rehm-verlag   Online-Produkte öffnen

Newsübersicht < Newsbeitrag

Hauptstadtzulage Berlin – arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz und gewährende Staatstätigkeit

Bei einer einseitigen Zuwendung durch den Gesetzgeber an die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes handelt es sich um eine „gewährende Staatstätigkeit“, bei der er einen besonders weiten Gestaltungsspielraum hat. Die Gerichte haben daher nicht zu prüfen, ob bei Begrenzung des begünstigten Personenkreises die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gewählt wurde. Die Beschränkung der Hauptstadtzulage Berlin auf bestimmte Entgeltgruppen war daher wirksam.

Jetzt bewerten!

BAG, Urteil vom 19. Dezember 2024 – 6 AZR 209/23

Sponer † / Steinherr † / Donath / Kapitza † / Wollensak

TVöD/TV-L PRO

Ihr Tarifrechtsexperte mit Kommentar, Rechtsprechung, Fachthemen, Praxisfällen, Arbeitshilfen und Webinaren

Vierteljahrespreis‎ 627,00 €
Online-Produkt

Der Fall

Die Klägerin ist als Schulleiterin für das beklagte Land tätig. Sie ist in die Entgeltgruppe 15 eingruppiert. In § 74a der für Berlin geltenden Fassung des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG BE) legte das beklagte Land fest, dass Beamte bis einschließlich der Besoldungsgruppe A 13 eine monatliche Haushaltszulage von 150,00 € Zug um Zug gegen den Verzicht auf den Zuschuss für ein Ticket des öffentlichen Nahverkehrs erhalten. Nach § 74a Abs. 8 BBesG BE „kann den Arbeitnehmern des Landes in entsprechender Anwendung … eine Hauptstadtzulage gewährt werden“. Mit Rundschreiben vom 9. September 2020 erklärte der Finanzsenator des beklagten Landes sein Einverständnis mit der Zahlung einer außertariflichen Hauptstadtzulage an alle Beschäftigten der unmittelbaren Landesverwaltung bis einschließlich der Entgeltgruppe 13. Die Klägerin war damit nicht anspruchsberechtigt. Sie war der Auffassung, dass der Ausschluss der oberen Entgeltgruppen gleichheitswidrig sei und hat daher die Zahlung der Zulage für November 2020 bis Januar 2022 eingeklagt. Die Klage hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg, wurde aber vom Landesarbeitsgericht abgewiesen. Das BAG hat diese Entscheidung bestätigt.

18469-HJR-Website2023-04-RZ-Newsletter.webp

Beste Antworten.

Newsletter Arbeits- und Tarifrecht

Regelmäßig erscheinender Newsletter zu den Neuigkeiten aus den Bereichen Arbeitsrecht und Tarifrecht des öffentlichen Dienstes sowie Empfehlungen zu neuen Produkten, Webinaren und Quizzen.

Die Entscheidung

Das BAG verneint zunächst eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Dieser Grundsatz ist inzwischen gewohnheitsrechtlich anerkannt und übertragt im Ergebnis die Grundsätze des Art. 3 Abs. 1 GG in das Arbeitsverhältnis. Er verpflichtet den Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer gleichzubehandeln, wenn er eigenes Recht setzt. Darum kann dieser Grundsatz keine Anwendung finden, wenn der Arbeitgeber nur Recht anwenden will, das von anderen Normgebern geschaffen ist. Dann liegt ein – ggf. nur vermeintlicher – Normvollzug vor und es fehlt an dem für die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes unerlässlichen „gestaltenden Verhalten“ des Arbeitgebers. So lag der Fall hier: Das beklagte Land hatte, wie die Auslegung des Rundschreibens ergab, zwar eine gestaltende Entscheidung hinsichtlich des „ob“ getroffen – die Zulage sollte nicht nur an Beamte, sondern auch an Tarifbeschäftigte gezahlt werden. Hinsichtlich des „wie“ – welche Tarifbeschäftigte sollen die Zulage in welcher Höhe erhalten – fehlte es jedoch am erforderlichen Gestaltungswillen. Die Verwaltung sah sich vielmehr an die Vorgaben des Gesetzes, das die Zulage nur bis zur Besoldungsgruppe A 13 auswarf, gebunden und hat dies inhaltsgleich auf die Tarifbeschäftigten übertragen wollen.

