Antidiskriminierung - Teil IV: Sexuelle Orientierung
Durch vier Richtlinien, die die EU seit dem Jahre 2000 verabschiedet hat und durch das im August des letzten Jahres in Kraft getretene deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sollen Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft bzw. Rasse, aufgrund von Religion/Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Orientierung oder des Geschlechts verhindert oder beseitigt werden. Prof. Uta Klein erläutert im abschließenden Teil IV der Reihe Antidiskriminierung in Deutschland in GiP 1/2008 das Diskriminierungsmerkmal sexuelle Orientierung.
Dateianhänge:
Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG verbietet Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der - wie es in der deutschen Übersetzung heißt- sexuellen Ausrichtung in Beschäft igung und Beruf. Im englischen Text wird von „sexual orientation" gesprochen. Der Begriff beinhaltet lediglich die sexuelle Ausrichtung auf andere Menschen, was in diesem engen Sinne Homosexuelle und Bisexuelle schützt. Transsexuelle sind nach einer geschlechtsangleichenden Operation vom Merkmal Geschlecht geschützt - so der EuGH. Die Frage, der die Kommission derzeit nachgeht, ist gleichwohl, wie die Mitgliedstaaten die Reichweite des Schutzes implementiert haben. Auch in der Charta der Grundrechte (Art. 21 Absatz 1; Verbot der Diskriminierung) fand sich bereits der Begriff „sexuelle Ausrichtung".
Das AGG verwendet den Begriff „sexuelle Identität". Die Intention des Begriff s war es, den Schutz auf Trans- und Intersexuelle auszudehnen. In einem früheren Entwurf des Bundesjustizministeriums wurde klargestellt: „Die sexuelle Identität nimmt Bezug auf die Benachteiligung von Homosexuellen männlichen und weiblichen Geschlechts. Erfasst werden aber auch transsexuelle oder zwischengeschlechtliche Menschen".3
Gleichwohl löst auch dieser Begriff Verwirrung aus. So schreibt etwa der Deutsche Antidiskriminierungsverband, unter sexueller Identität sei „die Präferenz bei der sexuellen Partnerwahl zu verstehen, also üblicherweise neben heterosexuell auch homosexuell oder bisexuell."4 Trans- und Intersexualität werden nicht erwähnt. Diese Auslegung wäre enger und die Richtlinienkonformität fraglich.
Insgesamt ist die Begrifflichkeit nicht zufriedenstellend. Der Begriff „sexuelle Ausrichtung" ist für Transsexuelle sowie Intersexuelle bedeutungslos, da sie wie alle anderen Menschen sowohl homo- als auch heterosexuell sein können. Insofern siedelt der EuGH in seiner Rechtsprechung den Schutz dieser Gruppen auch unter den Bereich des Schutzes vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes an.
Auch dies ist unbefriedigend, da nicht alle Transsexuelle eine operative Angleichung an das Wunschgeschlecht vornehmen lassen und gerade Transgender sich gegen die von der Gesellschaft erwartete Zuordnung zu einem von zwei Geschlechtern wehren. Der Begriff „sexuelle Identität" hingegen entspringt einem veralteten Identitätskonzept, das von einer starren Identität im Sinne einer „Prägung" ausgeht. Die Geschlechterforschung legt Wert darauf, dass Identität wandelbar und prozesshaft ist. Zutreff ender wären daher Begriffe wie sexuelle Identifi zierung oder aber sexuelle oder geschlechtliche Selbstdefinition.
2.1 Probleme in EU-Mitgliedstaaten
Durch verschiedene Vorfälle ist deutlich geworden, wie stark eine Homophobie in einigen Mitgliedstaaten verbreitet ist. So wurden in Polen 2005 vom damaligen Warschauer Oberbürgermeister und späteren polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński Demonstrationen für Toleranz und Gleichberechtigung verboten. Dieses Verbot verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Frühjahr 2007 als diskriminierend und als Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit. Organisationen aus Polen berichten über gewalttätige Übergriffe und Diskriminierung gegenüber Homosexuellen.
