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Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf Geothermiebohrungen

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Von RiOLG Prof. Dr. Ulrich Ehricke, LL.M. (London), M.A., Köln

I. Einleitung

 

Verkehrssicherungspflichten beruhen auf dem Grundgedanken, dass jeder, der eine Gefahrenlage schafft oder in seinem Bereich andauern lässt bzw. unterhält, die ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen muss, um zu verhindern, dass Dritte infolge der Gefahr zu Schaden kommen. Sie sind im Wesentlichen entwickelt worden, um eine deliktische Verantwortlichkeit im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB für die Verletzung des Schutzes der Umwelt vor einer Gefahrenquelle oder für die Verletzung des Schutzes eines Rechtsguts vor Gefahren aus der Umwelt zu ermöglichen. Während sich sowohl im allgemeinen Deliktsrecht als auch in einer ganzen Reihe von Einzelbereichen mittlerweile eine kaum noch zu überblickende Dogmatik der Verkehrssicherungspflichten herausgebildet hat,  ist die Frage der Verkehrssicherungspflichten im konkreten Fall von Geothermiebohrungen – soweit ersichtlich – bis jetzt noch nicht näher behandelt worden. Die Besonderheit liegt dabei darin, dass sich etwaige Verkehrssicherungspflichten auf der Schnittstelle von Bergschadensrecht und allgemeinem zivilrechtlichen Deliktsrecht bewegen. Zudem stellt sich bei Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf Geothermiebohrungen typischerweise das Problem, dass zwischen Verkehrsicherungspflichten differenziert werden muss, die den Unternehmer (Bohrunternehmer) und den Auftraggeber (Bauherr) treffen.

 

 Die Frage der Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf Geothermiebohrungen erhält eine immer größere Relevanz, denn die Geothermie hat in Deutschland und europaweit in den letzten Jahren einen signifikanten Bedeutungszuwachs erhalten und stellt eine wichtige Ergänzung zu den fossilen Energieträgern in der Energieversorgung da. Es ist ein ausdrückliches politisches Ziel, die Gewinnung von Energie aus der Geothermie zu fördern. Mit der Zunahme der Förderung von Geothermie geht aber notwendigerweise der Anstieg der Anzahl von Geothermiebohrungen und damit die erhöhte Möglichkeit des Eintritts von Schäden aufgrund solcher Bohrungen einher. Insoweit fragt es sich, ob die an den Bohrungen Beteiligten für derartige Schäden möglicherweise – neben anderen Anspruchsgrundlagen – auch wegen Verletzung der ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflichten haften müssen. Der erste Fall, in dem diese Fragen virulent werden, sind die Hebungserscheinungen in der Stadt Staufen in Baden-Württemberg. Dort war vorgesehen, im Rathaus eine Erdwärmeheizung zu installieren. Für Erdwärmeheizungen wird durch Erdwärmesonden die Wärme im Erdreich aufgenommen und sodann an die Erdoberfläche abgeleitet. Die dazu notwendigen Geothermiebohrungen sollten in Staufen bis zu einer Teufe von 140m vorgenommen werden. Im September des Jahres 2007 wurde mit den Bohrungen für sieben Erdwärmesonden in der Altstadt begonnen.  Kurz nachdem mit den Bohrungen begonnen wurde, stellte man Rissbildungen an Gebäuden fest, die sich zuerst am Rathaus und dann in der Folge auch an vielen umliegenden Gebäuden  zeigten. Die Rissbildungen, die sich permanent fortsetzen, sind Folgen von Hebungen in dem betroffenen Gebiet. Die Höhe der Schäden liegt bis heute im zweistelligen Millionenbereich.

 

 Nach den bislang vorliegenden – vom Ergebnis her allerdings zum Teil bezweifelten  – Untersuchungen ist es derzeit nicht möglich, die Ursache der Hebungen sicher festzustellen. Als mögliche Ursachen gelten die genannten Bohrungen oder aber natürliche Veränderungen der geologischen Verhältnisse mit denen Veränderungen der unterirdischen Wasserwege einhergegangen sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Hebungen allerdings doch auf die Geothermiebohrungen zurückzuführen sind, liegt laut dem Beweissicherungsgutachten vom 19.8.2008 der Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart bei zwei zu eins. Sollten die Rissbildungen ursächlich auf die Geothermiebohrungen zurückzuführen sein, so läge dies daran, dass eine chemische Reaktion von Anhydrit mit Wasser stattgefunden hat, die dazu führte, dass das Anhydrit in Gips umgewandelt wurde, was mit einer Volumenerhöhung einhergeht.

 

 

In der nachfolgenden Untersuchung soll die Frage geklärt werden, ob und in welchem Umfang Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf Geothermiebohrungen bestehen. Dies wird nach einer kurzen rechtlichen Einordnung der Geothermie (unten II.) in drei Schritten getan: Aufbauend auf einige allgemeine Hinweise zu Verkehrssicherungspflichten (III. 1.), werden zunächst die aus dem allgemeinen deliktsrechtlichen Ansatz der Verkehrssicherungspflichten resultierenden Pflichten für den Auftraggeber einer Geothermiebohrung und für das Bohrunternehmen dargestellt [III. 2 a)]. Dem schließt sich sodann die Prüfung an, ob auch aus dem Bergrecht Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf Geothermiebohrungen abgeleitet werden können [III. 2 b)].  

 

 

II. Rechtliche Einordnung der Geothermie

 