Damit war der Fall jedoch noch nicht zu Ende. Die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gebietet nämlich in der vorliegenden Konstellation eine Rechtskontrolle auch untergesetzlicher Bestimmungen. Darum hat das BAG § 74a Abs. 8 BBesG BE dahin ausgelegt, dass damit das Land verpflichtet wird, bei der durch diese Bestimmung zugelassenen Zahlung an der Zulage an die Tarifbeschäftigten die Begrenzung bei den Beamten auf die Besoldungsgruppe A 13 zu beachten, die Zulage also nur wirkungsgleich, nicht aber verbessernd an die Tarifbeschäftigten zu zahlen. Damit war § 74a Abs. 8 BBesG BE als Gesetz unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Dieser Kontrolle hielt die Vorschrift stand, weil die Zahlung der Zulage an Beamte und Tarifbeschäftigte die Ausübung sog. „gewährender Staatstätigkeit“ ist, also einer Staatstätigkeit, bei der der Staat Zahlungen an seine Bürger erbringt. In diesem Bereich kommen ihm deutlich größere Spielräume zu als bei der beschränkenden Staatstätigkeit. Die Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob die Zuwendung – gemessen an ihrem Zweck – unsachlich verteilt wird. Das war hier nicht der Fall. Die Zulage soll die Attraktivität des beklagten Landes als Arbeitgeber, gerade im Vergleich zu den Bundesbehörden steigern. Zudem sollte eine soziale Komponente einfließen. Es liegt in der Entscheidungshoheit des Landes, die angestrebte Erhöhung seiner Attraktivität auf bestimmte Entgeltgruppen zu beschränken und umgekehrt in Kauf zu nehmen, in den von der Zulage ausgeschlossenen Entgeltgruppen kein Personal mehr gewinnen (oder halten) zu können.

Bloggerbilder_Hoffmann-Schmid_Stoerer_min.png

Blog Arbeits- Tarif- und Personalvertretungrecht

Prof. Dr. Boris Hoffmann und Dr. Erik Schmid

Unsere Experten bereiten für Sie Informatives zu aktuellen Fällen anschaulich auf, schildern den Sachverhalt, beleuchten die Entscheidung und liefern ein Fazit inkl. Praxistipp für Ihre tägliche Arbeit.

Einordnung der Entscheidung

Mit den Ausführungen zum arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bewegt sich das BAG in eingefahrenen Bahnen und hat lediglich die ständige Rechtsprechung bestätigt, wonach Normvollzug die Anwendung dieses Grundsatzes ausschließt. Wäre es dabei stehengeblieben, könnten öffentliche Arbeitgeber ihr Handeln einer gerichtlichen Kontrolle entziehen: Der Gesetzgeber ermächtigt sie, bestimmte Regelungen zu treffen, damit ist die Umsetzung dieser Ermächtigung Normvollzug und unterliegt nicht dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Hat dann die Ermächtigung als solche keinen kontrollfähigen Inhalt, kann das kombinierte Handeln der Legislative und Exekutive von den Gerichten als der Dritten Gewalt nicht inhaltlich auf seine Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG geprüft werden. Ein solches Verständnis widerspricht jedoch dem durch Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutz. Darum hat das BAG § 74a Abs. 8 BBesG BE inhaltlich „aufgeladen“, dieser Bestimmung eine Verpflichtung der Exekutive durch die Legislative entnommen, bei der Umsetzung der Ermächtigung Vorgaben zu beachten, und sich so die Möglichkeit eröffnet, die Differenzierung nach Entgeltgruppen bei der Gewährung der Zulage an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Allerdings musste es dabei beachten, dass im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit besonders große Einschätzungsspielräume des Gesetzgebers bestehen. Nur darum hat die Beschränkung auf die unteren Entgeltgruppe der Kontrolle am verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz standgehalten. Eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG war daher nicht erforderlich.

Karin Spelge
Vorsitzende Richterin am BAG

Weiterlesen für mehr Informationen? Den ganzen Beitrag finden Sie in der Contentbox „Aktuelles zur Personalarbeit". Diese ist Bestandteil mehrerer rehm eLine Produkte.

quiz-icon-orange-freigestellt_100px.png

Quizze zum Arbeits- und Tarifrecht

1. Personalamt Schultz – Helfen Sie Herrn Schultz mit Ihrem Fachwissen und klären Sie spannende arbeits- und tarifrechtliche Fragen!

2. Arbeitsrecht im öD ist trocken? Sie bereiten sich in Ihrem Studium gerade darauf vor? Vertiefen Sie Ihr Wissen – Lernen leicht gemacht!

rehm-Campus_Stoerer-Bild_Bildschirm.png

Für mehr Wissen.

Fortbildungen im Arbeits- und Tarifrecht

Profitieren Sie von unseren neuen informativen und praxisorientierten eLearning-Fortbildungen im rehm Campus. Lernen Sie zeitlich flexibel und ortsunabhängig. Erleben Sie Fortbildung neu!

Sie sind nicht eingeloggt
Bitte benachrichtigen Sie mich bei neuen Kommentaren.
Ihr Kommentar erscheint unter Verwendung Ihres Namens. Weitere Einzelheiten zur Speicherung und Nutzung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
0 Kommentare zu diesem Beitrag
SX_LOGIN_LAYER