Im Gespräch war ein Gesetz, das zur Entlassung solcher Lehrer führen sollte, die sich off en zu ihrer Homosexualität bekennen. 2006 hatte die polnische Regierung den Leiter des Zentrums für Lehrerfortbildung entlassen und die Verteilung eines offiziellen Handbuchs des Europarats zur Bekämpfung der Diskriminierung verboten. Eine Umfrage des Instituts GfK Polonia unter 987 erwachsenen Befragten ergab, dass 54 Prozent der Polen Homosexualität für eine geschlechtliche Verwirrung und Perversion halten.5 39 Prozent sprechen von psychischer Krankheit. 38 Prozent der Befragten hingegen akzeptieren Gleichgeschlechtlichkeit als Lebensauffassung wie jede andere auch. 22 Prozent forderten, den gesellschaftlichen Bewegungsspielraum von Schwulen und Lesben einzuschränken. Lediglich 3 Prozent meinten, als diskriminierte Minderheit müssten diese besondere Fürsorge genießen.
In Lettland und Litauen wurde heterosexuellen Paaren verfassungsrechtlich der Familienstatus aberkannt.
Bürgerorganisationen im Vereinigten Königreich weisen auf die Zunahme von Schikanen in weiterführenden Schulen aufgrund von Homophobie hin. In den Niederlanden wurde ein Homosexueller wegen seiner sexuellen Ausrichtung und seiner femininen Aufmachung zu Tode geknüppelt.
Als Reaktion auf solche Entwicklungen wurde im europäischen Parlament 2007 auf Initiative der „Intergroup für die Rechte von Schwulen und Lesben" eine Resolution verabschiedet.6 Diese verurteilt Demonstrationsverbote, das Schüren von Hass auch durch „führende Politiker und religiöse Oberhäupter" und das Aufstacheln zu physischer Gewalt. Die notwendige Gleichbehandlung von Lesben, Homosexuellen, Bisexuellen und Transgendern wird betont. Verbunden ist mit der Resolution die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, den Kampf gegen die Homophobie mit Bildungsmaßnahmen und Kampagnen in Schulen, Universitäten und Medien zu verstärken.
2.2 Deutschland
Fraglos ist in den letzten Jahrzehnten die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber homosexuellen Lebensweisen gestiegen. Gleichwohl müssen negative Einstellungen gegenüber Homosexuellen zu denken geben, wie sie im Forschungsprojekt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld gemessen werden. In diesem Projekt werden Abwertungen und Feindseligkeiten gegenüber Gruppen mit gemeinsamen Merkmalen gemessen, wie gegenüber Ausländer/innen, Obdachlosen, Menschen mit Behinderungen und eben Homosexuellen.
Deutlich wird aus den Ergebnissen, dass Personen, die fremdenfeindlichen Aussagen zustimmen, dies auch eher in Bezug auf rassistische, antisemitische und sexistische Aussagen tun, d.h. dass es so etwas wie eine Ideologie der Ungleichwertigkeit gibt. Die Ergebnisse zeigen seit 2000 eine teilweise wachsende Abwertung gegenüber „schwachen Gruppen".8
„Rund 90 Prozent der privaten Lebens- und Krankenversicherungen weigern sich, mit schwulen Männern Verträge abzuschließen, weil sie das ‚AIDS-Risiko‘ fürchten. Sie fragen aber nicht nach der sexuellen Identität der Antragsteller, noch verlangen sie vor dem Abschluss einen HIV-Antikörpertest, sondern lehnen den Vertragsabschluss ohne Begründung ab, wenn der Antragsteller in Eingetragener Lebenspartnerschaft lebt oder wenn er in seinem Antrag einen anderen Mann als Begünstigten benannt hat. Die Abgelehnten werden in eine ‚Schwarze Liste‘ aufgenommen mit der Folge, dass sich auch alle anderen Versicherer weigern, mit ihm einen Vertrag abzuschließen."
