Zum Weltfrauentag 2006: Weibliche Geschichtsschreibung
Anlässlich des Weltfrauentages 2006 hat die Gleichstellungsbeauftragte des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Kristin Rose-Möhring über Frauen/Freundinnen/Verwandte der männlichen Persönlichkeiten geschrieben, deren wir in diesem Jahr besonders gedenken. Nach dem Motto: "Ein erfolgreicher Mann hat eine Familie im Rücken, eine erfolgreiche Frau hat eine Familie im Nacken."
Dateianhänge:
Maria Anna Mozart, genannt Nannerl, (1751-1829) gehört zu den eher tragischen Figuren in dieser Reihe. Sie ist als die "etwas langweilige und nichts sagende Schwester" eines musikalischen Genies in die Geschichte eingegangen. Dabei hatte Maria Anna das Zeug zu einer großen Klaviervirtuosin. Der Vater Leopold nahm die beiden Kinder auf langjährige Europareisen mit. Sie begeisterten mit ihrem Spiel das Publikum u.a. in Wien, Paris, London und Brüssel. Mit 16 Jahren war Maria Anna heiratsfähig und konnte nicht mehr als Wunderkind gelten. Leopold ging nunmehr mit Wolfgang allein auf Reisen; sie blieb zu Hause und musizierte allenfalls im halböffentlichen Rahmen. Ihre Kompositionsversuche ignorierte der Vater.
Nach dem Tod der Mutter führte sie den Haushalt, blieb aber ihrem Bruder eng verbunden, der ihr literarisches und musikalisches Urteil sehr schätzte. Sie verliebte sich, aber ihr Vater suchte ihr einen „passenden“ Mann, einen verwitweten Reichsfreiherrn mit fünf Kindern, so dass sie 1784 ihr geliebtes Salzburg verlassen und in St. Gilgen leben musste, wo sie das Theater und die Musikangebote Salzburgs sehr vermisste. Nach dem Tod ihres Mannes 1801 zog sie wieder nach Salzburg, gab Klavierunterricht und kümmerte sich um die esamtausgabe der Werke ihres Bruders. Ob Maria Anna auch eine bedeutende Komponistin hätte werden können, wenn ihr Vater sie so gefördert hätte wie den Bruder? Sie galt als sehr begabte Komponistin und wurde von ihrem Bruder sehr zum Komponieren gedrängt.
Ihren 255. Geburtstag können wir ebenfalls in diesem Jahr begehen.
Crescence Eugénie Heine, geb. Mirat war seit 1834 die Frau an der Seite des großen Dichters Heinrich Heine, die er 1841 heiratete. Eigene literarische oder andere künstlerische Verdienste hat sie sich anscheinend nicht erworben. Im Gegenteil: Der seit 1831 in Paris lebende Heine schätzte an der Schuhverkäuferin angeblich besonders, dass sie kein Wort Deutsch sprach und selbst nach vielen Ehejahren nicht wirklich verstand, mit welch bedeutendem Dichter sie verheiratet war. Aber sie hielt Heine die Treue, als er ab ca. 1845 schwer an (vermutlich) Multipler Sklerose erkrankte.
Die Tatsache, dass Heine selbst eine Syphiliserkrankung vermutete und dies als „Strafe Gottes“ für seine Lästerei und seinen Lebenswandel betrachtete, macht deutlich, dass das Zusammenleben mit ihm wohl nicht ganz einfach war. Die von Heine „Mathilde“ genannte Cresence pflegte ihn, nachdem er 1848 bettlägerig wurde und seine „Matratzengruft“ bis zu seinem Tode 1856 nicht mehr verlassen konnte. Sie duldete auch seine letzte große – wegen seiner Krankheit platonische - Liebe zu „Mouche“, einer jungen Frau aus Deutschland, die selbst Schriftstellerin werden wollte und Heine ab 1855 häufig besuchte. Ihr widmete er letzte glühende Liebesgedichte. Testamentarisch aber hatte er ausdrücklich verfügt, dass seine Frau ihre letzte Ruhe neben ihm auf dem Pariser Friedhof Montmartre finden sollte. Bei Cresence Heine stellt sich die Frage, was Leistung ist: Wir alle freuen uns an Schreib- und Dichtkunst, amüsieren uns über sprachgewandten Zynismus, Ironie und Wortgewalt, vergessen dabei aber vielleicht die Menschen, die dies allen Widrigkeiten zum Trotz möglich machen.
Denn: Wie war es wohl, einen lästerfreudigen und extrovertierten Mann zu pflegen, der jahrelang bettlägerig und unbeweglich sein Leben – den Tod vor Augen - zu Hause fristete?
Katharina von Bora (1499-1552) war die Frau Martin Luthers. Sie ist nicht in gleicher Weise vergessen wie Cresence Mirat, aber auch ihr Platz in der Geschichte ist eher „adlig“ definiert, d.h. als „Frau von…“. In der Geschichtsschreibung wird sie auch als „die Lutherin“ bezeichnet. Ohne Katharina von Bora wäre der Reformator im Chaos des Alltags versunken und die lutherische Reformation nicht vorangekommen. Sie übernahm die gesamte Organisation seines Lebens, einschließlich Vermögensverwaltung und dem Eintreiben von Schulden, wenn Luther mal wieder großzügig Geld verliehen hatte, das für die große Familie gebraucht wurde. Neben der Instandhaltung aller Gebäude beschäftigte sie sich mit Obst- und Gemüseanbau, Tierhaltung, Errichtung und Betrieb eines Backhauses, Fischzucht in eigenem Bach und Teich sowie Weinanbau und Bierbrauerei einschließlich Hopfengarten.
