Der Streit über den tarifvertraglichen Begriff des Arbeitsvorgangs geht weiter
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
eine solche Situation gibt es sicherlich nicht häufig. Nachdem der 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts seine Rechtsprechung kontinuierlich zum großen einheitlichen Arbeitsvorgang weiterentwickelt hat und zudem die Gewerkschaften nicht bereit waren, sich diesbezüglich in der letzten Tarifrunde an den Verhandlungstisch zu setzen, hat die TdL gemeinsam mit dem Land Berlin die Reißleine gezogen und ist den Weg zum Bundesverfassungsgericht angetreten. Der Ausgang des Verfahrens ist dort noch völlig offen. Die Beschwerdeführer fühlen sich durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in ihrem verfassungsgemäßen Recht als Tarifvertragsparteien verletzt. Ob das Bundesverfassungsgericht dieser Auffassung folgt, bleibt abzuwarten.
Aktuell durfte ich zu dieser Thematik bereits einen Beitrag von Markus Geyer als stellvertretender Geschäftsführer der TdL lesen, welcher im Oktoberheft der Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes (ZTR) veröffentlicht wird.
Der Dissens zwischen der Auffassung der Arbeitgeber und des Bundesarbeitsgerichts und den Gewerkschaften
Hintergrund des Streits ist das unterschiedliche Verständnis des in § 12 TV-L und § 12 TVöD VKA/Bund verwandten Begriffs des Arbeitsvorganges. So ist die Arbeitgeberseite der Auffassung, dass der kleinste bei natürlicher und vernünftiger Betrachtungsweise abgrenzbare Teil der gesamten Tätigkeit des Beschäftigten für die tarifrechtliche Bewertung der Tätigkeit maßgeblich sei also eine „Molekularisierung“ der Gesamttätigkeit vorzunehmen sei und jeweils ein konkreter, mit einem konkreten Arbeitsergebnis endender Arbeitsanfall einen Arbeitsvorgang bilde. Dementsprechend strahle anspruchsvollere Tätigkeiten innerhalb des jeweils abgrenzbaren Arbeitsvorgangs auch nur auf diesen Arbeitsvorgang und damit nicht auf die Gesamttätigkeit des Beschäftigten aus. Damit sei die Auffassung der Bundesarbeitsgerichts und der Gewerkschaften nicht vereinbar, die beim Begriff des Arbeitsvorgangs für alle Berufsgruppen auf eine „Verklumpung“ sämtlicher Tätigkeiten bestehen würden.
Historische Betrachtung der Tarifentwicklung
Der Beitrag von Geyer ist unter anderem deshalb für alle Rechtsanwender von besonderem Interesse, da er die gesamte Tarifhistorie zu § 12 TV-L und § 12 TVöD VKA/Bund aufarbeitet. Insoweit beschäftigt sich der Autor etwa mit der Kündigung des BAT zum 31.12.1969 und seiner (unvollständigen) Wiederinkraftsetzung zum 1.11.1973 genauso, wie mit der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung des § 22 BAT a. F., die von den Arbeitgebervertretungen nicht zu akzeptieren gewesen sei und der damit einhergehenden Neuvereinbarung des § 22 BAT im 37. Änd.TV zum BAT vom 17.3.1975.
Aus meiner Sicht können die unterschiedlichen Rechtspositionen tatsächlich nur dann nachvollzogen werden, wenn die historische Ausgangslage auf dem Tisch liegt. Von daher ist der zu erwartenden Beitrag von Geyer absolut empfehlenswert.
Ich wünschen Ihnen eine schöne Zeit und verbleibe
mit herzlichen Grüßen
Ihr
Boris Hoffmann
1 BAG 9.9.2020 – 4 AZR 195/20 – ZTR 2020, 17 und BAG 9.9.2020 – 4 AZR 196/20 – juris.