Quelle: Manfred Bruns: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien, März 2005
Frauen äußern eher fremdenfeindliche, rassistische und islamophobe Einstellungen, während Männer eher als Frauen antisemitischen und homophoben Aussagen zustimmen. Homophobie wächst auch deutlich mit steigendem Alter.Eine neue Studie zeigt, dass homosexuellenfeindliche Einstellungen unter Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund wesentlich stärker verbreitet sind als in der deutschen Vergleichsgruppe.7
So stimmen knapp 50 Prozent der befragten Jungen türkischer Herkunft und 21,1 Prozent der Mädchen der Aussage zu: „Wenn ich wüsste, dass mein Nachbar schwul ist, würde ich lieber keinen Kontakt zu ihm haben" (gegenüber 16,1 Prozent der Jungen deutscher Herkunft und nur 0,4 Prozent der Mädchen deutscher Herkunft ).
Diese Ausgrenzung durch Gleichaltrige macht Kinder und Jugendliche verwundbar, die sich lesbisch, schwul oder bisexuell entwickeln. Schätzungen gehen davon aus, dass in höheren Klassen pro Klassenstufe 1 bis 2 Jugendliche eine nichtheterosexuelle Orientierung haben. Sie werden von Mitschülerinnen und Mitschülern lächerlich gemacht und schikaniert, wenn sie sich outen. Diese Phase des „Coming-out" ist für viele Schwule und Lesben mit Krisen verbunden, mit Einsamkeitsgefühlen, mit Selbstverachtung und depressiven Stimmungen.
Nun ist zwischen Einstellungsmustern und diskriminierendem Verhalten zu unterscheiden. Wenige Studien liegen zu Diskriminierungserfahrungen erwachsener Homosexueller vor, noch weniger zu Diskriminierungserfahrungen Transsexueller. Eine Befragung von 2.500 homosexuellen Männern und Frauen durch die bayerische Landeshauptstadt München 2003 ergab, dass 15 Prozent der Lesben und Schwulen am Arbeitsplatz negative Erfahrungen mit Kolleginnen und Kollegen und 21 Prozent mit Arbeitgebern hatten, wenn ihre Homosexualität bekannt wurde. 14 Prozent der Schwulen und 21 Prozent der Lesben haben sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt, 35 Prozent wurden in den Familien benachteiligt oder abgelehnt. Etwa 60 Prozent haben Beschimpfungen erlebt, knapp 40 Prozent psychischen Druck, Bedrohung und Einschüchterung und knapp 20 Prozent der Lesben und Schwulen wurden wegen ihrer Homosexualität Opfer von Gewalthandlungen.9
Die Diskussion über Gewalt gegen Homosexuelle bezieht sich fast immer auf Gewalt gegen Schwule. Auch angezeigte Fälle von Gewalttaten gegenüber lesbischen Frauen gibt es sehr wenige, von denen einige sich auf Gewalthandlungen innerhalb der Partnerinnenschaft beziehen. Zu vermuten ist, dass es hier eine Dunkelziffer gibt, da bei einer Anzeige die eigene Homosexualität off enbart werden müsste. Fraglich ist insgesamt, ob wirklich homosexuelle Frauen so viel weniger von Gewalt betroffen sind als Männer oder ob, wie Constance Ohms vermutet, die geringe Kenntnis von der öffentlichen Nichtwahrnehmung von Lesben herrührt.10
Besonders in und seit den 90er Jahren sind rechtliche und politische Aktivitäten zur Antidiskriminierung und Gleichstellung von Homosexuellen verstärkt worden. So wurden in Bundesländern Referate eingerichtet wie Lesben- und Schwulenreferate bereits 1989 in Berlin und später dann auch in Hessen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder aber Personen mit einem Auft rag versehen.