Geothermie ist jede, in Form von Wärme gespeicherte, Energie unterhalb der festen Erdoberfläche. Dabei wird unterschieden zwischen der oberflächennahen Geothermie, bei der die Bohrungen bis zu einer Teufe von maximal 100m erfolgen, und tiefen Geothermie, bei der Bohrungen bis zu 400m Teufe durchgeführt werden. Geothermiebohrungen sind bedeutsam für den Klimaschutz, da durch sie Erdwärme genutzt werden kann und diese zu einer kostengünstigen und ressourcenschonenden Beheizung beitragen kann. Geothermie gilt als eine erneuerbare Energie im Sinne des deutschen EEG (§ 2 Abs. 1 EEG) und der europäischen EE-Richtlinie 2009 (Art. 2 S. 2a). Diese Vorschriften gewähren eine privilegierte Behandlung der geförderten Geothermie im Hinblick auf die Einspeisung und Vergütung. Nicht geregelt ist in diesen Regelwerken hingegen der Vorgang des Aufsuchens und Gewinnens von Geothermie. Da das Aufsuchen und Gewinnen von Erdwärme mit sonstigen bergbaulichen Tätigkeiten vergleichbar ist und im Regelfall nicht ohne Bohrungen möglich, wurde die Gewinnung von Geothermie in Deutschland im Bundesberggesetz (BBergG) geregelt. Erdwärme ist gemäß § 3 Abs. 3 S. 2 Nr. 2b) BBergG ein bergfreier Bodenschatz. Bergfreie Bodenschätze sind abschließend in § 3 Abs. 3 BBergG aufgezählt. Sie haben die Besonderheit, dass sie dem Verfügungsrecht des Eigentümers des darüberliegenden Grundstücks entzogen sind. Bergfreie Bodenschätze sind herrenlos und unterliegen dem jeweiligen Aneignungsrecht des Landes bzw. stehen im Eigentum des Inhabers der Bergbauberechtigung (§ 6 BBergG). Bei der Anwendung des Bergrechts auf Geothermiebohrungen muss allerdings im Einzelnen differenziert werden: Ist die Gewinnung von Erdwärme grundstücksbezogen (z. B. Beheizung eines Gebäudes ) fehlt es an einem „Gewinnen“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 BBergG, so dass der Anwendungsbereich des BBergG nicht eröffnet ist. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BBergG nimmt nämlich das Lösen oder Freisetzen von Bodenschätzen in einem Grundstück aus Anlass oder im Zusammenhang mit dessen baulicher oder sonstiger städtebaulicher Nutzung aus. Wenn allerdings die Gewinnung von Erdwärme vorgenommen wird, um damit Gebäude auf anderen oder mehreren Grundstücken, die nicht in unmittelbarem räumlichen oder betrieblichen Zusammenhang mit dem Gewinnungsgrundstück stehen, zu versorgen oder wenn die Förderung von Erdwärme zur Erzeugung von Strom oder Fernwärme dienen soll und in allgemeine Versorgungsnetze eingespeist werden, ist der Anwendungsbereich des BBergG wieder eröffnet. Die bloße Nutzung von Erdwärme wird nach § 4 Abs. 3 S. 2 a. E. BBergG der Weiterverarbeitung gleichgestellt und ist damit der Anwendung des BBergG ebenfalls entzogen. Werden Geothermiebohrungen zur Einleitung von Wärmeenergie in den Boden verwendet, um diese zu speichern und später wieder zu entnehmen, liegt kein bergrechtlich relevanter Tatbestand der unterirdischen, behälterlosen Speicherung vor,  so dass das BBergG ebenfalls nicht zur Anwendung kommt. Geothermiebohrungen, die weiter als 100 Meter in den Boden eindringen sind gem. § 127 BBergG der Bergbehörde anzuzeigen, die dann zu entscheiden hat, ob es eines Betriebsplanes gem. §§ 51 ff. BBergG bedarf. Konflikte zwischen nach dem Bergrecht genehmigungsbedürftigen Geothermiebohrungen und einer Nutzbarmachung von Erdwärme im Zusammenhang mit der baulichen Nutzung von Grundstücken können auftreten, weil eine bergrechtliche Bewilligung nach § 8 Abs. 1 BBergG zwar ein ausschließliches Recht gewährt, nicht aber die Gewinnung von Erdwärme im Zusammenhang mit der baulichen Nutzung von Grundstücken erfasst, weil diese gerade keiner Bergbauberechtigung bedarf. Das bedeutet, dass die Erteilung einer Bergbauberechtigung die Gewinnung von Erdwärme im Zusammenhang mit der baulichen Nutzung von Grundstücken nicht ausschließt. Im Einzelnen ist daher immer zu prüfen, ob die Geothermiebohrung im Zusammenhang mit der baulichen Nutzung von Grundstücken steht oder darüber hinausgeht. Im letzteren Fall kommt es bei Schäden zu einer Anwendung der bergrechtlichen Vorschriften des § 114 BBergG; ansonsten greifen die allgemeinen Regelungen der §§ 823 ff. BGB ein. Neben diesen normativen Grundlagen können für die Geothermiebohrungen vor allem auch Vorschriften des Wasserhaushaltsrechts nach dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG) relevant werden. Darüber hinaus finden auch die allgemeinen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Hinblick auf etwaige Schadensersatzfragen Anwendung.

 

 

 

III. Verkehrssicherungspflichten

 

Als Haftungstatbestände kommen im Hinblick auf Schäden, die bei Geothermiebohrungen entstanden sind, ein ganzes Bündel an normativen Vorgaben in Betracht. Grundsätzlich lassen sich dabei verschiedene Gruppen von Haftungstatbeständen unterteilen. Zum einen gibt es Haftungstatbestände, die an ein spezifisches Verhalten und dem daraus resultierenden Schaden anknüpfen (z. B. § 114 BBergG, §§ 823 Abs. 1, 831, 906 Abs. 2 S. 2 BGB). Problematisch ist dabei aber stets die Frage der Kausalität.  Darüber hinaus gibt es auch Regelungen, die eine Haftung vorsehen, weil eine Gefahr eröffnet wurde, ohne vorher oder dabei eine hinreichende Absicherung vor dem Eintritt des damit verbundenen Risikos vorgenommen zu haben. Insoweit handelt es sich um die im Folgenden zu behandelnde Haftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.

 

1. Allgemeines

 

Verkehrssicherungspflichten werden allgemein definiert als der Maßstab, der einzuhalten erforderlich ist, um die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten. Sie sind also orientiert am Fahrlässigkeitsmaßstab. Daraus folgt, dass jeder verpflichtet ist, die berechtigten Sicherheitserwartungen der mit einer Gefahrenquelle in Kontakt kommenden Verkehrskreise im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren zu erfüllen. Problematisch ist insoweit vor allem die Reichweite der zu beachtenden Pflichten, die in engem Zusammenhang mit den berechtigten Sicherheitserwartungen der anderen Seite stehen und die lediglich durch die wirt schaftliche Zumutbarkeit der zu ergreifenden Maßnahmen begrenzt werden. Unbestritten ist, dass eine absolute Sicherung gegen etwaige Gefahren nicht notwendig ist und deshalb auch nicht von den Verkehrskreisen erwartet werden darf. Paradigmatisch hat dies schon früh die zweite Kommission für das BGB formuliert: „Man brauche bei seinem Thun und Lassen auf die rechtlich geschützten Interessen der Anderen nur insoweit zu achten, als man bei der Anwendung ordnungsgemäßer Sorgfalt erkennen müsse, dass dieselben gefährdet werden“. Die Verkehrssicherungspflichten sind demnach ihrem Charakter nach Überwachungspflichten, die jedermann – in dem ihm erkennbaren und zumutbaren Rahmen – verpflichten, die in seinem Verantwortungsbereich befindlichen Gegenstände in einen solchen Zustand zu bringen oder zu erhalten, dass keine Gefahren für Dritte von ihnen ausgehen.

 

Die Haftung für die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ist vor allem notwendig, um zwei Fallkonstellationen erfassen zu können, nämlich zum einen für diejenigen Schäden, die durch eine mittelbare Verletzung von geschützten Rechtspositionen entstehen und zum anderen für diejenigen Schäden, die aus einer Verletzung von geschützten Rechtspositionen durch Unterlassen resultieren. Eine mittelbare Verletzung liegt dann vor, wenn zu den Handlungen des Schädigers noch eine oder mehrere weitere Handlungen hinzukommen müssen, damit der Verletzungserfolg eintritt.  Eine Verletzung durch Unterlassen ist gegeben, wenn der Verletzungserfolg eintritt, weil der Schädiger etwas nicht getan hat, was er hätte tun müssen.

 

Die Verkehrssicherungspflichten selbst können im Wesentlichen unterteilt werden in Sicherungs- und Fürsorgepflichten. Fürsorgepflichten sind die Verpflichtung einer Person ein fremdes Rechtsgut vor Gefahren aus fremden Rechtssphären zu schützen. Sicherungspflichten bestehen nur in der eigenen Rechtssphäre für das eigene Verhalten oder für Gegenstände, die sich in dieser Sphäre befinden und von denen Gefahren für fremde Rechtsgüter ausgehen können. Fällt die Ursache der Verletzung hingegen nicht in den Verantwortungsbereich einer Person, spricht man von einem Unglück, und der Schaden fällt in den Risikobereich des Verletzten. Bezogen auf Geothermiebohrungen folgt daraus, dass dann, wenn festgestellt würde, dass Hebungen der Erdoberfläche als Ursache für die eingetretenen Schäden nicht in den Verantwortungskreis einer Person fallen, insbesondere wenn sie auf eine natürliche Veränderung im Erdreich zurückzuführen sind, ein Unglück vorläge und die einzelnen Geschädigten ihre Schäden selbst tragen müssten und sich möglicherweise Rückforderungsansprüchen für bereits erhaltene Leistungen zur Sicherung und Sanierung ihrer Häuser ausgesetzt sehen könnten. Sind die Hebungen hingegen auf die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zurückzuführen, so stehen den Geschädigten Schadensersatzsprüche zu.

