Müssen schwerbehinderte Bewerber oder Bewerberinnen zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, obwohl sich schon aus den Bewerbungsunterlagen die offensichtliche fachliche Nichteignung ergibt?
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich möchte auch den zweiten Blog in diesem Monat dem Schwerbehindertenrecht und der in § 165 Satz 3 und 4 SGB IX normierten Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, soweit diese/r fachlich nicht offensichtlich ungeeignet sind, widmen.
Das Landesarbeitsgericht Köln hatte sich in seiner Entscheidung vom 23.3.2023 – 6 Sa 606/22 1 mit der interessanten Frage zu beschäftigen, zu welchem Zeitpunkt der in einem Anforderungsprofil als zwingend geforderte Ausbildungsabschluss vorliegen muss? Reiche es insoweit etwa aus, dass in der Zukunft mit einem entsprechenden Ausbildungsabschluss möglicherweise gerechnet werden kann?
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Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien streiten über eine Entschädigung wegen Diskriminierung bei der Einstellung nach § 15 Abs. 2 AGG und dabei insbesondere über die offensichtlich fehlende Eignung der Klägerin für die ausgeschriebene Stelle.
Die Beklagte ist eine obere Bundesbehörde. Sie schrieb eine „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ zu besetzende Stelle für „eine Sachbearbeiterin/einen Sachbearbeiter (w/m/d) (E 11 TVöD)“ aus. Darin forderte sie unter „Ihr Profil“ u.a. die „Laufbahnbefähigung für den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst des Bundes oder ein vergleichbares abgeschlossenes Hochschulstudium (Diplom (FH)/Bachelor) im verwaltungs-, wirtschafts- oder gesundheitswissenschaftlichen Bereich“.
Die mit einem GdB von 50 schwerbehinderte Klägerin kann keine dieser Ausbildungen nachweisen. Im Rahmen ihrer Bewerbung wies sie allerdings darauf hin, dass sie sich aktuell in einer Weiterbildung zur Fachwirtin im Gesundheits- und Sozialwesen befinde. Ohne die Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben, erteilte die Beklagte ihr mit E-Mail vom 11.05.2021 eine Absage.
Im Rahmen Ihrer Klage räumte die Klägerin ein, dass sie zwar nicht über die geforderte Laufbahnbefähigung verfüge. Zudem habe sie auch kein vergleichbares Hochschulstudium absolviert. Sie nehme aber derzeit an einer Weiterbildung bei der DeLSt zur Fachwirtin im Gesundheits- und Sozialwesen teil, die sie im Jahre 2022 abschließen werde. Dieser Abschluss sei gemäß DQR (Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen) mit Stand vom 31.03.2014 dem Leistungsniveau 6 zuzuordnen und stehe damit der von der Beklagten vorgegebenen Qualifikation gleich.

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Das Landesarbeitsgericht Köln begründete seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:
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Da die Klägerin nicht wegen ihrer Schwerbehinderung im Auswahlverfahren benachteiligt worden sei, stehe ihr auch kein Entschädigungsanspruch im Sinne des § 15 Abs. 2 AGG zu. Denn auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des § 22 AGG habe die für dieses anspruchsbegründende Merkmal darlegungsbelastete Klägerin eine Benachteiligung wegen ihrer Behinderung nicht ausreichend dargelegt.
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Zwar komme als Indiz im Sinne des § 22 AGG ein Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen seine (Einladungs-)Pflicht aus § 165 Satz 3 SGB IX in Betracht. Eine solche Einladung sei aber gemäß § 165 Satz 4 SGB IX entbehrlich gewesen. Denn der Klägerin fehle offensichtlich die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle. Denn „offensichtlich“ fachlich nicht geeignet sei, wer „unzweifelhaft“ insoweit nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspreche.
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Denn indem einem schwerbehinderten Menschen durch das Vorstellungsgespräch eine zusätzliche Chance eingeräumt werden soll, sich dem öffentlichen Arbeitsgeber zu präsentieren und von seiner Eignung zu überzeugen, ist spätestens auf diesen Zeitpunkt für die offensichtlich fehlende Eignung der sich bewerbenden Person abzustellen.

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Zur Beurteilung der fachlichen Eignung einer Bewerberin oder eines Bewerbers im Sinne des § 165 Satz 3 und 4 SGB IX ist auf das in der veröffentlichten Stellenausschreibung enthaltene Anforderungsprofil abzustellen.
Ob eine Bewerberin offensichtlich fachlich ungeeignet ist, ist danach anhand eines Vergleichs zwischen dem Anforderungsprofil und dem (fachlichen) Leistungsprofil des Bewerbers oder der Bewerberin zu ermitteln.
Lassen bereits die Bewerbungsunterlagen zweifelsfrei erkennen, dass die durch das Anforderungsprofil zulässig vorgegebenen fachlichen Kriterien nicht erfüllt werden, besteht für den öffentlichen Arbeitgeber keine Verpflichtung, den schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Spätester Zeitpunkt für die Feststellung der offensichtlichen fachlichen Nichteignung ist der des Vorstellungsgespräches.
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
1 LAG Köln 23.3.2023 – 6 Sa 606/22 – juris.
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