Willkürkontrolle beschränkt. Es bleibe den Tarifvertragsparteien überlassen, welche Erschwernisse sie wie ausgleichen wollten. Insoweit handele es sich um weitgehend der gerichtlichen Kontrolle entzogene tarifpolitsche Wertungen. Offenkundig hätten die Tarifvertragsparteien mit der streitbefangenen Regelung typisierend nach der Üblichkeit der im gewöhnlichen Theaterbetrieb verwendeten Instrumente differenzieren wollen. Das sei nicht willkürlich. Der 6. Senat hat von diesem Prüfungsmaßstab allerdings im Anschluss an die Rechtsprechung des 10. Senats zu Differenzierungen bei Nachtzuschlägen (seit 9.12.2020 – 10 AZR 334/20; vgl. auch 22.3.2023 – 10 AZR 553/20) Nachtarbeitszuschläge ausgenommen, weil insoweit die Tarifvertragsparteien durch § 6 Abs. 5 ArbZG in gewissem Maß inhaltlich gebunden seien.

Das bedeutet die Entscheidung für Sie:

Die Entscheidung macht deutlich, dass der 6. Senat den Tarifvertragsparteien bei Erschwerniszuschlägen als Kernbereich der ihnen vom Gesetzgeber übertragenen Aufgabe der Lohnfindung maximale Spielräume lässt und die durch Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Kontrolle auf Willkür und damit auf ein Mindestmaß beschränkt.

Die Ausführungen zur Tarifauslegung bestätigen die ständige Rechtsprechung des BAG.

Karin Spelge
Vorsitzende Richterin am BAG

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