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Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung

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BAG vom 26.6.2018 – 1 ABR 37/16: In einem Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht haben die Beteiligten über die Tariffähigkeit einer Berufsgewerkschaft gestritten.

Leitsätze

 

  1. An dem Erfordernis der hinreichenden Durchsetzungskraft und organisatorischen Leistungsfähigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung haben weder das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns noch das Gesetz zur Tarifeinheit etwas geändert.

  2. Der langjährigen Teilnahme einer Arbeitnehmervereinigung am Tarifgeschehen in Form von Tarifvertragsabschlüssen kommt keine ausschlaggebende indizielle Wirkung für deren soziale Mächtigkeit zu, wenn diese auf einer Zuständigkeit basiert, die für die von der Arbeitnehmervereinigung gegenwärtig beanspruchte Zuständigkeit nicht mehr repräsentativ ist. Gleiches gilt, wenn die Arbeitnehmervereinigung nicht nur vereinzelt Tarifverträge außerhalb ihrer satzungsmäßigen Zuständigkeit geschlossen hat.

 

 

Orientierungssätze

 

  1. Die Rechtskraft einer Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung steht der Zulässigkeit eines neuen Verfahrens zur Klärung dieser rechtlichen Eigenschaft nicht entgegen, wenn sich die hierfür maßgebenden rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Letzteres kann der Fall sein bei einer wesentlichen Änderung der nach der Satzung beanspruchten Zuständigkeit der Arbeitnehmervereinigung, so dass sich ein erneuter Streit um ihre Tariffähigkeit als ein anderer als der bereits entschiedene darstellt.

  2. Eine Arbeitnehmervereinigung muss bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllen, um tariffähig zu sein. Dazu gehört, dass sie über Durchsetzungskraft gegenüber der Arbeitgeberseite und über eine leistungsfähige Organisation verfügt. An dem Erfordernis der sozialen Mächtigkeit ist auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MiLoG –) und des Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz – TEG –) festzuhalten.

  3. Auf die soziale Mächtigkeit einer Arbeitnehmervereinigung lässt sich nur anhand von Indizien schließen. Hierbei kommt der Zahl ihrer Mitglieder – als Organisationsstärke im Verhältnis zu dem von ihr selbst gewählten räumlichen und fachlichen  Organisationsbereich – prinzipiell die entscheidende Bedeutung zu. Bestehen danach Zweifel an einer hinreichenden Durchsetzungsfähigkeit, kann diese auch durch eine langjährige Teilnahme der Arbeitnehmervereinigung am Tarifgeschehen indiziert sein.

  4. Die ausschlaggebende Indizwirkung einer langjährigen Teilnahme am Tarifgeschehen ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um von der Arbeitnehmervereinigung innerhalb ihrer satzungsmäßigen Zuständigkeit geschlossene Tarifverträge in nennenswertem Umfang handelt und diese repräsentativ für die von der Arbeitnehmervereinigung gegenwärtig beanspruchte Zuständigkeit sind.

  5. Die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung für den beanspruchten Zuständigkeitsbereich ist einheitlich und unteilbar. Es genügt daher, dass die Arbeitnehmervereinigung Durchsetzungskraft und organisatorische Leistungsfähigkeit in einem zumindest nicht unbedeutenden Teil des selbst gewählten Zuständigkeitsbereichs besitzt.

  6. Beansprucht eine Arbeitnehmervereinigung eine mannigfaltige, inhomogene und verschiedenste Wirtschaftszweige, Branchen und Arbeitnehmergruppen betreffende (Gesamt-)Zuständigkeit, bedarf es – ausgehend von dem Prinzip der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit – bei den Feststellungen und Würdigungen des Tatsachengerichts zu der durch die Mitgliederstärke vermittelten sozialen Mächtigkeit einer differenzierten Betrachtung. Aussagekräftig ist nicht der Gesamtorganisationsgrad im gesamten Zuständigkeitsbereich, sondern die Verteilung der Mitglieder auf die nach der Satzung reklamierten Zuständigkeits(teil-)bereiche und die sich daraus ergebenden (Einzel-)Organisationsgrade. Hieran ist die Bewertung auszurichten, ob der Mitgliederbestand in einem hinreichend beachtlichen Teil der (Gesamt-)Zuständigkeit die Durchsetzungsfähigkeit der Arbeitnehmervereinigung insgesamt indiziert, was die Bewertung der unterschiedlichen voneinander abgegrenzten und abgrenzbaren Zuständigkeits(teil-)bereiche in ihrem Verhältnis zueinander einschließt.

 

Auf die vollständige ausführliche Begründung des Beschlusses wird verwiesen.

 

BAG vom 26.6.2018 – 1 ABR 37/16 –

 

Bernhard Faber

Richter am Arbeitsgericht Augsburg a. D.

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