Vor der Verabschiedung des AGG existierten bereits in einigen Ländern Antidiskriminierungsgesetze, die auch sexuelle Orientierung umfassen. In der Berliner Landesverfassung heißt es beispielsweise: „Niemand darf wegen... seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden" (Art.10, Abs.2). Artikel 2 Absatz 3 der Landesverfassung von Thüringen´verbietet die Bevorzugung und die Benachteiligung von Personen wegen ihrer „sexuellen Orientierung". Auf Bundesebene war ein entscheidender rechtlicher Schritt das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften. Seit 2001 können gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland eine rechtlich abgesicherte Lebenspartnerschaft eingehen. Rechtliche Diskriminierungen gleichgeschlechtlicher Paare wurden abgebaut. Gleichwohl sind noch nicht in allen Bereichen gleiche Rechte verwirklicht, obwohl das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 17. Juli 2002 festgestellt hat: „Der besondere Schutz der Ehe in Artikel 6 Abs. 1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pfl ichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen" (BVerf-GE 105, 313).
Die gleiche Anerkennung im Steuer- und Beamtenrecht scheiterte 2002 im Bundesrat. 2005 wurden mit dem Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts eine Gleichstellung in die Hinterbliebenenversorgung bei der gesetzlichen Rentenversicherung und die Stiefkindadoption leiblicher Kinder ermöglicht.
Im Jahr 2005 lebten in Deutschland mindestens 60.000 Personen in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften, 36.000 davon zwischen Männern, 24.000 zwischen Frauen. Nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes waren es sogar 173.000.11 Ungerechtigkeiten zwischen den eingetragenen Lebenspartnerschaften und ehelichen Gemeinschaften werden nach wie vor von Gruppen und Verbänden beklagt. So müssen sie Unterhaltspfl ichten wie Ehegatten übernehmen, die im Steuerrecht aber nicht berücksichtigt werden. Kritisiert wird auch die nicht vollständige Anpassung des Beamtenrechts an das Lebenspartnerschaft srecht, vor allem hinsichtlich des Familienzuschlags, der Hinterbliebenenpension und der Beihilfe.
Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) versucht, auch für die sexuelle Identität einen umfassenden Diskriminierungsschutz auf Verfassungsebene zu verankern und hat dafür jüngst einen Aufruf für eine Erweiterung des Grundgesetzartikels 3 Abs. 3 gestartet (s. Abb.).12 Ziel des Verbandes ist es, dass hier in den Katalog der gegen Diskriminierung zu schützenden Merkmale auch das Merkmal „sexuelle Identität" aufgenommen wird. 1994 hatte ein gleicher Versuch noch keine parlamentarische Mehrheit gefunden. Die Unterstützung reicht vom Deutschen Juristinnenbund und der Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen (BASJ) bis zu prominenten Personen wie Iris Berben, Maybrit Illner, Maria Jepsen, Hape Kerkeling, Heiner Geißler und anderen.
Durch vier Richtlinien, die die EU seit dem Jahre 2000 verabschiedet hat und durch das im August des letzten Jahres in Kraft getretene deutsche allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sollen Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft bzw. Rasse, aufgrund von Religion/Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Orientierung oder des Geschlechts verhindert oder beseitigt werden.
Ursachen und Mechanismen von Diskriminierung sind dabei sehr komplex und die Folgen unterscheiden sich für die angesprochenen Gruppen. Insofern müssen auch Maßnahmen an unterschiedlichen Stellen ansetzen, die eine Teilhabeförderung von Minderheiten bzw. benachteiligten Gruppen in einer Gesellschaft bewirken wollen.
In vier Folgen wurden jeweils Ausmaß und Hintergründe von Diskriminierung behandelt und Möglichkeiten des Schutzes vor Diskriminierung durch die EU-Richtlinien und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ausgelotet. Zunächst standen ethnische Herkunft /Rasse und Religion/Weltanschauung im Vordergrund (Heft 2/2007), dann Behinderung und Alter (Heft 4/2007), im dritten Beitrag Geschlecht (Heft 6/2007) und in dieser letzten Folge geht es um sexuelle Orientierung.
