Unter welchen Voraussetzungen eine Unterrichtstätigkeit als selbstständige/r Dozentin bzw. Dozent erbracht werden kann.
Liebe Leserin, lieber Leser,
den meisten von Ihnen dürfte das sogernannte „Herrenbergurteil“ ein Begriff sein. Das Bundessozialgericht hatte in seiner Entscheidung vom 28.6.2022, Az. B 12 R 3/20 R insoweit festgestellt, dass die Arbeitsbedingungen an Musikschulen – so wie sie in der Regel strukturiert sind – keine echte Selbständigkeit für dort tätige Musikschullehrerinnen und -lehrer bedeuten, sondern eine abhängige Beschäftigung, welche der Sozialversicherungspflicht unterliege.
Der Bundesgesetzgeber hat auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts reagiert und zunächst mit § 127 Abs. 1 SGB IV eine bis zum 31.12.2025 geltende Übergangsregelung geschaffen. So kann eine potentielle Versicherungspflicht erst ab dem 1.1.2027 eintreten, wenn
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die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind und
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die Person, die die Lehrtätigkeit ausübt, zustimmt.
Hinweis! Wie es danach weitergeht, ist aktuell noch offen. Allerdings wurde im aktuellen Koalitionsvertrag Folgendes zwischen den Regierungsparteien vereinbart:
„Wir werden das Statusfeststellungsverfahren zügig im Interesse von Selbstständigen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Unternehmen schneller, rechtssicherer und transparenter machen, zum Beispiel auch mit Blick auf die Auswirkungen des Herrenberg-Urteils. Scheinselbstständigkeit wollen wir verhindern (Rz. 468-470).“
Nunmehr hat sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 10.12.2024, Az. 2 Ta 5/241 mit der Definition des „arbeitsrechtlichen“ Arbeitnehmerbegriffs auseinandergesetzt.
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Der Entscheidung lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin ist seit September 2013 bei der Beklagten als Dozentin an unterschiedlichen Orten tätig, insbesondere in H., M., S. und T. Bei der Beklagten handelt es sich um eine private Anbieterin auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung. Sie bietet an 55 Standorten („Schulen“) in Deutschland sowie online ein breites Spektrum an Seminaren sowie Aus- und Weiterbildungen, insbesondere im Bereich der Naturheilkunde, an.
Die Beklagte schreibt nach Ort, Zeit und Thema konkret definierte Unterrichtseinheiten in den von ihr angebotenen Themengebieten in einem Online-Dozentenportal zum sogenannten „Optieren“ aus. Dozenten aus einem „Dozentenpool“ können sich hierauf bewerben. Die zuständige Fachabteilung der Beklagten prüft sodann die „Optierungen“ und erteilt für die jeweils betroffene und in sich geschlossene Unterrichtseinheit den singulären Lehrauftrag.
Zu den einzelnen Themengebieten besteht jeweils ein sogenannter „Curriculum“, in dem zunächst die relevanten Leitlinien des Bundesministeriums für Gesundheit dem Dozierenden dargestellt werden.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 24.5.2024 kündigte die Beklagte „sämtliche an die Klägerin vergebenen Lehraufträge fristlos. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung „des Arbeitsverhältnisses“.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hielt den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ArbGG bereits für nicht eröffnet, da das Vertragsverhältnis nicht als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren gewesen sei.

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Das sind die wesentlichen Entscheidungsgründe des Gerichts:
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Die Kriterien zu Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines selbständigen Unternehmers/Mitarbeiters/Dozenten ergäben sich aus § 611a Abs. 1 BGB, der eine Legaldefinition des Arbeitsvertrags enthalte und damit zusammenhängend regele, wer Arbeitnehmer ist.
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Ein Arbeitsverhältnis unterscheide sich danach von dem Rechtsverhältnis eines selbstständig Tätigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit des Verpflichteten.
Hinweis! Arbeitnehmer/in ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.
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Könne die Dozentin oder der Dozent einer privaten Heilpraktikerschule sich auf die in einem Dozentenportal ausgeschriebenen Kurse nach ihrer/seiner freien Entscheidung bewerben und würden sodann nach Zeit, Ort und Inhalt konkret benannte Einzelaufträge für Lehreinheiten vereinbart, liege regelmäßig kein Arbeitsverhältnis vor.
Damit war die Beschwerde der Beklagten insgesamt stattzugeben.

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Wer an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet, ist in der Regel Arbeitnehmer, auch wenn die Tätigkeit nebenberuflich ausgeübt wird. Dagegen können etwa Volkshochschuldozentinnen und -dozenten sowie Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, oder Lehrkräfte, die nur Zusatzunterricht erteilen, als freie Mitarbeiter/innen beschäftigt werden, wie das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg bestätigt hat.
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Der Begriff des Arbeitnehmers und der des sozialversicherungsrechtlich Beschäftigten sind nicht deckungsgleich. Auch dann, wenn die Dozentin/der Dozent an einer Heilpraktikerschule nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (s. o.) sozialversicherungsrechtlich als Beschäftigte/r anzusehen wäre, folgt hieraus nicht automatisch die Arbeitnehmereigenschaft.
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Um zu vermeiden, dass Dozierende der Sozialversicherungspflicht unterfallen, sollte von der in § 127 Abs. 1 SGB IV enthalten Möglichkeit durch eine entsprechende individuelle Vereinbarung Gebrauch gemacht werden.
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
1 ZTR 2025, 153.
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