Warum die Vorlage einer kostenpflichtigen Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit zu einer wirksamen außerordentlichen Kündigung führen kann.
Liebe Leserin, lieber Leser,
in den aktuellen Pressemitteilungen bin ich über eine brandaktuelle und sehr interessante Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 5.9.2025, Az. 14 SLa 145/25 gestolpert. Das Gericht hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Vorlage einer Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit, die der Mitarbeiter kostenpflichtig im Internet erworben hatte, eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann.
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Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem Jahr 2018 zunächst als Trainee und sodann als IT-Consultant mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt in Höhe 5.450,00 EUR beschäftigt. Am 19.8.2024 meldete der Kläger sich bis zum 23.8.2024 als arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger füllte auf einer Website einen Fragebogen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten aus. Hierbei gab der Kläger u. a. seine Tätigkeit als Informatiker sowie Symptome von Unwohlsein, trockener Husten, Glieder- und Rückenschmerzen an. Zudem gab der Kläger an, welche Medikamente er aktuell zur Linderung der Beschwerden zu sich nahm. Ein Kontakt mit einem Arzt fand im Zusammenhang mit der Erstellung der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit weder persönlich, noch telefonisch, noch digital statt.
Einige Stunden nach dem Ausfüllen des Vordrucks erhielt der Kläger kostenpflichtig eine Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit übersandt. Die übersandte Bescheinigung entspricht optisch weitestgehend dem Vordruck, der vor Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Muster 1b als Ausfertigung zur Vorlage beim Arbeitgeber durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Papierform vorgesehen war.
Aus der Bescheinigung war u. a. die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit ersichtlich. Im Feld „Arzt-Nr.“ wies die Bescheinigung die Bezeichnung „Privatarzt“ aus. Darüber hinaus war eine WhatsApp- Nummer sowie eine E-Mail-Adresse angegeben.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 18.9.2024 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin.

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Das sind die wesentlichen Entscheidungsgründe:
Die gegen die ausgesprochenen Kündigungen fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage hatte in der zweiten Instanz keinen Erfolg. Denn das Arbeitsverhältnis sei durch die ausgesprochene außerordentliche Kündigung rechtswirksam beendet worden, so das Landesarbeitsgericht Hamm.
1. Wichtiger Grund
Die Kündigung beruhe auf einen wichtigen Grund. Das Verhalten des Klägers sei „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu bilden.
Durch die Vorlage der „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ habe der Kläger der Beklagten bewusst wahrheitswidrig suggeriert, es habe zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ein Kontakt mit einem Arzt stattgefunden. Dies stelle eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB dar, die aufgrund des damit verbundenen Vertrauensbruchs als „an sich“ wichtiger Grund nach § 6262 Abs. 1 BGB geeignet sei.
Hinweis! Unerheblich ist hierbei, ob der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig war oder davon ausging, tatsächlich arbeitsunfähig zu sein.1
Die Bescheinigung habe für einen unbefangenen Dritten den Eindruck erweckt, es handele sich um eine ärztliche Bescheinigung, die aufgrund eines ärztlichen Kontakts zustande gekommen sei. Damit habe der Kläger die Beklagte bewusst täuschen wollen. Hinzu komme, dass der Kläger sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen habe. Alleine dieses Erschleichen könne bereits einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen, insbesondere dann, wenn sich der Arbeitnehmer für den Zeitraum der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung gewähren lässt.2
Hinweis! Der Beweiswert der Bescheinigung des Klägers vom 21.8.2024 war wegen der Nichteinhaltung der in § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie idF. vom 7.12.2023 niedergelegten medizinischen Standards erschüttert.
2. Verhältnismäßigkeit und Interessenabwägung
Die außerordentliche Kündigung sei auch verhältnismäßig, da der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - nicht zumutbar gewesen sei. Insbesondere sei der Ausspruch einer Abmahnung im Hinblick auf die besondere Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich gewesen.
Da die Beklagte zudem auch die zweiwöchige materielle Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beachtet habe, habe die ausgesprochene außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß beendet.

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Fazit für Sie!
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Schwerwiegende Pflichtverletzungen im Vertrauensbereich können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
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Eine vorherige Abmahnung ist in diesen Fällen entbehrlich, wenn es sich um eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, so dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht zumutbar ist.
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
1 Zur Einreichung einer Impfunfähigkeitsbescheinigung, die entgegen des durch sie vermittelten Eindrucks ohne ärztliche Untersuchung zustande gekommen ist, siehe BAG 14.12.2023 – 2 AZR 55/23 = ZTR 2024, 155.
2 BAG 29.6.2017 – 2 AZR 597/16 = ZTR 2017, 677.
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