Historiker/innen sprechen davon, dass Katharina die „Managerin eines mittelständischen Betriebes mit niedriger Fertigungstiefe“ war. „Nebenbei“ bekam sie sechs eigene Kinder, nahm elf weitere aus der Verwandtschaft auf und versorgte die zahlreichen Gäste. Durchschnittlich 40 Personen saßen täglich an ihrem Tisch. Für manche Zeitgenossen war Katharina die "Xanthippe der reformation", für andere die Lichtgestalt im Hause Luther. Sicher ist, dass Luther, der von Frauen im öffentlichen Leben nichts wissen wollte, ihre Führungsfunktion im Haus hoch achtete. Scherzhaft nannte er Katharina wegen ihrer Begabung zur Verwalterin "Herr Käthe". Nach Luther sind Straßen, Plätze, Denkmäler und sogar Züge benannt. Aber nur in Torgau, wo Katharina 1552 starb, gibt es eine Gasse, die ihren Namen trägt. Ihren 500. Geburtstag konnten wir 1999, ihren 450. Todestag 2002 feiern. Haben wir?
Anna Freud (1895-1982) war die Jüngste der sechs Kinder von Sigmund Freud und seiner Frau Martha sowie engste Mitarbeiterin und Vertraute ihres berühmten Vaters. Sie wurde zunächst Volkschullehrerin, doch ihr Hauptinteresse galt der Psychoanalyse. Sie absolvierte eine Lehranalyse bei ihrem Vater und war selbst als Psychoanalytikerin tätig. In ihren psychoanalytischen Arbeiten konzentrierte sie sich vor allem auf Kinder, wurde zur Begründerin der Kinderanalyse und verfasste Fachbücher, die heute als Klassiker in dieser Disziplin gelten. Sie analysierte aber auch Erwachsene wie z.B. Marilyn Monroe (deren 80. Geburtstag wir übrigens auch in diesem Jahr feiern können). Diese Pionierin der Kinderanalyse war für ihren Vater eine unersetzliche Hilfe als Sekretärin, Organisatorin, Vertreterin auf Kongressen und Pflegerin während seiner Krebserkrankung, an der er 1939 im Exil in London starb. Ab ca. 1925 lebte und arbeitete Anna mit Dorothy Burlingham-Tiffany, einer Millionenerbin aus New York, und deren vier Kindern zusammen.
Gemeinsam gründeten sie die Hampstead Nurseries, eine Institution für Kriegskinder und Kriegswaisen. Nach 1945 wurde daraus die bedeutende Hampstead-Klinik für Kinder und das Lehrinstitut für Kindertherapie. Nach dem Tod Sigmund Freuds wurde Anna Freud die Doyenne der Psychoanalyse. Kongresse, Vortragsreisen, Verleihungen von Doktorwürden wurden Höhepunkte ihrer späten Jahre. Ihren 100. Geburtstag hätten wir 1995 feiern können, ihr 25. Todestag steht 2007 an.
Clara Wieck, verheiratete Schumann, war selbst eine begnadete Pianistin* und die Frau Robert Schumanns. Sie ist von den Frauen berühmter Männer, deren Ehrentage wir dieses Jahr begehen, sicher die bekannteste. Clara (1819-1896) erhielt schon als Fünfjährige von ihrem strengen Vater, dem Musikpädagogen und Klavierhändler Friedrich Wieck, Klavierunterricht. Sie wurde
zum Wunderkind erzogen und als solches präsentiert. Mit neun debütierte sie und wurde die bedeutendste Pianistin ihrer Zeit in ganz Europa. Sie trat mit Felix Mendelssohn und Franz Liszt auf und spielte in Weimar vor Johann Wolfgang von Goethe. Die weltberühmten Musiker Frédéric Chopin, Hector Berlioz, Nicolò Paganini und Giacomo Meyerbeer zählten zu ihren Freunden. 1830 lernte sie Robert Schumann kennen und verliebte sich später in ihn, aber der ehrgeizige Vater untersagte den beiden jeglichen Kontakt.
Erst 1840 konnten sie mit Hilfe eines Gerichtsbeschlusses gegen den erklärten Willen des Vaters heiraten. Ihre Ehe war Anfangs eine ideale musikalische Verbindung: Robert Schumann komponierte und Clara interpretierte seine Kompositionen am Klavier mit außerordentlichem Einfühlungsvermögen und höchster technischer Brillanz. Allerdings wurden ihren Konzertauftritten dadurch Grenzen gesetzt, dass sie in 13 Jahren neun Kinder bekam und Robert Schumann später nicht wünschte, dass sie, die einst größte Pianistin Europas, weiter ihrer Konzerttätigkeit nachging. Zudem entwickelte er eine Nervenkrankheit, an der er 1856 starb. Nach seinem Tod unternahm sie wieder erfolgreiche Konzertreisen im In- und Ausland und wurde 1878 zur Ersten Klavierlehrerin des neu gegründeten Hochschen Konservatoriums in Frankfurt am Main berufen. Sie erteilte Unterricht und widmete sich bis zu ihrem Tode 1896 der Herausgabe des Gesamtwerkes ihres Mannes. Auch ihren 110. Todestag können wir in diesem Jahr feiern.
*Trotz all ihrer eigenen künstlerischen Erfolge wird sie am Schumann-Denkmal auf dem Alten Friedhof in Bonn zu Füßen ihres Mannes dargestellt.
Saskia van Uijlenburgh und Hendrikje Stoffels waren die beiden Frauen, die den großen Maler Rembrandt Harmensz van Rijn in seinem Leben begleiteten, und er hatte Glück mit der Wahl seiner Partnerinnen. 1634 heiratete er Saskia, die Nichte des Amsterdamer Kunsthändlers Hendrik van Uijlenburgh. Sie war die Tochter eines „weltmännischen Patriziers“ und führte Rembrandt in die besseren Kreise Hollands ein, was ihm viele Aufträge sicherte. Zudem verhalf ihr beachtliches Vermögen, das sie früh von ihrem Vater geerbt hatte, der jungen Familie zu beträchtlichem Wohlstand, was sein Ansehen weiter vergrößerte.