 

 

2. Normative Grundlage für Verkehrssicherungspflichten

 

a) § 823 Abs. 1 BGB

 

aa) Ausgangspunkt

 

Als normative Grundlage für Verkehrssicherheiten ist § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Die daraus resultierenden einzelnen § 823 Rn. 59. Pflichten können nicht pauschal beschrieben werden. Vielmehr richten sich die Verkehrssicherungspflichten im Einzelfall danach, welche Gefahrenquelle geschaffen oder beibehalten wird, was im Einzelnen zur Gefahrabwehr erforderlich ist und was dem Sicherungspflichtigen zumutbar ist. Hilfestellungen bei der Konkretisierung können technische Regelwerke, wie zum Beispiel DINNormen, VDE-Bestimmungen, VDI-Richtlinien, geben. Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich dabei allerdings nur um private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Sie konkretisieren die Pflichten, regeln sie aber nicht abschließend. Eine Exkulpation unter Berufung auf die Einhaltung dieser Regeln scheidet aus. Lediglich die Einhaltung von Mindeststandards ist durch die Einhaltung der Regeln gewährleistet. Ebenso scheidet eine Verkehrssicherungsverletzung nicht schon deshalb aus, weil im konkreten Fall für Geothermiebohrungen die notwendigen behördlichen Genehmigungen eingeholt worden sind.

 

bb) Verkehrssicherungspflichten des Auftraggebers für die Geothermiebohrungen

 

(1) Allgemeines

 

Bedient sich ein Verkehrssicherungspflichtiger eines anderen zur Ausführung von Tätigkeiten, die für Dritte eine Gefahr eröffnen oder beibehalten, wie es bei Geothermiebohrungen im Hinblick auf die Beauftragung von Bohrunternehmen durch den Bauherrn regelmäßig der Fall ist, so obliegen ihm weiterhin Verkehrssicherungspflichten, die sich aber von den originären Pflichten im Hinblick auf die Gefahrenquelle unterscheiden. Im Einzelnen wird wie folgt differenziert: Zieht der Verkehrssicherungspflichtige – also bei Geothermiebohrungen der Bauherr – eine Hilfsperson zur Erfüllung von eigenen Sicherungspflichten heran, so kann er sich seiner eignen Verantwortlichkeit nicht dadurch völlig entledigen, dass er für mit der Sicherungsaufgabe geeignete Hilfspersonen betraut. Dem Sicherungspflichtigen verbleibt in solchen Fällen die Pflicht, selbst für die erforderlichen allgemeinen Anordnungen, ggf. für eine ordnungsgemäße Organisation der den Hilfspersonen übertragenen Tätigkeiten, und besonders auch für die Überwachung der tatsächlichen Ausführung zu sorgen. Etwas anderes gilt dann, wenn ein zuverlässiger, selbständiger Fachunternehmer beauftragt wird, die Verkehrssicherungspflichten des Sicherungspflichtigen zu übernehmen (z. B. ein fachkundiger Architekt oder Bauingenieur für die Bauaufsicht ). In diesen Fällen kommt eine spezielle Überwachungspflicht des Verkehrssicherungspflichtigen nur unter besonderen Umständen in Betracht. Diese Konstellation betrifft die Fälle, in denen der Auftraggeber einer Geothermiebohrung lediglich die Wahrnehmung seiner eigenen Verkehrssicherungspflichten delegiert. Ein davon zu trennender, anderer Fall ist aber derjenige, in dem der Auftraggeber eine andere Person mit der Geothermiebohrung beauftragt und erst diese Person durch die Geothermiebohrung  die Gefahr für den Verkehr eröffnet. Insoweit ist dann wiederum zu unterschieden, ob die beauftragte Person in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis von dem Auftraggeber steht oder ob es sich um eine selbständige Person bzw. um ein selbständiges Unternehmen handelt, die für den Auftraggeber tätig wird. Im ersten Fall besteht im allgemeinen Deliktsrecht eine sehr umfassende Kontroverse, ob sich Verkehrspflichten des Auftraggebers hinsichtlich der Auswahl, Instruktion und Überwachung der Hilfsperson aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben – und damit keine Exkulpation zulassen – oder ob § 831 BGB eingreifen soll. Dieser Streit ist auf den speziellen Fall der Geothermiebohrung übertragbar. Nach der h.M. würde der Auftraggeber einer Geothermiebohrung eine ihm nach § 823 Abs. 1 BGB obliegende Verkehrspflicht verletzen, wenn er hinsichtlich eines von ihm abhängigen (unselbständigen) Bohrunternehmens seiner Auswahl-, Leitungsbzw. Instruktionspflicht und Aufsichtspflicht nicht nachkommt und sich dadurch das Risiko, der durch die von der Hilfsperson eröffneten Gefahrenlage realisiert. Die vom Auftraggeber eröffnete Gefahr liegt dann darin, dass die Hilfsperson (mit den Geothermiebohrungen) tätig wird und seinerseits Gefahren für den Verkehr schafft; eine Exkulpationsmöglichkeit ist nicht gegeben. Wird ein selbständiges Bohrunternehmen für den Auftraggeber tätig, greift § 831 BGB ohnehin nicht ein. Die Verkehrssicherungspflichten des Auftraggebers ergeben sich dann ebenfalls aus § 823 Abs. 1 BGB und beziehen sich auf die ordnungsgemäße Auswahl, Instruktion und Überwachung des Unternehmens. Die Anforderungen an diese Pflichten nehmen dabei aber in dem Maße ab, wie das tätig werdende Bohrunternehmen eigene Spezialkenntnisse für die Tätigkeit hat.

 

(2) Spezifika in Bezug auf Geothermiebohrungen

 

(a) Ausgangsbedingungen: Für die Errichtung von Erdwärmeheizungen, für die Geothermiebohrungen vorgenommen werden müssen, sind nach dem hessischen Landesamt für Umwelt und Geologie folgende Baumaßnahmen vorzusehen: Um die Erdwärmesonden in die Erde einzubringen sind Bohrungen in einer Teufe von 50–150m nötig, in die dann die Rohre, gewöhnlich aus Kunststoff, eingebracht werden. Im Anschluss daran wird das Bohrloch verpresst, dass heißt, dass der Ringraum zwischen den Rohren und dem umgebenden Boden mit einer Mischung aus Wasser, Tonmehl und Zement ausgekleidet werden muss. Daher ist es schon in der Planungsphase erforderlich, den Durchmesser des Bohrloches so zu wählen, dass noch eine Verpressung, im Normalfall mit einer Stärke von 3 cm und einer Dichte von ≥1,3 kg/l erfolgen kann.

 

Die genehmigungsrechtlichen Anforderungen an den Bau einer Erdwärmeheizung bestehen – je nach den vorliegenden Umständen – in einer wasserrechtlichen Genehmigung, einer bergrechtlichen Genehmigung und einer Anzeige an die zuständige Behörde gemäß § 4 Lagerstättengesetz. Weiterhin sollte eine Standortbeurteilung vorgenommen werden, um feststellen zu können, ob der geplante Standort für den Bau einer Erdwärmeheizung überhaupt in Frage kommt.

