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Mit Bewerbungen Geld verdienen wollen, das kann daneben gehen!

Entschädigung wegen einer Benachteiligung wegen des Geschlechts in einem Bewerbungsverfahren und wann der Arbeitgeber einem Bewerber den Rechtsmissbrauchseinwand erfolgreich entgegenhalten kann

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Liebe Leserin, lieber Leser,

ich hoffe, dass Sie erfolgreich in das neue Jahr gestartet sind. Im Rahmen meines ersten Blogs im Jahr 2025 möchte ich Ihnen von einer Entscheidung des 8. Senats aus dem letzten Jahr berichten.1 Das Gericht musste sich mit einer Entschädigungsklage eines Bewerbers auseinandersetzen, der sich auf eine Benachteiligung wegen des Geschlechtes berief, nach dem er sich wiederholt auf ausgeschriebene Stellen für „Sekretärinnen“ beworben hatte.

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Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der im Jahr 1994 geborene Kläger bewarb sich in der Vergangenheit bei unterschiedlichen Arbeitgebern auf Stellenausschreibungen für eine „Sekretärin“. Anschließend führte er eine Reihe von Entschädigungsprozessen aufgrund einer behaupteten Benachteiligung wegen des Geschlechts. Der Kläger hat Abitur und ist ausgebildeter Industriekaufmann. Zum Zeitpunkt der Bewerbungen war er arbeitslos. Nach seinen eigenen Angaben absolvierte er ein Fernstudium zum Wirtschaftsjuristen (LL.M.).

Anfang des Jahres 2021 bewarb sich der Kläger auf eine auf dem Internet-Portal „eBay Kleinanzeigen“ ausgeschriebene Stelle für eine „Sekretärin“ bei einem Unternehmen in Schleswig-Holstein mittels der dort entsprechenden Chat-Funktion. Das Unternehmen betrieb eine Kfz-Werkstatt und veräußerte gebrauchte Fahrzeuge. Das „Bewerbungsschreiben“ hatte folgenden Inhalt:

„Hallo,

ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen.

Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die sie fordern.

Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle.

Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In Ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben. Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann.

Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.

Ich wäre ab sofort verfügbar.

Mit freundlichen Grüßen

Herr ...“

Das Unternehmen sagte dem Kläger unter dem Hinweis ab, dass ausschließlich eine Dame gesucht werde. Mit inhaltlich übereinstimmendem Erstanschreiben bewarb sich der Kläger anschließend bei weiteren Unternehmen in Düsseldorf, Nagold, Hamburg, Hagen und Berlin auf entsprechende Stellen als „Sekretärin“. Schließlich erhob er nach einer Bewerbung auf eine bei der Jobbörse Indeed geschaltete Stellenanzeige eines Dortmunder Unternehmens am 27.2.2023 beim Arbeitsgericht Dortmund Klage mit der er eine angemessene Entschädigung verlangte. Die Klage hatte in allen drei Instanzen keinen Erfolg.

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Das sind die wesentlichen Entscheidungsgründe des Gerichts:

  1. Es könne dahinstehen, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG erfüllt seien, da dem Anspruch der durchgreifende Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegenstehe.

  2. Rechtsmissbrauch sei anzunehmen, sofern sich die Person nicht beworben habe, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr allein darum ging, nur den formalen Status als Bewerber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen.2

  3. Die Feststellung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens verlange das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements. Dies bedeute Folgendes:

    Hinsichtlich des objektiven Elements müsse nachgewiesen werden, dass der Bewerber systematisch und zielgerichtet vorgehe, um sich einen auskömmlichen Gewinn durch Entschädigungsansprüche „zu erarbeiten“, ohne ein Interesse am Erhalt der ausgeschriebenen Stelle gehabt zu haben.

    In Bezug auf das subjektive Element muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte die Absicht ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden.

  4. Für das Vorliegen der Voraussetzungen, die gegenüber einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG den Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, sei der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet, wobei es immer einer Einzelfallbetrachtung bedürfe.

Letztlich ergab eine Abwägung aller Umstände, dass der Kläger sich rechtsmissbräuchlich verhalten hatte. So konnte das Gericht Umstände feststellen, die ein standardisiertes und methodisches Vorgehen des Klägers im Rahmen einer Vielzahl anderer Bewerbungsverfahren und nachfolgend geführter Entschädigungsprozesse belegen. Die daraus gezogene Schlussfolgerung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe sich bei der Beklagten allein in der Erwartung beworben, eine Absage zu erhalten und durch seine nachfolgende Entschädigungsforderung neben dem Bezug von Bürgergeld einen auskömmlichen „Gewinn“ zu haben, sei aus der Sicht des Bundesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden.

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Fazit für Sie!

  • Sie können nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass sich ein Bewerber rechtsmissbräuchlich verhält. Vielmehr bedarf es immer einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls.
  • Für das Vorliegen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens können unter anderem folgende Aspekte sprechen: Laufende und deutschlandweite Bewerbungen, Bewerbungen insbesondere auf offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschriebenen Stellen, provozierte Absagen, formelle Fehler im Bewerbungsverfahren, unzureichende Qualifikation im Hinblick auf das ausgeschriebene Anforderungsprofil.

Herzliche Grüße

Ihr Boris Hoffmann


1 BAG 19.9.2024 – 8 AZR 21/24 = EzA-SD 2025, Nr. 1, 7-10.
2 BAG 14.6.2023 – 8 AZR 136/22 = ZTR 2023, 657.

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