Saskia bekam vier Kinder, von denen drei früh starben. Die Geburt des Sohnes Titus überlebte sie nur um wenige Monate und starb - noch nicht dreißigjährig - 1642 an Tuberkulose. Als Kindermädchen für Titus kam 1648 Hendrikje Stoffels in Rembrandts Haus. Sie verliebten sich in einander und lebten bis zu ihrem frühen Tod 1663 glücklich, aber unverheiratet zusammen. Sie konnten/wollten nicht heiraten, weil Saskia in ihrem Testament verfügt hatte, dass Rembrandt bei einer zweiten Eheschließung die Verfügungsgewalt über die Erbschaft verlieren würde. Hendrikje Stoffels war für Rembrandt eine verständnisvolle Partnerin und brachte Ruhe in sein eher umtriebiges Leben. Seine beiden Frauen hat Rembrandt wiederholt gemalt.
Helene Weigel (1900-1971) war nicht nur die Frau von Bertolt Brecht, sondern vor allem eine hervorragende Schauspielerin und Intendantin. Die Frauenfiguren in Brechts Stücken sind von ihr sehr wesentlich beeinflusst und sie hat sie auf der Bühne alle gespielt, aber sie war nach einer abgeschlossenen Schauspielausbildung in Wien und einem Dramaturgiestudium bei Max Reinhardt bereits eine gefragte und bekannte Schauspielerin, bevor sie Brecht in den 20er Jahren in Berlin kennen lernte.
In ihrer gemeinsamen Emigration 1933 nach der Machtergreifung Hitlers gab sie ihre Berufstätigkeit auf und kehrte erst 1948 in Deutschland auf die Bühne zurück. 1949 wurde sie Intendantin des Berliner Ensembles, Brecht der künstlerische Leiter. Gemeinsam begründeten sie den Weltruhm dieses Theaters. Nach Brechts Tod verwaltete sie auch dessen Nachlass und hielt die Erinnerung an ihn hoch. In der DDR war sie eine viel geachtete Künstlerin, verzweifelte aber an der Politik der Regierung insbesondere nach dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die CSSR 1968. 1971 starb sie in Berlin. Ihren 35. Todestag können wir in diesem Jahr begehen.
Soweit die Erinnerung an die Frauen im Umfeld der diesjährigen Jubilare. Doch es gibt unabhängig davon weitere erfolgreiche Frauen, die in diesem Jahr einen runden Gedenktag feiern können.
Elly Heuß-Knapp - Lehrerin und Volkswirtin, Buchautorin, Journalistin und Werbetexterin, schließlich Landtagsabgeordnete und Sozialpolitikerin, vor allem aber Gründerin des Müttergenesungswerkes („Die Krönung meines Lebens“) - 125. Geburtstag (25. Januar),
Marie Juchacz - Sozialpolitikerin, Frauenrechtlerin, Mitglied der deutschen Verfassungsgebenden Versammlung 1919, Reichstagsabgeordnete und Gründerin der Arbeiterwohlfahrt - 50. Todestag (28. Januar),
Vera Menchik - 14 Jahre lang bis zu ihrem Tod bei einem Bombenangriff in London 1944 erste
Schachweltmeisterin. Die führenden Schachspieler ihrer Zeit nahmen sie nicht ernst: Der österreichische Meister Albert Becker schlug sogar vor, dass jeder, der gegen sie verliert, dem „Vera- Menchik-Club“ beitreten müsste. Nach seiner Niederlage gegen sie verfolgte er diesen Gedanken nicht weiter - 100. Geburtstag (16. Februar),
Susan B. Anthony - Pionierin der US-amerikanischen Frauenrechtsbewegung und Kämpferin für das Frauenwahlrecht - 100. Todestag (13. März),
Irène Joliot-Curie - französische Chemie-Nobelpreis-Trägerin (wie ihre Eltern Marie und Pierre Curie) - 50. Todestag (17. März),
Josephine Baker - weltberühmte Tänzerin aus den Armenvierteln der Südstaaten der USA mit französischem Pass, aber vor allem auch Mitarbeiterin in der französischen Résistance während des Zweiten Weltkrieges sowie später Kämpferin für Bürgerrechte und gegen Rassismus; zudem Adoptivmutter von 17 verwaisten und vernachlässigten Kindern verschiedenster Hautfarbe, denen sie in ihrer „Regenbogenfamilie“ ein Zuhause gab - 100. Geburtstag (3. Juni),
Karoline von Günderode - deutsche Dichterin der Romantik und literarische (Brief-)Freundin von Bettina von Arnim - 200. Todestag (26. Juli),
Hannah Arendt - Historikerin, politische Philosophin, Journalistin, von den Nazis verfolgte Jüdin und Autorin des Buches „Die Banalität des Bösen“ über den Prozess gegen den Nazi- Verbrecher Eichmann in Jerusalem - 100. Geburtstag (14. Oktober),
Erika Fuchs - Kunsthistorikerin, Literaturkennerin, Übersetzerin der Donald Duck-Comics und Erfinderin des „Erikativs“ (z.B. „kicher“, „seufz“, „grummel“) - 100. Geburtstag (7.Dezember),
Königin Christine von Schweden, die mit ihrem Votum entscheidend dazu beitrug, dass 1648 der 30jährige Krieg durch den Westfälischen Frieden beendet wurde. Sie machte den Stockholmer Hof zu einem Zentrum von Kultur und Wissenschaft, dankte jedoch 1654 ab, verließ Schweden und trat zum katholischen Glauben über - 380. Geburtstag (18. Dezember),
Josephine Butler – englische Frauenrechtlerin, Sozialreformerin und Kämpferin gegen (Kinder-)Prostitution - 100. Todestag (30. Dezember),
Sie alle haben auf ihrem Gebiet und oft sogar auf mehreren Gebieten gleichzeitig Großes geleistet und werden dennoch nicht in der Weise erinnert und geehrt wie viele ihrer männlichen Zeitgenossen.