 

 Eine wasserrechtliche Genehmigung ist erforderlich, wenn es sich bei dem Projekt um eine Benutzung des Grundwassers im Sinne des § 3 WHG handelt. Im Falle von Erdwärmesonden sind z. B. die Bohrtätigkeit, die Verwendung von Spülzusätzen oder das Verbinden verschiedener Grundwasserstockwerke dazu geeignet, die Beschaffenheit des Grundwassers zu verändern. Beim Betrieb der Erdwärmepumpe kann der Wärmeentzug oder -eintrag durch die Sonde bzw. den Kollektor oder das Auslaufen eines wassergefährdenden Wärmeträgermittels zu einer schädlichen Veränderung der Beschaffenheit des Wassers führen. Somit liegt der Benutzungstatbestand des § 3 WHG vor und eine wasserrechtliche Genehmigung gemäß § 2 WHG ist einzuholen. Da es sich bei Erdwärme um einen bergfreien Bodenschatz handelt, unterliegt ihre Gewinnung bestimmten bergrechtlichen Genehmigungserfordernissen. Grundsätzlich ist eine Bewilligung gemäß § 8 BBergG erforderlich, es sei denn, der Ausnahmetatbestand des § 4 Abs. 2 Nr. 1 BBergG ist erfüllt. Weiterhin unterliegen Bohrungen, die tiefer als 100m in den Boden reichen, gemäß § 127 BBergG der Bergaufsicht.

 

Für die Standortbeurteilung muss geklärt werden, wie das betroffene Gebiet hydrogeologisch und wasserwirtschaftlich einzuordnen ist. In einem hydrogeologisch günstigen Gebiet gibt es eine mittlere bis geringe Wasserdurchlässigkeit und keine wesentliche Stockwerksbildung. Stockwerksbildung liegt vor, wenn verschiedene Qualitäten von Grundwasser im Boden zu finden sind, diese aber voneinander getrennt, in Stockwerken, aufzufinden sind. Ungünstige hydrogeologische Gegebenheiten liegen vor, wenn eine hohe Wasserdurchlässigkeit gegeben ist und eine weiträumig wirksame Stockwerksbildung anzutreffen ist. Wasserwirtschaftlich günstige Gebiete liegen außerhalb von Wasser- und Heilquellenschutzgebieten, Trinkwassergewinnungsgebieten und kontaminierter Böden. Ein ungünstiges Gebiet liegt vor, wenn man sich in den äußeren Schutzzonen für Trinkwasser oder Heilquellen befindet oder innerhalb kontaminierter Böden. Ein wasserwirtschaftliches Ausschlusskriterium liegt vor, wenn man eine Wärmesonde im inneren Schutzbereich für Trinkwasser und Heilquellen installieren will, da das Projekt dann wasserwirtschaftlich unzulässig ist.

 

Aus technischen Anforderungen an Erdwärmebohrungen sind folgende Pflichten zu beachten: es muss die VDI-Richtlinie für die thermische Nutzung des Untergrundes eingehalten werden (Nr. 4640), die Wärmeträgerflüssigkeiten dürfen nur nicht oder bloß gering wassergefährdende Stoffe sein, bei der Erdwärmesonde muss eine Leckageüberwachung installiert sein und während der Bohrungen sind Gesteinsproben zu entnehmen und aufzubewahren. Ebenfalls ist erforderlich, dass das Bohrunternehmen die Qualifikationskriterien des DVGW-Regelwerks Nr. W 120 erfüllt und am Bohrgerät muss ein nach DIN 22 475-1 qualifizierter Bohrgeräteführer ständig anwesend sein.

 

(b) Konkrete Verkehrssicherungspflichten: Mit der Veranlassung des Baus einer Geothermieanlage wird eine Gefahrenquelle geschaffen, so dass der Bauherr Adressat von Verkehrssicherungspflichten bezüglich der Gefahrenquelle wird. Diese Verkehrssicherungspflichten bestehen einerseits in der Einhaltung und Beachtung der soeben aufgezählten baulichen, technischen und rechtlichen Anforderungen an eine Geothermiebohrung und andererseits in der Ergreifung aller Maßnahmen, die zur Verminderung der Gefahren notwendig sind, die von der Baustelle ausgehen.

 

Da typischerweise der Bauherr nicht die Bohrungsaufgaben selbst ausführt, sondern ein Bohrunternehmen mit der Ausführung der Bohrungen beauftragt, stellt sich die Frage, ob der Bauherr  durch die Vergabe der Bauarbeiten an das ausführende Unternehmen von seinen eigenen Verkehrssicherungspflichten befreit wird, bzw. ob sich die Verkehrssicherungspflichten des Bauherrn insoweit verändern, weil er nicht mehr direkt für die Planung der Bohrung, die Bohrung selbst und die damit zusammenhängende Baustelle verantwortlich ist. Grundsätzlich gilt, dass derjenige, der Bauarbeiten in Auftrag gibt, seiner eigenen Sicherungspflicht hinsichtlich der mit diesen Arbeiten verknüpften Gefahren dadurch genügt, dass er einen fachkundigen und zuverlässigen Unternehmer mit der Durchführung beauftragt. Je weitergehend der Bauherr die Planungen und Arbeiten und die damit einhergehenden Pflichten auf einen anderen überträgt umso mehr wird er seinerseits von diesen Pflichten befreit. Nach den oben beschriebenen Grundsätzen gilt jedoch immer, dass sich ein Verkehrssicherungspflichtiger durch die Delegierung von Arbeiten von seinen bestehenden Verkehrssicherungspflichten grundsätzlich nicht vollständig entbinden kann. Liegt eine wirksame Übertragung der Tätigkeit, die eine Gefahrenlage darstellt und damit der zusammenhängenden Verkehrssicherungspflichten auf eine andere Person vor, so verändern sich insoweit die Sicherungspflichten des Verkehrssicherungspflichtigen, und zwar in die Pflicht der ordnungsgemäßen Auswahl, Instruktion und Überwachung derjenigen Person, auf die die Planungen und Arbeiten übertragen wurden, also in der Regel auf den Bohrunternehmen.

 

 Eine Verkehrssicherungspflicht des Bauherrn einer Geothermiebohrung liegt in der ordnungsgemäßen Auswahl des mit den Bauarbeiten für die Erdwärmeheizung beauftragten Bohrunternehmens.  Diese Auswahl erfolgt korrektermaßen im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens, wenn der Bauherr ein öffentlicher Auftraggeber ist (§ 97 ff. GWB). Der Zuschlag ist dabei auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen (§ 97 Abs. 5 GWB). Fraglich ist, ob die Auswahl des Anbieters mit dem günstigsten Verfahren zur Ausführung der Geothermiebohrung als Hinweis für eine Pflichtverletzung gewertet werden könnte. Dies ist zu verneinen, wenn die Vorgaben für das Bauvorhaben in der Ausschreibung dem Stand der Technik entsprochen haben und der Anbieter mit seinem Verfahren zur Vornahme der Bohrungen diesen Anforderungen entsprochen hat, denn allein der Umstand, dass sein Verfahren das kostengünstigste ist, stellt keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht des öffentlichen Bauherrn dar. Soweit darüber hinaus auch keine Hinweise auf eine erkennbare Unzuverlässigkeit oder Ungeeignetheit des ausgewählten Unternehmens zu sehen sind, ist die Verkehrssicherungspflicht der ordnungsgemäßen Auswahl eingehalten.

