Rosenbladt-Entscheidung des EuGH zur "Zwangsverrentung" bei Erreichen der Altersgrenze
In seinem Urteil vom 12.10.2010 prüfte der Europäische Gerichtshof Altersregelungen in deutschen Tarifverträgen. Diese sehen häufig ein automatisches Ende des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des Rentenalters vor. Grundlage dafür ist eine entsprechende Ausnahmeregelung in § 10 Nr. 5 AGG. Sie sieht derartige Vereinbarungen als grundsätzlich zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters an. Der EuGH entschied, dass § 10 Nr. 5 AGG und ihm entsprechende Tarifvertragsklauseln europarechtskonform sind.
Anlass für die Prüfung war eine Vorlage des Arbeitsgerichts Hamburg zum Fall von Frau Rosenbladt. Ihre Beschäftigung bei einem Reinigungsunternehmen endete mit Erreichen des 65. Lebensjahres, da der Tarifvertrag im Gebäudereinigungshandwerk eine entsprechende Beendigungsklausel enthielt.
Das Arbeitsgericht Hamburg bezweifelte, dass § 10 Nr. 5 AGG und die korrespondierende Klausel im Tarifvertrag tatsächlich mit dem europarechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung vereinbar sind. Sowohl die dem AGG zugrunde liegende europäische Richtlinie als auch § 10 AGG selbst lassen Ungleichbehandlungen wegen des Alters nämlich nur dann zu, wenn damit in geeigneter und notwendiger Weise anerkennenswerte Ziele der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik verfolgt werden.
Das Arbeitsgericht gab zu Bedenken, dass Klauseln zum automatischen Ausscheiden älterer Arbeitnehmer bereits jahrzehntelang angewendet würden, ohne zu prüfen, ob diese Praxis die Arbeitsmarktsituation für jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich verbessere. Aus ähnlichen Erwägungen heraus hatte die 22. Kammer des Arbeitsgerichts Hamburg kürzlich der Klage eines Haltestellenwärters der Hamburger Hochbahn gegen die automatische Beendigung seines Arbeitsverhältnisses stattgegeben. Nach Ansicht der Kammer könne eine „Zwangsverrentung“ nicht erforderlich sein, solange nicht geprüft werde, ob die angestrebten Ziele auch auf milderen Wege wie z.B. durch das freiwillige Ausscheiden rentenberechtigter Beschäftigter erreicht würden.
Demgegenüber verwies der Europäische Gerichtshof darauf, dass § 10 Nr. 5 AGG nicht zur Beendigung der Beschäftigung bei Erreichen des Renteneintrittsalters zwinge, sondern lediglich erlaube, entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Dies stelle vor dem Hintergrund, dass die Betroffenen mit der Rente einen finanziellen Ausgleich erhielten, keine unzumutbare Belastung dar. Auch sei die getroffene Vereinbarung im Tarifvertrag des Gebäudereinigungshandwerks selbst nicht unangemessen.
Dabei komme dem Grundrecht auf Kollektivverhandlungen, das den Tarifpartnern einen weiten Ermessenspielraum hinsichtlich der Festlegung geeigneter Maßnahmen gewähre, entscheidende Bedeutung zu. Im Übrigen hindere auch die Klausel nicht daran, weiter berufstätig zu sein.
Dass man sich mit 65 Jahren zwar auf die Suche nach einer neuen Beschäftigung begeben, sie angesichts der aktuellen Arbeitsmarktsituation aber womöglich schwer finden kann, wurde dabei nicht thematisiert. Gerade Teilzeitbeschäftigten wie Frau Rosenbladt kann bei einem unfreiwilligen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben ein finanzieller Ausgleich durch die Rente bleiben, der das Existenzminimum nicht abzudecken vermag.
Urteil des EuGH vom 12.10.2010 – Rs. C-45/09 (Rosenbladt)
Volltext unter http://curia.europa.eu/jcms/jcms/j_6/
Vorinstanz:
Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26.7.2010 - 22 Ca 33/10, siehe http://rechtsprechung.hamburg.de