In der Bundesrepublik, die seit einem halben Jahr zum ersten Mal in ihrer Geschichte von einer Frau geführt wird, wird es interessant sein zu beobachten, wie Leistungen von Frauen und/oder Führung durch Frauen nicht nur gestaltet, sondern auch bewertet werden. Die Journalistin Eva Roll schreibt in ihrer Biographie über Angela Merkel: „Frauen werden in Deutschland immer unterschätzt. Es gibt in diesem Land keine Rollenmuster für Frauen in wirklichen Machtpositionen.“ Dazu passt der trockene Kommentar von Bundestagspräsident Norbert Lammert anlässlich der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin: „Die Wahl ist ein starkes Signal für viele Frauen und für manche Männer sicher auch.“
Mit einer Frau an der Spitze der Bundesregierung kommt die Frauenbewegung nicht zum Erliegen, meint Alice Schwarzer und sagt voraus: „Auf uns warten spannende Zeiten." Das wollen wir hoffen und im Kabinett soll sich - Presseberichten zufolge☺ - der Ton ja schon erheblich geändert haben. Wie frau
liest, wird jetzt argumentiert, zugehört und diskutiert. Das ist ja schon einmal ein Anfang!
Dass im „Kanzleramt“♀ ♂ nun eine ehemalige Frauenministerin residiert, ist für unser Ministerium natürlich ein besonderes Ereignis. Hinzu kommt, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in diesem Jahr das 20jährige Bestehen der (Abteilung) Frauen- bzw. Gleichstellungspolitik feiern kann: 1986 erhielt das damalige Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit per Kanzlererlass die Federführung für Frauenfragen und der Ministeriumsname wurde um eine zweites „F“ auf Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG) erweitert.
Gleichzeitig wurde unter der Leitung von Ministerin Rita Süßmuth mit dem Aufbau der Abteilung Frauenpolitik begonnen, die am 1. Januar 1987 offiziell ihre Arbeit aufnahm. Bis dahin hatte es einen Arbeitsstab Frauenpolitik zunächst mit zwei, dann mit drei Referaten gegeben, der nicht den Status einer Abteilung hatte. Mit der Gründung und dem Aufbau der Abteilung erhielt die Frauenpolitik den gleichen Stellenwert wie die anderen Fachpolitiken des Hauses.
All dies waren und sind positive Signale, wie sie jährlich auch vom Internationalen Frauentag ausgehen.Und nicht zuletzt sei hier an den für frauenbewegte Ohren herrlichen Satz der Bundeskanzlerin in ihrer ersten Neujahrsansprache erinnert. Unter Hinweis auf die Weltmeisterinnen im Frauenfußball und die kommende Männer-WM meinte sie schmunzelnd: „Die Frauennationalmannschaft ist ja schon Fußballweltmeister, und ich sehe keinen Grund, warum Männer nicht das Gleiche leisten können.“
Wir sind also gespannt – auf die WM im Juni und die kommenden Zeiten insgesamt. In diesem Sinne wünsche ich allen Frauen und Männern einen ebenso spannenden Internationalen Frauentag 2006.
Ich grüße Sie herzlich
Ihre Kristin Rose-Möhring
Internationaler Frauentag 2006
History – „Herstory“
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Geschichte und Geschichtsschreibung sind scheinbar männliche Betätigungsfelder. Im englischen Sprachraum kursiert sogar die ironische Deutung, dass Geschichte „history“ heißt, weil „his story“, seine Geschichte d.h. die des Mannes erzählt wird. Hätten Frauen den ihnen gebührenden Platz, müsste es oft „herstory“ heißen.
Doch wie wäre es einfach mit „story“ und dann sind wir wieder bei Geschichte(n).
Alljährlich bietet der Internationale Frauentag am 8. März die Gelegenheit, die männlich geprägte Geschichtsschreibung ein wenig zu erweitern und an die oft vergessenen Erfolge von Frauen in Politik und Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur zu erinnern♀. Geleistet haben Frauen trotz vieler Hindernisse eine Menge. Aber oft dringt dies entweder nicht in dem Maße an die Öffentlichkeit wie bei erfolgreichen Männern oder ihre Leistungen werden geringer geschätzt. Daher möchte ich auch in diesem Jahr zurückschauen und nach Leistungen von Frauen und damit weiblichen Vorbildern suchen.
In jedem Jahr wird an große Persönlichkeiten erinnert und ihre „runden“ Gedenktage ausgiebig gefeiert. 2006 sind dies zum Beispiel:
Wolfgang Amadeus Mozart - 250. Geburtstag (27. Januar),
Heinrich Heine - 150. Todestag (17. Februar),
Martin Luther - 460. Todestag (18. Februar),
Sigmund Freud - 150. Geburtstag (6. Mai),
Rembrandt van Rijn - 400. Geburtstag (15. Juli),
Robert Schumann - 150. Todestag (29. Juli),
Bertold Brecht - 50. Todestag (4. August).
Dass es nur Männer sind, liegt an den Jahrhunderte lang nur begrenzten Möglichkeiten von Frauen, sich auf Gebieten zu profilieren, die öffentlich wahrgenommen wurden, und der erwähnten Art der Geschichtsschreibung. Die „Heldinnen des Alltags“ werden ohnehin nicht gesehen, und auch den Frauen, die den so genannten großen Männern bei ihrer Arbeit halfen, ihnen den Rücken freihielten oder manchmal sogar erfolgreicher waren, gelang nur selten der Sprung in die öffentliche Anerkennung.
