Grundsätze des institutionellen Rechtsmissbrauchs – wann von einem Rechtsmissbrauch ausgegangen werden kann und wann nicht.
Liebe Leserin, lieber Leser,
in meinem heutigen Blog zur Vorweihnachtszeit möchte ich mich mit einer aktuellen Entscheidung des LAG Niedersachen vom 8.7.2024, Az. 15 Sa 757/23 beschäftigen. Das Gericht musste sich mit der Rechtswirksamkeit eines mit dem Sachgrund der Vertretung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. TzBfG) befristeten Arbeitsverhältnisses auseinandersetzen.
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Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die spätere Klägerin war bei dem beklagten Land seit dem 15.11.2012 zunächst befristet bis zum 31.7.2013 als Teilzeitkraft mit der Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit einer Vollbeschäftigten beschäftigt. Die Klägerin wurde im Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten an der Universität V eingesetzt. Die Beschäftigung erfolgte für die Dauer der genehmigten Teilzeitbeschäftigung der Mitarbeiterin K. Das beklagte Land verlängerte das Arbeitsverhältnis insgesamt viermal entsprechend der jeweils genehmigten Verlängerung der Teilzeitbeschäftigung. Schließlich schlossen die Parteien unter dem 20.9.2021 einen weiteren Teilzeitarbeitsvertrag für den Zeitraum vom 1.1.2022 bis zum 30.9.2024 wegen Nachevaluierung des Laborkonzepts.
Mit Schriftsatz vom 3.5.2023 erhob die Klägerin Entfristungsklage beim Arbeitsgericht Oldenburg. Das Gericht gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des beklagten Landes jedoch entsprochen, da die Befristung nicht nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Hs. 1 KSchG als wirksam gelte. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

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Das sind die wesentlichen Entscheidungsgründe:
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Für die Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum 30.9.2024 bestehe zum einen ein Sachgrund gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG. Zum anderen sei die Befristung auch nicht im Hinblick auf die Grundsätze des institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam.
- Die Voraussetzungen für eine Befristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG liegen aus folgenden Überlegungen vor:
a) Die jeweiligen Befristungen stimmen – so das Gericht – „passgenau“ mit den jeweiligen Anträgen der Mitarbeiterin auf Teilzeitbeschäftigung überein.
b) Die Mitarbeiterin wurde genau mit den Aufgaben beschäftigt, die im Vorfeld von der Mitarbeiterin K erledigt wurden.
Hinweis! Unerheblich ist, ob die/der befristet beschäftigte Mitarbeiter/in auch Aufgaben wahrgenommen hat, die die/der zu vertretene Mitarbeiter/in im Vorfeld nicht (mehr) wahrgenommen hat, solange die Aufgaben insgesamt dem Aufgabenkreis der/s unbefristet Beschäftigten entsprechen.
c) Soweit der Vertretungsbedarf durch Krankheit, Urlaub oder Freistellung entstehe, könne der Arbeitgeber regelmäßig damit rechnen, dass die/der Vertretene ihre/seine arbeitsvertraglichen Pflichten zukünftig wieder erfüllen werde. Damit liege eine hinreichende Prognose vor.
- Von einem indizierten Rechtsmissbrauch könne erst dann gesprochen werden, wenn
a) durch die befristeten Verträge einer der Werte des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG um mehr als das Fünffache überschritten wird oder
b) beide Werte mehr als das jeweils Vierfache betragen.
Diese Voraussetzungen lagen nach Ansicht des Gerichts im Streitfall nicht vor. Zwar sei die Zahl der nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG zulässigen Verlängerungen um eine überschritten. Die Zahl der Verlängerungen erkläre sich aber daraus, dass die Mitarbeiterin K mehrere Verlängerungen ihrer Teilzeit aus familiären Gründen in Anspruch genommen habe. Die Laufzeit der Befristungen entspreche zudem jeweils der Dauer der in Anspruch genommenen Teilzeit, so dass die Klage im Ergebnis abzuweisen war.

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- Soweit zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die vertretene Arbeitskraft zukünftig dauerhaft nicht mehr in Vollzeit arbeiten bzw. ihre Arbeit wieder aufnehmen wird, besteht eine hinreichende „Befristungsprognose“.
- Eine Befristung des Arbeitsvertrages zur Deckung eines Vertretungsbedarfes ist lediglich dann unzulässig, wenn ein sogenannter „dauerhafter“ Vertretungsbedarf besteht. Dies setzt allerdings voraus, dass tatsächlich weitere unbesetzte entsprechende Stellen vorhanden sind, die eine unbefristete Beschäftigung außerhalb des Vertretungsbedarfes ermöglichen.
- Ein Rechtsmissbrauch ist indiziert, wenn die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses zehn Jahre überschreitet oder mehr als 15 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden oder wenn mehr als zwölf Vertragsverlängerungen bei einer Gesamtdauer von mehr als acht Jahren vorliegen.
Hinweis! In einem solchen Fall hat der Arbeitgeber allerdings die Möglichkeit, die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände zu entkräften.
Herzliche Grüße
Ihr Boris Hoffmann
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