Zum ersten Mal in der Geschichte des Deutschen Bundestages erklärte dieser 2005, „sich gegen jede Form der Diskriminierung junger Schwuler und Lesben sowie gegen deren Arbeit vor Ort" zu wenden.1
Schon alleine die Wortwahl zeigt, dass sich gesellschaftlich das Bild von Homosexualität gewandelt hat. „Schwul" und „lesbisch" waren früher Schimpfwörter. Sie werden zwar auch heute noch vereinzelt als solche gebraucht, sind aber mittlerweile Ausdruck einer Emanzipationsbewegung und eines gestiegenen Selbstbewusstseins. Die Verwendung durch den Bundestag symbolisiert die Anschlussfähigkeit an die Selbsthilfebewegung und an Nichtregierungsorganisationen.
Der gesellschaftliche Wandel wird besonders deutlich, wenn man sich daran erinnert, dass der Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs erst 1994 endgültig abgeschafft wurde, der - letztlich seit 1870/71 - „widernatürliche Unzucht" zwischen erwachsenen Männern unter Strafe stellte.2
Gleichwohl existieren Diskriminierungen gegenüber Homosexuellen und auch Trans- und Intersexuellen, weshalb politische und rechtliche Anstrengungen und auch Programme im Bildungsbereich z.B. notwendig sind.
Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG verbietet Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der - wie es in der deutschen Übersetzung heißt- sexuellen Ausrichtung in Beschäft igung und Beruf. Im englischen Text wird von „sexual orientation" gesprochen. Der Begriff beinhaltet lediglich die sexuelle Ausrichtung auf andere Menschen, was in diesem engen Sinne Homosexuelle und Bisexuelle schützt. Transsexuelle sind nach einer geschlechtsangleichenden Operation vom Merkmal Geschlecht geschützt - so der EuGH. Die Frage, der die Kommission derzeit nachgeht, ist gleichwohl, wie die Mitgliedstaaten die Reichweite des Schutzes implementiert haben. Auch in der Charta der Grundrechte (Art. 21 Absatz 1; Verbot der Diskriminierung) fand sich bereits der Begriff „sexuelle Ausrichtung".
Das AGG verwendet den Begriff „sexuelle Identität". Die Intention des Begriff s war es, den Schutz auf Trans- und Intersexuelle auszudehnen. In einem früheren Entwurf des Bundesjustizministeriums wurde klargestellt: „Die sexuelle Identität nimmt Bezug auf die Benachteiligung von Homosexuellen männlichen und weiblichen Geschlechts. Erfasst werden aber auch transsexuelle oder zwischengeschlechtliche Menschen".3
Gleichwohl löst auch dieser Begriff Verwirrung aus. So schreibt etwa der Deutsche Antidiskriminierungsverband, unter sexueller Identität sei „die Präferenz bei der sexuellen Partnerwahl zu verstehen, also üblicherweise neben heterosexuell auch homosexuell oder bisexuell."4 Trans- und Intersexualität werden nicht erwähnt. Diese Auslegung wäre enger und die Richtlinienkonformität fraglich.
Insgesamt ist die Begrifflichkeit nicht zufriedenstellend. Der Begriff „sexuelle Ausrichtung" ist für Transsexuelle sowie Intersexuelle bedeutungslos, da sie wie alle anderen Menschen sowohl homo- als auch heterosexuell sein können. Insofern siedelt der EuGH in seiner Rechtsprechung den Schutz dieser Gruppen auch unter den Bereich des Schutzes vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes an.