Oft gilt eben immer noch der Satz:
„Ein erfolgreicher Mann hat eine Familie im Rücken,
eine erfolgreiche Frau hat eine Familie im Nacken“.
Das Feiern geschichtlicher Gedenktage, d.h. das Erinnern an die runden Geburts- oder Todesjahre, und auch die intensive Frauengeschichtsforschung der vergangenen Jahrzehnte haben die öffentliche Wahrnehmung – Göttin sei Dank - etwas verändert.
So wurden im Thomas-Mann-Jahr 2005 auch die starken Persönlichkeiten seiner Frau Katia und seiner Tochter Erika sowie beider Verdienste um den Ruhm des deutschen Literaturnobelpreisträgers gewürdigt. Denn immer wieder griff Thomas Mann Anregungen und Vorschläge von Katia und Erika auf und änderte aufgrund ihrer Kritik seine Texte. Erika kümmerte sich später um seinen literarischen Nachlass. Und obwohl er Mädchen für „nichts Ernsthaftes“ hielt, war seine Bindung an seine Frau und die beiden Töchter Erika und Elisabeth viel enger als die an seine drei Söhne.
Die Betrachtungen zu Albert Einstein, dessen 50. Todestag 2005 mit einem ganzen „Einsteinjahr“ gefeiert wurde, reflektierten zumindest in Ansätzen auch den Anteil seiner ersten geschiedenen Frau Mileva Maric an dessen Arbeit. Wie groß dieser Anteil tatsächlich war - sie hatte ebenfalls Physik und Mathematik studiert, das Studium wegen einer Schwangerschaft aber nicht abgeschlossen - schrieb Einstein selbst 1901 in einem Brief an Mileva: „Wie stolz und glücklich werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben.“
Auch die historischen „VIPs“ des Jahres 2006 hatten Frauen, Freundinnen, Mütter, Schwestern und Töchter an ihrer Seite und sind ohne die Leistungen dieser Frauen in ihrer direkten Umgebung kaum denkbar. Und in einigen Fällen haben diese Frauen ihre eigenen Wünsche und Talente zurückgestellt, um die „Genies“ in ihrer Familie zu unterstützen und/oder deren Lebenswerk fortzuführen.
Ich möchte daher in diesem Jahr einen Blick darauf werfen, wie das Leben der genannten großen Männer sich auf das Leben der Frauen an ihrer Seite auswirkte, wie diese es beeinflussten und wie sie zum Ruhm und der öffentlichen Anerkennung dieser Helden beigetragen haben.
Maria Anna Mozart, genannt Nannerl, (1751-1829) gehört zu den eher tragischen Figuren in dieser Reihe. Sie ist als die "etwas langweilige und nichts sagende Schwester" eines musikalischen Genies in die Geschichte eingegangen. Dabei hatte Maria Anna das Zeug zu einer großen Klaviervirtuosin. Der Vater Leopold nahm die beiden Kinder auf langjährige Europareisen mit. Sie begeisterten mit ihrem Spiel das Publikum u.a. in Wien, Paris, London und Brüssel. Mit 16 Jahren war Maria Anna heiratsfähig und konnte nicht mehr als Wunderkind gelten. Leopold ging nunmehr mit Wolfgang allein auf Reisen; sie blieb zu Hause und musizierte allenfalls im halböffentlichen Rahmen. Ihre Kompositionsversuche ignorierte der Vater.
Nach dem Tod der Mutter führte sie den Haushalt, blieb aber ihrem Bruder eng verbunden, der ihr literarisches und musikalisches Urteil sehr schätzte. Sie verliebte sich, aber ihr Vater suchte ihr einen „passenden“ Mann, einen verwitweten Reichsfreiherrn mit fünf Kindern, so dass sie 1784 ihr geliebtes Salzburg verlassen und in St. Gilgen leben musste, wo sie das Theater und die Musikangebote Salzburgs sehr vermisste. Nach dem Tod ihres Mannes 1801 zog sie wieder nach Salzburg, gab Klavierunterricht und kümmerte sich um die esamtausgabe der Werke ihres Bruders. Ob Maria Anna auch eine bedeutende Komponistin hätte werden können, wenn ihr Vater sie so gefördert hätte wie den Bruder? Sie galt als sehr begabte Komponistin und wurde von ihrem Bruder sehr zum Komponieren gedrängt.
Ihren 255. Geburtstag können wir ebenfalls in diesem Jahr begehen.
Crescence Eugénie Heine, geb. Mirat war seit 1834 die Frau an der Seite des großen Dichters Heinrich Heine, die er 1841 heiratete. Eigene literarische oder andere künstlerische Verdienste hat sie sich anscheinend nicht erworben. Im Gegenteil: Der seit 1831 in Paris lebende Heine schätzte an der Schuhverkäuferin angeblich besonders, dass sie kein Wort Deutsch sprach und selbst nach vielen Ehejahren nicht wirklich verstand, mit welch bedeutendem Dichter sie verheiratet war. Aber sie hielt Heine die Treue, als er ab ca. 1845 schwer an (vermutlich) Multipler Sklerose erkrankte.