 

 Dem Bauherrn einer Geothermiebohrung obliegt als Verkehrssicherungspflicht des Weiteren die Pflicht zu einer ordnungsmäßigen Instruktion. Darunter ist regelmäßig zu verstehen, dass das beauftragte Bauunternehmen mit den notwendigen Informationen in Bezug auf die Baustelle ausgestattet wird und dass dem Unternehmen die zu beachtenden Besonderheiten in Bezug auf etwaige komplexe unterirdische Situationen in der Region, in der die Bohrungen durchgeführt werden müssen, mitgeteilt werden. Dieser Verkehrssicherungspflicht ist die weitere Verkehrssicherungspflicht des Bauherrn vorgelagert, sich zunächst selbst ein umfassendes und genaues Bild über die örtlichen Gegebenheiten, insbesondere über den geologischen bzw. hydrogeologischen Befund, zu machen. Dazu gehört es, mit allen zuständigen Behörden in dem gesetzlich vorgesehenen Maße zusammenzuwirken und ggf. Gutachten einzuholen. Diese Erkenntnisse des Bauherrn müssen dann an das Bohrunternehmen weitergegeben werden, um eine hinreichende Sensibilisierung des ausführenden Bauunternehmens für das Bohrprojekt herbeizuführen. Gegebenenfalls kann auch die Pflicht bestehen, dem Bohrunternehmen die Einsichtsmöglichkeit in den entsprechenden Behörden zu vermitteln. Schließlich ist der Bauherr verpflichtet, zu überwachen, ob das ausführende Bohrunternehmen die ihm übertragenen Verkehrssicherungspflichten beachtet. Im Einzelnen beinhaltet dies die Pflicht, zu kontrollieren, dass keine Gefahren durch das ausführende Bohrunternehmen verkannt werden und es sich bei seinen Arbeiten an die notwendigen technischen Vorgaben hält. Es muss insbesondere überwacht werden, dass sich das Bohrunternehmen an die Standards, die in der Ausschreibung vorgesehen sind, hält. Diese Standards wiederum müssen nach dem Stand der Technik erforderlich sein. Stand der Technik kann insoweit verstanden werden, als in der Praxis bewährt oder zumindest experimentell unter den üblichen Betriebsbedingungen erfolgreich erprobt. Der rechtliche Maßstab des Erlaubten bzw. Verbotenen, der die Verkehrssicherungspflichten konkretisiert, wird damit also durch den Stand der technischen Entwicklung vorgegeben. Eine permanente Kontrolle des Bohrunternehmens durch den Bauherrn ist allerdings nicht erforderlich. Notwendig ist nur, dass ein ausreichendes Maß an Kontrolle erreicht wird. Wann dieses vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Ist die Bohrtätigkeit eine komplexe und komplizierte Tätigkeit, so muss diese vom Bauherrn engmaschiger überwacht werden als bei einfacheren Bohrtätigkeiten,  ansonsten genügen im Zweifel stichprobenartige Kontrollen.  In manchen Fällen kann es bei Geothermiebohrungen problematisch sein, in welchem Maße eine Überwachung der Tätigkeiten überhaupt möglich ist, da es sich dabei um Arbeiten in teilweise beachtlichen Teufen handelt und eine direkte Überwachung der Bautätigkeit demnach schon praktisch nicht möglich ist. Vor dem Hintergrund, dass Verkehrssicherungspflichten nur soweit zu erfüllen sind, wie sie dem Pflichtigen zumutbar sind, reicht es bei derartigen Geothermiebohrungen grundsätzlich aus, dass der Verkehrssicherungspflichtige seine Kontrollen im höchstmöglichen Maß stattfinden lassen muss, um den Anforderungen an seine Überwachungstätigkeit gerecht zu werden. Gegebenenfalls ist der Bauherr auch verpflichtet, sich Hilfspersonen zu bedienen, die die Kontrolle besser und fachkundiger durchführen können als er.

 

cc) Verkehrssicherungspflichten des Bohrunternehmens für die Geothermiebohrungen

 

Das Bohrunternehmen eröffnet mit seiner Tätigkeit bei einer Geothermiebohrung eine konkrete Gefahrenlage für den Bauherrn und für Dritte. Ihm obliegen deshalb die oben bezeichneten allgemeinen Verkehrssicherungspflichten, insbesondere kann es sich nicht darauf berufen, es würde die Tätigkeit nur für einen anderen ausführen.

 

Die Verkehrssicherungspflichten des Bohrunternehmens sind verschiedenen Pflichtenkreisen zuzuordnen. Zum einen besteht die allgemeine Pflicht den Baustellenbereich so abzusichern, dass keine Gefahren für andere Personen davon ausgehen können. Zum anderen besteht aber auch eine Pflicht in Bezug auf die Baustelle (Bohrungsstelle) selbst. Sie muss so errichtet werden, dass von ihr keine Gefahren für den Auftraggeber ausgehen, wobei sich dies zumeist schon aus dem Vertrag zwischen Bauunternehmen  und Bauherrn ergeben dürfte. Ferner darf die Bohrtätigkeit auch keine Gefahr für Dritte darstellen, wobei hier insbesondere auf die mit dem Werk in Kontakt kommenden Verkehrskreise abzustellen ist und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob sie befugt oder unbefugt, gewollt oder ungewollt in Kontakt mit der Bohrung bzw. der Baustelle kommen. Die letztgenannte Pflicht erlischt erst, wenn von dem Bauwerk keine Gefahr mehr ausgeht oder ein anderer die Überwachung gewährleistet. Es kann also mitunter auch nach Abschluss der Arbeiten und Abnahme durch den Bauherrn fortbestehende Verkehrssicherungspflichten geben.

 

Ein besonderes Problem besteht immer dann, wenn es darum geht zu beurteilen, ob das gewählte Verfahren des Bohrunternehmens zur Durchführung der Geothermiebohrung Gefahren für Dritte birgt. Dies ist dann der Fall, wenn das gewählte Verfahren für die Umstände des Einzelfalls nicht ordnungsgemäß war, bzw. der Schutz Dritter vernachlässigt wurde. Soweit Bohrungen mit einem Imlochhammer und Luftspülung durchgeführt wurden, teilweise die Bohrlöcher verrohrt worden sind und eine Verpressung einer feststoffreichen Suspension stattfand, mag ein solches Vorgehen möglicherweise als nicht besonders vorsichtig klassifiziert werden, doch kommt es darauf an, ob das konkrete Vorgehen, im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls, dem Stand der Technik entsprechend angesehen werden kann, denn es wird auch vom Bohrunternehmen keine absolute Sicherheit verlangt. Auch die Möglichkeit eines weniger Gefahren auslösenden Alternativverhaltens spielt nur dann eine Rolle, wenn dies die näherliegende Vorgehensmöglichkeit gewesen wäre und als solche dem Bohrunternehmen auch zumutbar gewesen wäre.

 

b) Ansprüche aus dem Bergrecht

 

Da Geothermiebohrungen zu den in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BBergG bezeichneten Tätigkeiten gehören, liegt es nahe zu überprüfen, ob im speziellen Bergrecht Verkehrssicherungspflichten geregelt sind, deren Verletzung zu einer Haftung führt. Diese könnten ggf. den soeben dargestellten Verkehrssicherungspflichten nach dem allgemeinen Deliktsrecht vorgehen, weil im Bergrecht ein besonderes Haftungsregime für Bergschäden vorgesehen ist.