Auch dies ist unbefriedigend, da nicht alle Transsexuelle eine operative Angleichung an das Wunschgeschlecht vornehmen lassen und gerade Transgender sich gegen die von der Gesellschaft erwartete Zuordnung zu einem von zwei Geschlechtern wehren. Der Begriff „sexuelle Identität" hingegen entspringt einem veralteten Identitätskonzept, das von einer starren Identität im Sinne einer „Prägung" ausgeht. Die Geschlechterforschung legt Wert darauf, dass Identität wandelbar und prozesshaft ist. Zutreff ender wären daher Begriffe wie sexuelle Identifi zierung oder aber sexuelle oder geschlechtliche Selbstdefinition.
2.1 Probleme in EU-Mitgliedstaaten
Durch verschiedene Vorfälle ist deutlich geworden, wie stark eine Homophobie in einigen Mitgliedstaaten verbreitet ist. So wurden in Polen 2005 vom damaligen Warschauer Oberbürgermeister und späteren polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński Demonstrationen für Toleranz und Gleichberechtigung verboten. Dieses Verbot verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Frühjahr 2007 als diskriminierend und als Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit. Organisationen aus Polen berichten über gewalttätige Übergriffe und Diskriminierung gegenüber Homosexuellen.
Im Gespräch war ein Gesetz, das zur Entlassung solcher Lehrer führen sollte, die sich off en zu ihrer Homosexualität bekennen. 2006 hatte die polnische Regierung den Leiter des Zentrums für Lehrerfortbildung entlassen und die Verteilung eines offiziellen Handbuchs des Europarats zur Bekämpfung der Diskriminierung verboten. Eine Umfrage des Instituts GfK Polonia unter 987 erwachsenen Befragten ergab, dass 54 Prozent der Polen Homosexualität für eine geschlechtliche Verwirrung und Perversion halten.5 39 Prozent sprechen von psychischer Krankheit. 38 Prozent der Befragten hingegen akzeptieren Gleichgeschlechtlichkeit als Lebensauffassung wie jede andere auch. 22 Prozent forderten, den gesellschaftlichen Bewegungsspielraum von Schwulen und Lesben einzuschränken. Lediglich 3 Prozent meinten, als diskriminierte Minderheit müssten diese besondere Fürsorge genießen.
In Lettland und Litauen wurde heterosexuellen Paaren verfassungsrechtlich der Familienstatus aberkannt.
Bürgerorganisationen im Vereinigten Königreich weisen auf die Zunahme von Schikanen in weiterführenden Schulen aufgrund von Homophobie hin. In den Niederlanden wurde ein Homosexueller wegen seiner sexuellen Ausrichtung und seiner femininen Aufmachung zu Tode geknüppelt.
Als Reaktion auf solche Entwicklungen wurde im europäischen Parlament 2007 auf Initiative der „Intergroup für die Rechte von Schwulen und Lesben" eine Resolution verabschiedet.6 Diese verurteilt Demonstrationsverbote, das Schüren von Hass auch durch „führende Politiker und religiöse Oberhäupter" und das Aufstacheln zu physischer Gewalt. Die notwendige Gleichbehandlung von Lesben, Homosexuellen, Bisexuellen und Transgendern wird betont. Verbunden ist mit der Resolution die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, den Kampf gegen die Homophobie mit Bildungsmaßnahmen und Kampagnen in Schulen, Universitäten und Medien zu verstärken.
2.2 Deutschland
Fraglos ist in den letzten Jahrzehnten die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber homosexuellen Lebensweisen gestiegen. Gleichwohl müssen negative Einstellungen gegenüber Homosexuellen zu denken geben, wie sie im Forschungsprojekt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld gemessen werden. In diesem Projekt werden Abwertungen und Feindseligkeiten gegenüber Gruppen mit gemeinsamen Merkmalen gemessen, wie gegenüber Ausländer/innen, Obdachlosen, Menschen mit Behinderungen und eben Homosexuellen.