Die Tatsache, dass Heine selbst eine Syphiliserkrankung vermutete und dies als „Strafe Gottes“ für seine Lästerei und seinen Lebenswandel betrachtete, macht deutlich, dass das Zusammenleben mit ihm wohl nicht ganz einfach war. Die von Heine „Mathilde“ genannte Cresence pflegte ihn, nachdem er 1848 bettlägerig wurde und seine „Matratzengruft“ bis zu seinem Tode 1856 nicht mehr verlassen konnte. Sie duldete auch seine letzte große – wegen seiner Krankheit platonische - Liebe zu „Mouche“, einer jungen Frau aus Deutschland, die selbst Schriftstellerin werden wollte und Heine ab 1855 häufig besuchte. Ihr widmete er letzte glühende Liebesgedichte. Testamentarisch aber hatte er ausdrücklich verfügt, dass seine Frau ihre letzte Ruhe neben ihm auf dem Pariser Friedhof Montmartre finden sollte. Bei Cresence Heine stellt sich die Frage, was Leistung ist: Wir alle freuen uns an Schreib- und Dichtkunst, amüsieren uns über sprachgewandten Zynismus, Ironie und Wortgewalt, vergessen dabei aber vielleicht die Menschen, die dies allen Widrigkeiten zum Trotz möglich machen.
Denn: Wie war es wohl, einen lästerfreudigen und extrovertierten Mann zu pflegen, der jahrelang bettlägerig und unbeweglich sein Leben – den Tod vor Augen - zu Hause fristete?
Katharina von Bora (1499-1552) war die Frau Martin Luthers. Sie ist nicht in gleicher Weise vergessen wie Cresence Mirat, aber auch ihr Platz in der Geschichte ist eher „adlig“ definiert, d.h. als „Frau von…“. In der Geschichtsschreibung wird sie auch als „die Lutherin“ bezeichnet. Ohne Katharina von Bora wäre der Reformator im Chaos des Alltags versunken und die lutherische Reformation nicht vorangekommen. Sie übernahm die gesamte Organisation seines Lebens, einschließlich Vermögensverwaltung und dem Eintreiben von Schulden, wenn Luther mal wieder großzügig Geld verliehen hatte, das für die große Familie gebraucht wurde. Neben der Instandhaltung aller Gebäude beschäftigte sie sich mit Obst- und Gemüseanbau, Tierhaltung, Errichtung und Betrieb eines Backhauses, Fischzucht in eigenem Bach und Teich sowie Weinanbau und Bierbrauerei einschließlich Hopfengarten.
Historiker/innen sprechen davon, dass Katharina die „Managerin eines mittelständischen Betriebes mit niedriger Fertigungstiefe“ war. „Nebenbei“ bekam sie sechs eigene Kinder, nahm elf weitere aus der Verwandtschaft auf und versorgte die zahlreichen Gäste. Durchschnittlich 40 Personen saßen täglich an ihrem Tisch. Für manche Zeitgenossen war Katharina die "Xanthippe der reformation", für andere die Lichtgestalt im Hause Luther. Sicher ist, dass Luther, der von Frauen im öffentlichen Leben nichts wissen wollte, ihre Führungsfunktion im Haus hoch achtete. Scherzhaft nannte er Katharina wegen ihrer Begabung zur Verwalterin "Herr Käthe". Nach Luther sind Straßen, Plätze, Denkmäler und sogar Züge benannt. Aber nur in Torgau, wo Katharina 1552 starb, gibt es eine Gasse, die ihren Namen trägt. Ihren 500. Geburtstag konnten wir 1999, ihren 450. Todestag 2002 feiern. Haben wir?
Anna Freud (1895-1982) war die Jüngste der sechs Kinder von Sigmund Freud und seiner Frau Martha sowie engste Mitarbeiterin und Vertraute ihres berühmten Vaters. Sie wurde zunächst Volkschullehrerin, doch ihr Hauptinteresse galt der Psychoanalyse. Sie absolvierte eine Lehranalyse bei ihrem Vater und war selbst als Psychoanalytikerin tätig. In ihren psychoanalytischen Arbeiten konzentrierte sie sich vor allem auf Kinder, wurde zur Begründerin der Kinderanalyse und verfasste Fachbücher, die heute als Klassiker in dieser Disziplin gelten. Sie analysierte aber auch Erwachsene wie z.B. Marilyn Monroe (deren 80. Geburtstag wir übrigens auch in diesem Jahr feiern können). Diese Pionierin der Kinderanalyse war für ihren Vater eine unersetzliche Hilfe als Sekretärin, Organisatorin, Vertreterin auf Kongressen und Pflegerin während seiner Krebserkrankung, an der er 1939 im Exil in London starb. Ab ca. 1925 lebte und arbeitete Anna mit Dorothy Burlingham-Tiffany, einer Millionenerbin aus New York, und deren vier Kindern zusammen.
Gemeinsam gründeten sie die Hampstead Nurseries, eine Institution für Kriegskinder und Kriegswaisen. Nach 1945 wurde daraus die bedeutende Hampstead-Klinik für Kinder und das Lehrinstitut für Kindertherapie. Nach dem Tod Sigmund Freuds wurde Anna Freud die Doyenne der Psychoanalyse. Kongresse, Vortragsreisen, Verleihungen von Doktorwürden wurden Höhepunkte ihrer späten Jahre. Ihren 100. Geburtstag hätten wir 1995 feiern können, ihr 25. Todestag steht 2007 an.
Clara Wieck, verheiratete Schumann, war selbst eine begnadete Pianistin* und die Frau Robert Schumanns. Sie ist von den Frauen berühmter Männer, deren Ehrentage wir dieses Jahr begehen, sicher die bekannteste. Clara (1819-1896) erhielt schon als Fünfjährige von ihrem strengen Vater, dem Musikpädagogen und Klavierhändler Friedrich Wieck, Klavierunterricht. Sie wurde
zum Wunderkind erzogen und als solches präsentiert. Mit neun debütierte sie und wurde die bedeutendste Pianistin ihrer Zeit in ganz Europa. Sie trat mit Felix Mendelssohn und Franz Liszt auf und spielte in Weimar vor Johann Wolfgang von Goethe. Die weltberühmten Musiker Frédéric Chopin, Hector Berlioz, Nicolò Paganini und Giacomo Meyerbeer zählten zu ihren Freunden. 1830 lernte sie Robert Schumann kennen und verliebte sich später in ihn, aber der ehrgeizige Vater untersagte den beiden jeglichen Kontakt.
