Eingruppierung einer Beschäftigten in einer Serviceeinheit eines Amtsgerichts
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
heute möchte ich Ihnen eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26.4.2023, Az. 4 AZR 275/201 zum Eingruppierungsrecht bzw. zum tarifrechtlichen Begriff des Arbeitsvorgangs vorstellen. Insoweit handelt es sich möglicherweise um den (in der Vergangenheit) umstrittensten Begriff des Tarifrechts im öffentlichen Dienst. Die Entscheidung folgt dem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9.9.2020, Az. 4 AZR 195/202 mit weiteren inhaltlichen Ausführungen. Die von der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und dem Land Berlin gegen die im Jahr 2020 getroffene Entscheidung des Gerichts eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 4.10.2022 – 1 BvR 382/213 zurückgewiesen. Demnach kann nunmehr davon ausgegangen werden, dass sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Begriff des Arbeitsvorgang weiter verfestigen wird.
Hinweis! Dies dürfte für Sie – auch im Hinblick auf die zukünftige Personalgewinnung – essentiell sein. Denn soweit Sie – wie der vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts – tendenziell im Rahmen einer natürlichen Betrachtungsweise mehrere Einzeltätigkeiten zu einem „großen“ Arbeitsvorgang zusammenfassen, wird die zu bewertende Stelle an sich häufig einer höherwertigen Entgeltgruppe zuzuordnen sein. Aber nun erstmal langsam und zu den Einzelheiten der Entscheidung.
Der Entscheidung lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin, die eine Ausbildung zur Justizangestellten absolviert hat, ist seit dem 1.8.1988 bei dem beklagten Land beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund einer dynamischen Bezugnahmeklausel der TV-L Anwendung. Die Klägerin ist seit dem 1.10.2002 am Amtsgericht Hamm als Geschäftsstellenverwalterin in einer Serviceeinheit für Zivilprozesssachen beschäftigt. Die für sie erstellte Tätigkeitsdarstellung und -bewertung vom 1.10.2002 hatte verschiedene Inhalte.3 Nach erfolgloser Geltendmachung mit Schreiben vom 2.8.2018 hat die Klägerin sodann mit ihrer Klage die Auffassung vertreten, seit dem 1.2.2018 habe sie Anspruch auf eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9 TV-L, da die Tätigkeit einer Geschäftsstellenverwalterin in einer Serviceeinheit einen einheitlichen Arbeitsvorgang bilde, innerhalb dessen sie zu 36,78 Prozent schwierige Tätigkeiten ausübe.
Das beklagte Land unterlag in allen drei Instanzen. Nachdem das Arbeitsgericht Hamm der Klage stattgegeben und das Landesarbeitsgericht Hamm die Berufung zurückgewiesen hat, bestätigte das Bundesarbeitsgericht die Rechtsauffassung der Vorinstanzen vollumfänglich.
Das Bundesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 TVöD/§ 12 Abs. 1 Satz 4 TV-L sei Bezugspunkt der tariflichen Bewertung der Arbeitsvorgang. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, seien eine natürliche Betrachtungsweise und die durch die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber vorgenommene Arbeitsorganisation ausschlaggebend.
Hinweis! Bei einer natürlichen Betrachtungsweise kann auch die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Einzeltätigkeiten können nur dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein auseinandergehalten und organisatorisch voneinander getrennt sind.
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Die Zusammenfassung wiederkehrender und gleichartiger Tätigkeiten diene der Praktikabilität. Sie verändere die Eingruppierung nicht, da sie nur gleichartige Tätigkeiten betreffe. Ob es einen Arbeitsvorgang gibt oder viele, die jeweils gleich zu bewerten seien, weil sie die gleichen Tätigkeiten erfordern, ziehe keine unterschiedliche Eingruppierung nach sich.
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Im Ergebnis liege hier daher lediglich ein einzelner Arbeitsvorgang vor, da die einzelnen der Klägerin übertragenen Tätigkeiten insgesamt dem Arbeitsergebnis der Betreuung der Aktenvorgänge in der Serviceeinheit vom Eingang bis zum Abschluss des Verfahrens dienen. Da zudem im Rahmen des Arbeitsvorgangs im rechtserheblichen Ausmaß schwierige Tätigkeiten anfielen, sei dieser der Entgeltgruppe 9 TV-L zuzuweisen.
Fazit für Sie!
Bei natürlicher Betrachtungsweise ist – in Abgrenzung zu einer wissenschaftlichen, juristischen oder persönlichen Betrachtung – nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darauf abzustellen, ob ein objektiver Außenstehender die einzelnen Tätigkeiten einem oder mehreren Arbeitsergebnissen zuordnen würde. Maßgebend ist daher, wie die Tätigkeit allgemein beschrieben und verstanden wird (also hier die Tätigkeit einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters in einer Serviceeinheit an einem Amtsgericht).
Das ist abhängig von der durch die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber vorgenommenen Arbeitsorganisation. Je universeller eine Aufgabenzuweisung erfolgt, desto wahrscheinlicher ist es, dass bei natürlicher Betrachtungsweise ein großer Arbeitsvorgang vorliegt. Dementsprechend hängt es von der Organisation der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers ab, in welchem Umfang Tätigkeiten zu einem eigenständigen Arbeitsergebnis führen.
Dies eröffnet für Sie die Möglichkeit, Tätigkeiten organisatorisch zu einem großen Arbeitsvorgang zusammenzufassen, um hiermit einen einheitlichen Arbeitsvorgang mit entsprechender (höherwertiger) Eingruppierung zu definieren.
Mit diesen Hinweisen verabschiede ich mich für heute aus dem herbstlichen aber sonnigen Glessen.
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
1 ZTR 2023, 512.
2 ZTR 2021, 71.
3 ZTR 2023, 28.
4 Zu den Einzelheiten s. ZTR 2023, 512.