 

aa) §§ 110, 111 BBergG

 

Aufgrund der Weite des Begriffs der Verkehrssicherungspflichten könnte man prüfen, ob sich aus §§ 110, 111 BBergG spezielle bergrechtliche Verkehrssicherungspflichten ergeben, die sich auf Geothermiebohrungen anwenden ließen. DemWortlaut der Normen nach, sieht das Bergrecht Sicherungsmaßnahmen (§ 111 BBergG) und Anpassungspflichten (§ 110 BBergG) vor, mit denen Schäden, die von Gewinnungsbetrieben gem. §4 Abs.8 BBergG ausgehen, vermieden oder vermindert werden können.

 

 Nach der Vorschrift des § 110 Abs. 1 BBergG muss ein Bauherr bei der Errichtung, Erweiterung oder wesentlichen Veränderung einer baulichen Anlage möglicherweise zu erwartenden bergbaulichen Einwirkungen auf die Oberfläche durch bestimmte Maßnahmen im Hinblick auf die baulichen Anlagen Rechnung tragen, wenn und soweit durch Gewinnungsbetriebe Beeinträchtigungen der Oberfläche zu befürchten sind, die den vorsorglichen Schutz baulicher Anlagen für Leben, Gesundheit oder bedeutende Sachgüter erforderlich machen. Bauherr ist dabei derjenige, der den Auftrag zur Errichtung, Erweiterung oder wesentlichen Veränderung einer baulichen Anlage erteilt. Neben den Eigentümern können Bauherrn auch diejenigen sein, die aufgrund eines dinglichen oder eines persönlichen Rechts zum Besitz berechtigt sind (z. B. Erbbauberechtigte, Pächter). Voraussetzung für die Verpflichtung ist, dass das Unternehmen – das ist die natürliche oder juristische Person oder die Personenhandelsgesellschaft, die eine der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BBergG bezeichneten Tätigkeiten in eigener Rechnung ausführt oder ausführen lässt (also das Bohrunternehmen) – ein entsprechendes Verlangen an den Bauherrn (also an den Auftraggeber der Bohrungen) richtet.

 

 Diese Regelung ist im Hinblick auf ihren dogmatischen Charakter noch nicht endgültig geklärt. Sie kann als eine Regelung verstanden werden, die auf bergrechtliche Besonderheiten abgestimmte, kombinierte Verkehrssicherungspflicht enthält. Auf der einen Seite muss der Unternehmer anzeigen, dass sich aus seiner – vom Bauherrn in Auftrag gegebenen Tätigkeit – Gefahren in Form von bergbaulichen Einwirkungen auf die Oberfläche ergeben, so dass sich der Bauherr darauf einstellen kann. Ihn trifft dann auf der anderen Seite die Verkehrspflicht, durch bestimmte Maßnahmen (Anpassung von Lage, Stellung oder Konstruktion einer baulichen Anlage) dafür zu sorgen, dass sich die durch die annoncierte Gefahr des Gewinnungsbetriebes von seiner baulichen Anlage ausgehende Gefahr für Leben, Gesundheit oder bedeutende Sachgüter, nicht manifestiert. Dabei sind grundsätzlich alle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, das Bauwerk den Einwirkungen des Bergwerkbetriebs zu entziehen oder dessen Einwirkungen zu mildern. Sowohl dem Bauherrn als auch dem Unternehmer obliegen damit (jeweils eigene) Verkehrssicherungspflichten, um Risiken, die im Zusammenhang mit der Eröffnung von Gefahren einhergehen, zu vermeiden. Da die in § 110 BBergG zum Ausdruck kommenden Verkehrssicherungspflichten in einer gegenseitigen Abhängigkeit zueinander stehen, sind die Rechtsfolgen anders ausgestaltet als bei den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten. Kommt der Unternehmer seiner Verkehrssicherungspflicht gegenüber dem Bauherrn nicht nach, so wird er diesem gegenüber daraus nicht etwa schadensersatzpflichtig, sondern er verliert lediglich den Einwand des Mitverschuldens bei Eintritt der Bergschäden beim Bauherrn. Dies ergibt sich daraus, dass vor Geltung des BBergG bereits anerkannt war, dass auch im Verhältnis zwischen Bergbau und Grundbesitz § 254 BGB anwendbar ist. Ein Verschulden des Grundbesitzers wurde u. a. dann angenommen, wenn er sein Bauwerk nicht den voraussehbaren Auswirkungen des Bergbaus anpasst. Dieser Ansatz wurde vom Gesetzgeber des BBergG übernommen und ausdrücklich mit einem vorherigen positiven Akt des Bauherrn („Verlangen“ ) verknüpft. Diese Rechtsfolge stellt sich für den Unternehmer wirtschaftlich- bilanziell betrachtet wie eine Leistung an den Geschädigten dar, denn er kann sich bei einem Anspruch des Bauherrn nach § 114 BBergG nicht mehr darauf berufen, dass dieser – soweit ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist – seinen Anspruch auf Ersatz eines Bergschadens wegen § 112 S. 1 BBergG verloren habe oder, wenn diese Schuldformen nicht vor liegen, der Schadensersatzanspruch gem. § 112 S. 3, 118 BBergG in Verbindung mit § 254 BGB gemindert werde. Kommt der Bauherr seinen Verkehrssicherungspflichten nicht nach, so trifft ihn ebenfalls keine Pflicht zu einer positiven Leistung, sondern er hat die – wirtschaftlich gleichwertige – Folge des Verlustes seines Anspruchs auf Ersatz des Bergschadens nach §114 BBergG (§112 S. 1 BBergG) – soweit ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist – bzw. in den anderen Fällen eine Minderung des Anspruchs nach Maßgabe der §§ 112 S. 3, 118 BBergG, 254 BGB hinzunehmen.

 

Die Vorschrift des § 111 Abs. 1 BBergG ergänzt die Vorschrift des § 110 BBergG für die Fälle, dass ein vorbeugender Schutz baulicher Anlagen, der zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit oder bedeutende Sachgüter notwendig ist, nicht ausreicht, dadurch, dass dann Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen sind. Unter Sicherungsmaßnahmen versteht das Gesetz die zur Sicherung gegen Bergschäden jeweils erforderlichen zusätzlichen baulichen Vorkehrungen (§ 111 Abs. 1 S. 1 BBergG). Aus der Perspektive von Verkehrssicherungspflichten ist § 111 BBergG parallel zu § 110 BBergG aufgebaut. Den Unternehmer trifft die Pflicht, dem Bauherrn ein „Verlangen“ anzuzeigen. Unterlässt er dies, so treffen ihn wegen des Verweises in § 112 S. 1 BBergG auf § 110 und auf § 111 BBergG dieselben Rechtsfolgen wie bei dem Unterlassen des Verlangens im Rahmen der Anpassungspflicht nach § 110 BBergG.

 

Der Bauherr ist verpflichtet, Sicherungsmaßnahmen nach Art und Umfang der zu erwartenden Bodenverformungen und nach Bauart, Größe, Form und Bergschadensempfindlichkeit der baulichen Anlage zu ergreifen. Kommt er dieser Obliegenheit vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nach, so verliert er ggf. seinen Bergschadensersatzanspruch gem. § 114 BBergG gegen den Bauherrn, oder der Anspruch gem. §§ 112 S. 3, 118 BBergG, § 254 BGB wird – wenn die anderen Verschuldensformen vorliegen – gemindert.