Erst 1840 konnten sie mit Hilfe eines Gerichtsbeschlusses gegen den erklärten Willen des Vaters heiraten. Ihre Ehe war Anfangs eine ideale musikalische Verbindung: Robert Schumann komponierte und Clara interpretierte seine Kompositionen am Klavier mit außerordentlichem Einfühlungsvermögen und höchster technischer Brillanz. Allerdings wurden ihren Konzertauftritten dadurch Grenzen gesetzt, dass sie in 13 Jahren neun Kinder bekam und Robert Schumann später nicht wünschte, dass sie, die einst größte Pianistin Europas, weiter ihrer Konzerttätigkeit nachging. Zudem entwickelte er eine Nervenkrankheit, an der er 1856 starb. Nach seinem Tod unternahm sie wieder erfolgreiche Konzertreisen im In- und Ausland und wurde 1878 zur Ersten Klavierlehrerin des neu gegründeten Hochschen Konservatoriums in Frankfurt am Main berufen. Sie erteilte Unterricht und widmete sich bis zu ihrem Tode 1896 der Herausgabe des Gesamtwerkes ihres Mannes. Auch ihren 110. Todestag können wir in diesem Jahr feiern.
*Trotz all ihrer eigenen künstlerischen Erfolge wird sie am Schumann-Denkmal auf dem Alten Friedhof in Bonn zu Füßen ihres Mannes dargestellt.
Saskia van Uijlenburgh und Hendrikje Stoffels waren die beiden Frauen, die den großen Maler Rembrandt Harmensz van Rijn in seinem Leben begleiteten, und er hatte Glück mit der Wahl seiner Partnerinnen. 1634 heiratete er Saskia, die Nichte des Amsterdamer Kunsthändlers Hendrik van Uijlenburgh. Sie war die Tochter eines „weltmännischen Patriziers“ und führte Rembrandt in die besseren Kreise Hollands ein, was ihm viele Aufträge sicherte. Zudem verhalf ihr beachtliches Vermögen, das sie früh von ihrem Vater geerbt hatte, der jungen Familie zu beträchtlichem Wohlstand, was sein Ansehen weiter vergrößerte.
Saskia bekam vier Kinder, von denen drei früh starben. Die Geburt des Sohnes Titus überlebte sie nur um wenige Monate und starb - noch nicht dreißigjährig - 1642 an Tuberkulose. Als Kindermädchen für Titus kam 1648 Hendrikje Stoffels in Rembrandts Haus. Sie verliebten sich in einander und lebten bis zu ihrem frühen Tod 1663 glücklich, aber unverheiratet zusammen. Sie konnten/wollten nicht heiraten, weil Saskia in ihrem Testament verfügt hatte, dass Rembrandt bei einer zweiten Eheschließung die Verfügungsgewalt über die Erbschaft verlieren würde. Hendrikje Stoffels war für Rembrandt eine verständnisvolle Partnerin und brachte Ruhe in sein eher umtriebiges Leben. Seine beiden Frauen hat Rembrandt wiederholt gemalt.
Helene Weigel (1900-1971) war nicht nur die Frau von Bertolt Brecht, sondern vor allem eine hervorragende Schauspielerin und Intendantin. Die Frauenfiguren in Brechts Stücken sind von ihr sehr wesentlich beeinflusst und sie hat sie auf der Bühne alle gespielt, aber sie war nach einer abgeschlossenen Schauspielausbildung in Wien und einem Dramaturgiestudium bei Max Reinhardt bereits eine gefragte und bekannte Schauspielerin, bevor sie Brecht in den 20er Jahren in Berlin kennen lernte.
In ihrer gemeinsamen Emigration 1933 nach der Machtergreifung Hitlers gab sie ihre Berufstätigkeit auf und kehrte erst 1948 in Deutschland auf die Bühne zurück. 1949 wurde sie Intendantin des Berliner Ensembles, Brecht der künstlerische Leiter. Gemeinsam begründeten sie den Weltruhm dieses Theaters. Nach Brechts Tod verwaltete sie auch dessen Nachlass und hielt die Erinnerung an ihn hoch. In der DDR war sie eine viel geachtete Künstlerin, verzweifelte aber an der Politik der Regierung insbesondere nach dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die CSSR 1968. 1971 starb sie in Berlin. Ihren 35. Todestag können wir in diesem Jahr begehen.
Soweit die Erinnerung an die Frauen im Umfeld der diesjährigen Jubilare. Doch es gibt unabhängig davon weitere erfolgreiche Frauen, die in diesem Jahr einen runden Gedenktag feiern können.
