Gewährung einer längeren Kündigungsfrist mit Wiedereinstellungszusage
Liebe Leserin, lieber Leser,
in der letzten Zeit wurde mir immer mal wieder berichtet, dass vermehrt Kündigungen innerhalb der sechsmonatige Probe- bzw. Wartezeit wegen mangelnder Bewährung des Beschäftigten ausgesprochen werden.
In diesem Zusammenhang bin ich über eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hessen vom 29.10.2024, Az. 8 Sa 1057/23 gestolpert, die ich Ihnen heute gerne hier vorstellen möchte. Das Gericht hatte sich thematisch mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es dem Arbeitgeber zusteht, das Arbeitsverhältnis während der Probezeit mit einer längeren Kündigungsfrist zu kündigen, wenn er der Arbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer gleichzeitig während dieser Zeit eine Bewährungschance einräumt.
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Der Entscheidung lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin wurde seit dem 1.1.2023 auf der Grundlage des am 9.11.2022 geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrags als vollzeitbeschäftigte Tarifangestellte mit einer Vergütung nach der Entgeltgruppe E 12 Stufe 4 des TVöD-VKA beschäftigt und als Leiterin der Abteilung Bauverwaltung und Liegenschaftsmanagement eingesetzt. Der Arbeitsvertrag enthält eine dynamische Bezugnahmeklausel auf die anwendbaren Tarifverträge.
Im Rahmen einer fünfmonatigen Einarbeitungszeit wurden mit der Klägerin insgesamt drei Feedback-Gespräche geführt, wobei ihr im letzten Gespräch mitgeteilt wurde, dass sie aus der Sicht der Beklagten Ihren Aufgaben als Führungskraft dauerhaft nicht gerecht werde. Zudem sei die im Team entstandene Situation nicht weiter tragbar. Daraufhin wurde der Klägerin am 22.5.2023 mitgeteilt, das beabsichtigt sei, das Arbeitsverhältnis zum Ende der vereinbarten sechsmonatigen Probezeit zu kündigen. Am 25.5.2023 legte die Klägerin einen „Maßnahmenplan zur Konfliktlösung und Manifestation einer guten Zusammenarbeit“ vor, in welchem sie beschrieb, wie sie ihre Führungsverantwortung verstehe, umsetzen und insbesondere Konflikte mit dem ihr zugeordneten Personal lösen wolle.
Nachdem die Klägerin in einem weiteren Gespräch gefragt wurde, ob sie mit einer Kündigung zum 31.12.2023 einverstanden sei, soweit ihr bei einer Verbesserung der Situation in der Abteilung Bauverwaltung und Liegenschaftsmanagement eine entsprechende Wiedereinstellung durch Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zugesagt würde und der Personalrat zur beabsichtigten Kündigung angehört wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 2.6.2023 mit Wirkung zum 31.12.2023, welches der Klägerin am 13.6.2023 zugegangen ist.
Die hiergegen ordnungsgemäß erhobene Kündigungsschutzklage wurde sowohl vom Arbeitsgericht Offenbach als auch vom Landesarbeitsgericht Hessen abgewiesen.
Hinweis! Die Sache ist aktuell (noch) beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 7 AZN 246/25 anhängig. Es wird insbesondere interessant sein, ob das Gericht konkrete Vorgaben zur Länge der Kündigungsfrist machen wird.

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Das sind die wesentlichen Entscheidungsgründe des Gerichts:
Das Arbeitsgericht Offenbach habe den Kündigungsschutzantrag der Klägerin zurecht und mit ordnungsgemäßer Begründung abgewiesen, da sich die Beklagte nicht aufgrund einer treuwidrigen Vereitelung des Fristablaufs entsprechend § 162 BGB so behandeln lassen musste, als ob die sechsmonatige Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG bereits verstrichen gewesen wäre.
Hinweis! Eine treuwidrige Ausübung des Kündigungsrechts kann etwa dann vorliegen, wenn die Kündigung kurz vor Ablauf der Wartezeit im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG erklärt wird, um den Erwerb des allgemeinen Kündigungsschutzes zu vereiteln.
Liegen die entsprechenden Voraussetzungen vor, sei die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer analog § 162 BGB so zu behandeln, als wäre die Wartezeit mit allen Konsequenzen bereits erfüllt. Dann müsste eine ausgesprochene Kündigung insbesondere sozial gerechtfertigt sein (§ 1 Abs. 2 KSchG).
Ein treuwidriges Verhalten könne in entsprechender Anwendung des § 162 BGB allerdings nur dann vorliegen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die Rückschlüsse auf einen entsprechenden Vereitelungswillen zulassen.
Entsprechende Umstände lägen etwa vor, wenn sich der Arbeitgeber (zumindest vorerst) eigentlich gar nicht von der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer trennen, sondern lediglich den Eintritt des Kündigungsschutzes verhindern will.
Hinweis! Hiervon kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber die Kündigung mit einer sehr langen Kündigungsfrist ausspricht, also nicht zum erstmöglichen Termin nach der Wartezeit kündigt, sondern zu einem wesentlich späteren Termin.
Dies gelte allerdings dann nicht, wenn der Arbeitgeber die sechsmonatige Probezeit als nicht bestanden ansehe. In diesen Fällen könne der Arbeitgeber regelmäßig, ohne rechtsmissbräuchlich zu handeln, anstatt das Arbeitsverhältnis mit der kurzen Probezeitkündigungsfrist zu beenden, der Arbeitnehmerin/dem Arbeitnehmer eine Bewährungschance geben, indem er mit einer überschaubaren, längeren Kündigungsfrist kündigt und der Arbeitnehmerin/dem Arbeitnehmer für den Fall ihrer/seiner Bewährung die Wiedereinstellung zusagt.

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Fazit für Sie!
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Arbeitgeber können die Probezeit grundsätzlich verlängern.
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Soweit das Arbeitsverhältnis mit einer längeren als der kurzen Probezeitkündigungsfrist gekündigt werden soll, bedarf es für den Fall der Bewährung einer Wiedereinstellungszusage.
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Beabsichtigt der Arbeitgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, sollte er die Gründe für das Nichtbestehen der Probezeit hinreichend dokumentieren und gegenüber der Mitarbeiterin/dem Mitarbeiter entsprechend kommunizieren.
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Solange das Bundesarbeitsgericht sich noch nicht entsprechend positioniert hat, bestehen bei der Wahl der konkreten Länge der Kündigungsfrist noch gewisse Rechtsunsicherheiten.
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Der Arbeitgeber sollte dokumentieren, welche Zeit aus seiner Sicht erforderlich ist, um darüber zu entscheiden, ob die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter sich bewährt hat.
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
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