 

Die Besonderheiten der §§ 110, 111 BBergG nach der hier vertretenen Lesart bestehen darin, dass diese Verkehrssicherungspflichten nur im gegenseitigen Verhältnis von Bauherrn und Unternehmen bestehen und Dritte dementsprechend nicht einbezogen sind. Daher dürfte der praktische Anwendungsbereich eher gering sein. Zudem geht das Gesetz offensichtlich davon aus, dass die Pflichten bestehen, bevor auf dem Grundstück des Bauherrn eine bauliche Anlage errichtet wird mit der Folge, dass diese Verkehrssicherungspflichten keine Anwendung finden, wenn der Unternehmer für den Bauherrn tätig wird und sich auf dem Grundstück zu diesem Zeitpunkt bereits bauliche Anlagen befinden.

 

bb) § 114 BBergG

 

Die zentrale Haftungsnorm des Bergrechts ist § 114 BBergG, der nach ganz h.M. eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung beinhaltet. Da eine Haftung nach dem Konzept der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten stets ein Verschulden voraussetzt, lassen sich aus § 114 BBergG keine Tatbestände ableiten, die zu diesem Konzept passen.

 

Gleichwohl ist der Haftungstatbestand nach § 114 BBergG im Hinblick auf Verkehrssicherungspflichten keineswegs unwesentlich. Zum einen stellt sich die Frage, ob neben einer Haftung wegen eines eingetretenen Bergschadens nach § 114 BBergG auch noch eine Haftung wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht in Betracht kommt, und zum zweiten stellt sich die Frage des Verhältnisses der Haftung aus § 114 BBergG zu der Haftung eines Dritten aus der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.

 

(1) Weitergehende Haftung

 

Gem. § 121 BBergG bleibt die Anwendbarkeit von gesetzlichen Vorschriften, nach denen für einen Schaden im Sinne des § 114 BBergG in weiterem Umfang gehaftet wird als nach den Vorschriften des zweiten Abschnitts des dritten Kapitels des BBergG (§ 114 ff. BBergG), unberührt. Damit wird zum einen gewährleistet, dass der Haftungsadressat des § 114 BBergG (der Unternehmer nach § 115 BBergG und/oder der Bergbauberechtigte nach § 116 BBergG) auch dann konkurrierenden – und weitergehenden – Ansprüchen ausgesetzt ist, wenn er für einen Bergschaden nach § 114 Abs. 1 BBergG haften muss und die anderen Haftungsnormen eine Haftung in einem weiteren Umfang vorsehen. Zum anderen macht § 121 BBergG deutlich, dass die Haftung anderer für den eingetretenen Schaden unberührt bleibt. Im Hinblick auf Geothermiebohrungen ist diese Vorschrift besonders dort von Bedeutung, wo dem Unternehmer oder einem Dritten die schuldhafte Verletzung von Verkehrssicherungspflichten vorgeworfen werden kann, etwa weil er bei der Gewinnung der Erdwärme eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält und der Pflicht zur Verhütung der von dieser Quelle ausgehenden Sachoder Tätigkeitsgefahren schuldhaft nicht nachkommt. Im Hinblick auf diese weitergehende Haftung gilt die Haftungsbegrenzung nach § 117 Abs. 1 BBergG nicht und der Geschädigte kann zusätzlich einen Nichtvermögensschaden geltend machen.

 

 Im Einzelnen ungeklärt ist hingegen die Frage, ob sich der Inhaber eines Anspruchs wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten – soweit es für den Tatbestand auf die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ankommt – auf die Bergschadensvermutung des § 120 BBergG berufen darf. Ausgeschlossen ist die Anwendbarkeit des § 120 BBergG auf Schäden, die durch Geothermiebohrungen verursacht worden sind, nicht bereits deshalb, weil die Anwendung der Beweiserleichterung des § 120 BBergG für die Aufsuchung und Gewinnung von Erdöl und Erdgas mithilfe von Bohrlöchern bezweifelt wird, denn im Gegensatz zu Erdöl und Gas ist das Aufsuchen und Gewinnen von Erdwärme ausdrücklich dem Anwendungsbereich des BBergG und damit des §120 BBergG unterworfen (§2 Abs.1 Nr.1 und §3 Abs.3 S.2 Nr. 2 BBergG). Denkbar ist die Anwendung des § 120 BBergG dort, wo das tatbestandliche Vorliegen eines Bergschadens Voraussetzung für die Bejahung eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ist. Jedoch spricht dagegen, dass § 121 BBergG nur ermöglichen möchte, dass ein über den Bergschadensersatzanspruch hinausgehenden Umfang des Schadens geltend gemacht werden kann bzw. andere Haftungsadressaten in Anspruch genommen werden können. Der Umfang und die Voraussetzungen richten sich dann nach den anderen, jeweils anzuwendenden Regelungen. Darüber hinaus bedeutet die Bergschadensvermutung des § 120 BBergG einen Einbruch in das allgemeine System der Beweisregelungen und findet ihre Rechtfertigung in den Besonderheiten des Bergschadensrechts.  Als Ausnahmevorschrift sollte sie deshalb einen engen  Anwendungsbereich behalten und nicht auf andere Schadensersatzansprüche ausgedehnt werden. Darüber hinaus könnte im Hinblick auf die Geothermiebohrungen die Anwendbarkeit des § 120 BBergG auch deshalb problematisch sein, weil sich diese Beweiserleichterung dem Wortlaut der Norm nach nur auf Senkungen, Pressungen oder Zerrungen der Oberfläche oder auf das Entstehen von Erdrissen bezieht. Hebungen der Erdoberfläche, wie sie durch Geothermiebohrungen ebenfalls denkbar sind, werden in der Norm hingegen nicht erwähnt. Vor dem Hintergrund, dass die Norm Beweiserleichterung bei Schäden aufgrund von Bodenverformungen erreichen möchte, und derartige Bodenverformungen auch durch Hebungen entstehen können, sollte trotz des insoweit zumindest missverständlichen Wortlauts die Aufzählung der Verformungsgründe nicht als enumerativ verstanden werden und die Bergschadensvermutung auch auf Schäden aufgrund von Hebungen erstreckt werden.

 

(2) Haftung des Bergschadensverantwortlichen und eines Verkehrssicherungspflichtigen als Gesamtschuldner

 

Wenn bei der Entstehung eines Bergschadens aufgrund einer Geothermiebohrung eine Ursache eine Rolle spielt, die die Ersatzpflicht eines Dritten aufgrund eines anderen Gesetzes begründet, so haftet der wegen des Bergschadens Ersatzpflichtige und der Dritte dem Geschädigten gegenüber als Gesamtschuldner (§ 119 BBergG). Denkbar sind solche Fälle vor allem dort, wo der Auftraggeber einer Geothermiebohrung als Ersatzpflichtiger nach § 114 BBergG in Betracht kommt und dem Bohrunternehmen die schuldhafte Verletzung von ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten vorgeworfen werden kann. § 119 S. 2 Nr. 2 BBergG verweist für den Ausgleich zwischen den Bergschadensersatzpflichtigen und dem Dritten auf die Regelung des § 115 Abs. 2 S. 2 BBergG. Interessanterweise bezieht sich der Verweis auf § 115 Abs. 2 S. 2 BBergG dem Wortlaut des § 119 S. 2 Nr. 1 BBergG nach aber nur auf den nach § 115 BBergG Ersatzpflichtigen und nicht auch auf den nach § 116 BBergG Ersatzpflichtigen. Da aber kein Grund ersichtlich ist, warum der Bergbauberechtigte hinsichtlich der gesamtschuldnerischen Haftung mit einem Dritten anders behandelt werden soll als der Unternehmer, insbesondere weil § 116 Abs. 1 BBergG den Bergbauberechtigten dem ersatzpflichtigen im Hinblick auf die Ersatzpflicht gleichstellt und damit den Kreis der Schadensersatzpflichtigen zugunsten des Geschädigten erweitert , muss es sich um ein Redaktionsversehen handeln. Vor diesem Hintergrund sollte auch der nach § 116 BBergG Verpflichtete – entgegen des Wortlauts des § 119 S. 2 Nr. 1 BBergG – von dem Verweis auf die Gesamtschuldnerschaft nach § 115 Abs. 2 S. 2 BBergG erfasst werden. Gem. § 115 Abs. 2 S. 2 BBergG hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Bergschaden vorwiegend von dem Bergschadensersatzpflichtigen oder dem Dritten verursacht worden ist. Im Zweifel kommt es zu einer Teilung in gleiche Anteile (§ 115 Abs. 2 S. 2, 2. HS BBergG). Jedenfalls muss der Bergschadensersatzpflichtige aber nicht über den Haftungshöchstbetrag des § 117 BBergG hinaus Ersatz leisten (§ 119 S. 3 BBergG).