Deutlich wird aus den Ergebnissen, dass Personen, die fremdenfeindlichen Aussagen zustimmen, dies auch eher in Bezug auf rassistische, antisemitische und sexistische Aussagen tun, d.h. dass es so etwas wie eine Ideologie der Ungleichwertigkeit gibt. Die Ergebnisse zeigen seit 2000 eine teilweise wachsende Abwertung gegenüber „schwachen Gruppen".8
„Rund 90 Prozent der privaten Lebens- und Krankenversicherungen weigern sich, mit schwulen Männern Verträge abzuschließen, weil sie das ‚AIDS-Risiko‘ fürchten. Sie fragen aber nicht nach der sexuellen Identität der Antragsteller, noch verlangen sie vor dem Abschluss einen HIV-Antikörpertest, sondern lehnen den Vertragsabschluss ohne Begründung ab, wenn der Antragsteller in Eingetragener Lebenspartnerschaft lebt oder wenn er in seinem Antrag einen anderen Mann als Begünstigten benannt hat. Die Abgelehnten werden in eine ‚Schwarze Liste‘ aufgenommen mit der Folge, dass sich auch alle anderen Versicherer weigern, mit ihm einen Vertrag abzuschließen."
Quelle: Manfred Bruns: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien, März 2005
Frauen äußern eher fremdenfeindliche, rassistische und islamophobe Einstellungen, während Männer eher als Frauen antisemitischen und homophoben Aussagen zustimmen. Homophobie wächst auch deutlich mit steigendem Alter.Eine neue Studie zeigt, dass homosexuellenfeindliche Einstellungen unter Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund wesentlich stärker verbreitet sind als in der deutschen Vergleichsgruppe.7
So stimmen knapp 50 Prozent der befragten Jungen türkischer Herkunft und 21,1 Prozent der Mädchen der Aussage zu: „Wenn ich wüsste, dass mein Nachbar schwul ist, würde ich lieber keinen Kontakt zu ihm haben" (gegenüber 16,1 Prozent der Jungen deutscher Herkunft und nur 0,4 Prozent der Mädchen deutscher Herkunft ).
Diese Ausgrenzung durch Gleichaltrige macht Kinder und Jugendliche verwundbar, die sich lesbisch, schwul oder bisexuell entwickeln. Schätzungen gehen davon aus, dass in höheren Klassen pro Klassenstufe 1 bis 2 Jugendliche eine nichtheterosexuelle Orientierung haben. Sie werden von Mitschülerinnen und Mitschülern lächerlich gemacht und schikaniert, wenn sie sich outen. Diese Phase des „Coming-out" ist für viele Schwule und Lesben mit Krisen verbunden, mit Einsamkeitsgefühlen, mit Selbstverachtung und depressiven Stimmungen.
Nun ist zwischen Einstellungsmustern und diskriminierendem Verhalten zu unterscheiden. Wenige Studien liegen zu Diskriminierungserfahrungen erwachsener Homosexueller vor, noch weniger zu Diskriminierungserfahrungen Transsexueller. Eine Befragung von 2.500 homosexuellen Männern und Frauen durch die bayerische Landeshauptstadt München 2003 ergab, dass 15 Prozent der Lesben und Schwulen am Arbeitsplatz negative Erfahrungen mit Kolleginnen und Kollegen und 21 Prozent mit Arbeitgebern hatten, wenn ihre Homosexualität bekannt wurde. 14 Prozent der Schwulen und 21 Prozent der Lesben haben sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt, 35 Prozent wurden in den Familien benachteiligt oder abgelehnt. Etwa 60 Prozent haben Beschimpfungen erlebt, knapp 40 Prozent psychischen Druck, Bedrohung und Einschüchterung und knapp 20 Prozent der Lesben und Schwulen wurden wegen ihrer Homosexualität Opfer von Gewalthandlungen.9
Die Diskussion über Gewalt gegen Homosexuelle bezieht sich fast immer auf Gewalt gegen Schwule. Auch angezeigte Fälle von Gewalttaten gegenüber lesbischen Frauen gibt es sehr wenige, von denen einige sich auf Gewalthandlungen innerhalb der Partnerinnenschaft beziehen. Zu vermuten ist, dass es hier eine Dunkelziffer gibt, da bei einer Anzeige die eigene Homosexualität off enbart werden müsste. Fraglich ist insgesamt, ob wirklich homosexuelle Frauen so viel weniger von Gewalt betroffen sind als Männer oder ob, wie Constance Ohms vermutet, die geringe Kenntnis von der öffentlichen Nichtwahrnehmung von Lesben herrührt.10
Besonders in und seit den 90er Jahren sind rechtliche und politische Aktivitäten zur Antidiskriminierung und Gleichstellung von Homosexuellen verstärkt worden. So wurden in Bundesländern Referate eingerichtet wie Lesben- und Schwulenreferate bereits 1989 in Berlin und später dann auch in Hessen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder aber Personen mit einem Auft rag versehen.