Elly Heuß-Knapp - Lehrerin und Volkswirtin, Buchautorin, Journalistin und Werbetexterin, schließlich Landtagsabgeordnete und Sozialpolitikerin, vor allem aber Gründerin des Müttergenesungswerkes („Die Krönung meines Lebens“) - 125. Geburtstag (25. Januar),
Marie Juchacz - Sozialpolitikerin, Frauenrechtlerin, Mitglied der deutschen Verfassungsgebenden Versammlung 1919, Reichstagsabgeordnete und Gründerin der Arbeiterwohlfahrt - 50. Todestag (28. Januar),
Vera Menchik - 14 Jahre lang bis zu ihrem Tod bei einem Bombenangriff in London 1944 erste
Schachweltmeisterin. Die führenden Schachspieler ihrer Zeit nahmen sie nicht ernst: Der österreichische Meister Albert Becker schlug sogar vor, dass jeder, der gegen sie verliert, dem „Vera- Menchik-Club“ beitreten müsste. Nach seiner Niederlage gegen sie verfolgte er diesen Gedanken nicht weiter - 100. Geburtstag (16. Februar),
Susan B. Anthony - Pionierin der US-amerikanischen Frauenrechtsbewegung und Kämpferin für das Frauenwahlrecht - 100. Todestag (13. März),
Irène Joliot-Curie - französische Chemie-Nobelpreis-Trägerin (wie ihre Eltern Marie und Pierre Curie) - 50. Todestag (17. März),
Josephine Baker - weltberühmte Tänzerin aus den Armenvierteln der Südstaaten der USA mit französischem Pass, aber vor allem auch Mitarbeiterin in der französischen Résistance während des Zweiten Weltkrieges sowie später Kämpferin für Bürgerrechte und gegen Rassismus; zudem Adoptivmutter von 17 verwaisten und vernachlässigten Kindern verschiedenster Hautfarbe, denen sie in ihrer „Regenbogenfamilie“ ein Zuhause gab - 100. Geburtstag (3. Juni),
Karoline von Günderode - deutsche Dichterin der Romantik und literarische (Brief-)Freundin von Bettina von Arnim - 200. Todestag (26. Juli),
Hannah Arendt - Historikerin, politische Philosophin, Journalistin, von den Nazis verfolgte Jüdin und Autorin des Buches „Die Banalität des Bösen“ über den Prozess gegen den Nazi- Verbrecher Eichmann in Jerusalem - 100. Geburtstag (14. Oktober),
Erika Fuchs - Kunsthistorikerin, Literaturkennerin, Übersetzerin der Donald Duck-Comics und Erfinderin des „Erikativs“ (z.B. „kicher“, „seufz“, „grummel“) - 100. Geburtstag (7.Dezember),
Königin Christine von Schweden, die mit ihrem Votum entscheidend dazu beitrug, dass 1648 der 30jährige Krieg durch den Westfälischen Frieden beendet wurde. Sie machte den Stockholmer Hof zu einem Zentrum von Kultur und Wissenschaft, dankte jedoch 1654 ab, verließ Schweden und trat zum katholischen Glauben über - 380. Geburtstag (18. Dezember),
Josephine Butler – englische Frauenrechtlerin, Sozialreformerin und Kämpferin gegen (Kinder-)Prostitution - 100. Todestag (30. Dezember),
Sie alle haben auf ihrem Gebiet und oft sogar auf mehreren Gebieten gleichzeitig Großes geleistet und werden dennoch nicht in der Weise erinnert und geehrt wie viele ihrer männlichen Zeitgenossen.
In der Bundesrepublik, die seit einem halben Jahr zum ersten Mal in ihrer Geschichte von einer Frau geführt wird, wird es interessant sein zu beobachten, wie Leistungen von Frauen und/oder Führung durch Frauen nicht nur gestaltet, sondern auch bewertet werden. Die Journalistin Eva Roll schreibt in ihrer Biographie über Angela Merkel: „Frauen werden in Deutschland immer unterschätzt. Es gibt in diesem Land keine Rollenmuster für Frauen in wirklichen Machtpositionen.“ Dazu passt der trockene Kommentar von Bundestagspräsident Norbert Lammert anlässlich der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin: „Die Wahl ist ein starkes Signal für viele Frauen und für manche Männer sicher auch.“
Mit einer Frau an der Spitze der Bundesregierung kommt die Frauenbewegung nicht zum Erliegen, meint Alice Schwarzer und sagt voraus: „Auf uns warten spannende Zeiten." Das wollen wir hoffen und im Kabinett soll sich - Presseberichten zufolge☺ - der Ton ja schon erheblich geändert haben. Wie frau
liest, wird jetzt argumentiert, zugehört und diskutiert. Das ist ja schon einmal ein Anfang!
Dass im „Kanzleramt“♀ ♂ nun eine ehemalige Frauenministerin residiert, ist für unser Ministerium natürlich ein besonderes Ereignis. Hinzu kommt, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in diesem Jahr das 20jährige Bestehen der (Abteilung) Frauen- bzw. Gleichstellungspolitik feiern kann: 1986 erhielt das damalige Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit per Kanzlererlass die Federführung für Frauenfragen und der Ministeriumsname wurde um eine zweites „F“ auf Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG) erweitert.
Gleichzeitig wurde unter der Leitung von Ministerin Rita Süßmuth mit dem Aufbau der Abteilung Frauenpolitik begonnen, die am 1. Januar 1987 offiziell ihre Arbeit aufnahm. Bis dahin hatte es einen Arbeitsstab Frauenpolitik zunächst mit zwei, dann mit drei Referaten gegeben, der nicht den Status einer Abteilung hatte. Mit der Gründung und dem Aufbau der Abteilung erhielt die Frauenpolitik den gleichen Stellenwert wie die anderen Fachpolitiken des Hauses.
All dies waren und sind positive Signale, wie sie jährlich auch vom Internationalen Frauentag ausgehen.Und nicht zuletzt sei hier an den für frauenbewegte Ohren herrlichen Satz der Bundeskanzlerin in ihrer ersten Neujahrsansprache erinnert. Unter Hinweis auf die Weltmeisterinnen im Frauenfußball und die kommende Männer-WM meinte sie schmunzelnd: „Die Frauennationalmannschaft ist ja schon Fußballweltmeister, und ich sehe keinen Grund, warum Männer nicht das Gleiche leisten können.“
Wir sind also gespannt – auf die WM im Juni und die kommenden Zeiten insgesamt. In diesem Sinne wünsche ich allen Frauen und Männern einen ebenso spannenden Internationalen Frauentag 2006.
Ich grüße Sie herzlich
Ihre Kristin Rose-Möhring