 

Ein wesentliches Problem der gesamtschuldnerischen Haftung des Bergschadensersatzpflichtigen und des Verkehrssicherungspflichtigen wird in der Literatur darin gesehen, dass aufgrund der Bergschadensvermutung des § 120 BBergG die Inanspruchnahme des Bergschadensersatzpflichtigen nahe liegt und dessen Haftung auslöst. Der Gesamtschuldnerrückgriff führe im Zweifel nur zur Haftung nach gleichen Teilen, so dass der Verkehrssicherungspflichtige dadurch bevorteilt würde, obwohl er die Gefahrenlage eher beherrsche und deshalb dem Schaden näher stünde. Dogmatisch sei dies nicht gerechtfertigt, da die Gefährdungshaftung des § 114 BBergG eingeschränkt werden müsse, wenn jemand aufgrund vorwerfbaren Verhaltens – wie etwa bei Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht – ebenfalls für den Schaden einstehen müsse. Eine Haftung nach § 114 Abs. 1 BBergG komme in diesen Fällen demnach nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen in Betracht, z. B. dann, wenn es sich um einen, auf eine Aufsuchung oder Gewinnung ursächlich zurückgehende objektive Gefahrenlage handele, die das Risiko eines plötzlich auftretenden Schadensfalls in Form eines Unfalls in besonderem Maße erhöht und deshalb auch graduell ein höheres Verletzungsrisiko in sich berge.

 

Gegen diesen Versuch der Einschränkung der Gefährdungshaftung des § 114 BBergG spricht aber der gesetzgeberische Wille, der die besondere Art der Haftung des § 114 BBergG gerade als Kompensation für die Duldungspflicht eines Eigentümers eines Grundstücks oder einer Sache ausgestaltet hat. Zudem gibt der eindeutige Verweis auf die Binnenaufteilungsvorschrift des § 115 Abs. 2 S. 2 BBergG keinen Spielraum für eine andere Wertung. Eine Verengung der Gefährdungshaftung nach § 114 BBergG würde zulasten des Geschädigten gehen, der sich gegenüber dem Verkehrssicherungspflichtigen gerade nicht auf die Beweiserleichterung des § 120 BBergG berufen kann. Das Gesetz hat die Interessenlage eindeutig zugunsten des Geschädigten entschieden. Das bedeutet, dass der Umstand, dass der Bergschadensverpflichtete möglicherweise ein bestimmtes Haftungsrisiko tragen muss, obwohl der Verkehrssicherungspflichtige näher an dem Risiko dran ist und dies besser beherrschen kann, eine gewollte Entscheidung zulasten des Bergschadensverpflichteten ist. Ihm ist im Gegenzug die Möglichkeit gegeben, in einem Prozess gegen den nicht in Anspruch genommenen Verkehrssicherungspflichtigen zu zeigen, dass der Bergschaden vorwiegend von dem Verkehrssicherungspflichtigen verursacht worden ist und so zu einem Ausgleich zu kommen. Eine ebenfalls vorgeschlagene Anwendung des Grundgedankens des § 840 Abs. 3 BGB mit der Folge, dass der schuldhaft handelnde Verkehrssicherungspflichtige den ganzen Schaden allein tragen müsste, ist auch abzulehnen, weil diese Vorschrift einen anders gelagerten Fall regelt und deshalb ein allgemeiner Grundsatz daraus nicht abgeleitet werden kann.

 

cc) Zwischenergebnis

 

Spezifische Verkehrssicherungspflichten, die für die Geothermiebohrungen von Interesse sein könnten, sind im Bergrecht allenfalls nur am Rande ausgeprägt. Denkbar ist namentlich eine Interpretation der §§ 110, 111 BBergG als Verkehrssicherungspflichten, die aber aufgrund des engen Anwendungsbereichs kaum eine praktische Bedeutung haben dürften. Ferner macht das Bergrecht deutlich, dass Ansprüche aus der Verletzung der allgemeinen deliktischen Verkehrssicherungspflicht neben Ansprüchen wegen Haftung für Bergschäden geltend gemacht werden können, soweit diese über jene hinausgehen. Der Geschädigte hat zudem die Möglichkeit in dem Fall, in dem ihm für einen Schaden  sowohl der Bergschadensersatzpflichtige als auch ein Verkehrssicherungspflichtiger haften müssen, denjenigen auszuwählen, von dem er Ersatz des Schadens wünscht. Dies ist Ausdruck des Schutzes des Geschädigten und geht etwaigen Unbilligkeiten hinsichtlich der Haftung trotz unterschiedlicher Beherrschbarkeit von Risiken durch den Bergschadenspflichtigen im Vergleich zum Verkehrssicherungspflichtigen vor.

 

 

IV. Ergebnis

 

Verkehrssicherungspflichten bei Geothermiebohrungen ergeben sich im Wesentlichen aus den allgemeinen Regeln der Verkehrssicherungspflicht gem. § 823 Abs. 1 BGB. Sie betreffen sowohl den Auftraggeber der Geothermiebohrung als auch das beauftrage Bohrunternehmen. Die konkreten Pflichten ergeben sich immer im Einzelfall und können durch technische und rechtliche Vorgaben konkretisiert werden. Die Delegation eigener Verkehrssicherungspflichten durch den Bauherrn führt nicht zu einer Entledigung von Verkehrssicherungspflichten. Sie wandeln sich dann vielmehr in Kontrollpflichten um. Dasselbe gilt für den Fall, dass der Bauherr Planung und Bohrung an ein Bohrunternehmen überträgt. Das Bohrunternehmen selbst unterliegt dann eigenen Verkehrssicherungspflichten; der Auftraggeber behält aber die Pflicht zur korrekten Auswahl, Instruktion und Kontrolle des beauftragten Bohrunternehmens. Sind sowohl dem Bauherrn als Auftraggeber als auch dem Bohrunternehmen Verletzungen ihrer jeweiligen Verkehrssicherungspflichten vorzuwerfen, haften sie dem Geschädigten gegenüber als Gesamtschuldner nach §§ 421 ff. BGB.

 

Für die Fälle von Geothermiebohrungen, in denen das Bergrecht einschlägig ist, ergeben sich aus dem Bergrecht keine weiteren, relevanten Verkehrssicherungspflichten für die Beteiligten an einer Geothermiebohrung. Allerdings kann neben einem Anspruch wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB ggf. auch ein Bergschadensersatzanspruch nach § 114 BBergG geltend gemacht werden. Derjenige, der aus Bergschadensrecht haften muss, haftet dann als Gesamtschuldner mit demjenigen, der für denselben Schaden aus Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht haften muss. 

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