Vor der Verabschiedung des AGG existierten bereits in einigen Ländern Antidiskriminierungsgesetze, die auch sexuelle Orientierung umfassen. In der Berliner Landesverfassung heißt es beispielsweise: „Niemand darf wegen... seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden" (Art.10, Abs.2). Artikel 2 Absatz 3 der Landesverfassung von Thüringen´verbietet die Bevorzugung und die Benachteiligung von Personen wegen ihrer „sexuellen Orientierung". Auf Bundesebene war ein entscheidender rechtlicher Schritt das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften. Seit 2001 können gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland eine rechtlich abgesicherte Lebenspartnerschaft eingehen. Rechtliche Diskriminierungen gleichgeschlechtlicher Paare wurden abgebaut. Gleichwohl sind noch nicht in allen Bereichen gleiche Rechte verwirklicht, obwohl das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 17. Juli 2002 festgestellt hat: „Der besondere Schutz der Ehe in Artikel 6 Abs. 1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pfl ichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen" (BVerf-GE 105, 313).
Die gleiche Anerkennung im Steuer- und Beamtenrecht scheiterte 2002 im Bundesrat. 2005 wurden mit dem Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts eine Gleichstellung in die Hinterbliebenenversorgung bei der gesetzlichen Rentenversicherung und die Stiefkindadoption leiblicher Kinder ermöglicht.
Im Jahr 2005 lebten in Deutschland mindestens 60.000 Personen in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften, 36.000 davon zwischen Männern, 24.000 zwischen Frauen. Nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes waren es sogar 173.000.11 Ungerechtigkeiten zwischen den eingetragenen Lebenspartnerschaften und ehelichen Gemeinschaften werden nach wie vor von Gruppen und Verbänden beklagt. So müssen sie Unterhaltspfl ichten wie Ehegatten übernehmen, die im Steuerrecht aber nicht berücksichtigt werden. Kritisiert wird auch die nicht vollständige Anpassung des Beamtenrechts an das Lebenspartnerschaft srecht, vor allem hinsichtlich des Familienzuschlags, der Hinterbliebenenpension und der Beihilfe.
Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) versucht, auch für die sexuelle Identität einen umfassenden Diskriminierungsschutz auf Verfassungsebene zu verankern und hat dafür jüngst einen Aufruf für eine Erweiterung des Grundgesetzartikels 3 Abs. 3 gestartet (s. Abb.).12 Ziel des Verbandes ist es, dass hier in den Katalog der gegen Diskriminierung zu schützenden Merkmale auch das Merkmal „sexuelle Identität" aufgenommen wird. 1994 hatte ein gleicher Versuch noch keine parlamentarische Mehrheit gefunden. Die Unterstützung reicht vom Deutschen Juristinnenbund und der Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen (BASJ) bis zu prominenten Personen wie Iris Berben, Maybrit Illner, Maria Jepsen, Hape Kerkeling, Heiner Geißler und anderen.