Arbeitnehmerschaft eines Lehrers in Justizvollzugsanstalt
Das Bundesarbeitsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob der Kläger in einem Arbeitsverhältnis zu dem beklagten Land steht.
Sachverhalt:
Der Kläger wurde auf der Grundlage eines schriftlichen Vertrags am 29.6.1998 unbefristet als „nicht hauptamtliche Lehrkraft“ für die Unterrichtstätigkeit in der Justizvollzugsanstalt (JVA) I eingestellt.
Nach dem Vertrag hat der Kläger in den Klassen der Untersuchungshaft durchschnittlich 13 Wochenstunden Aufbauunterricht zu erteilen und muss darüber hinaus nach Bedarf in den Ferien unterrichten. Er ist in den Stundenplan eingebunden. Der Kläger erhält für jede Einzelstunde den Vergütungssatz, der im Geschäftsbereich des Kultusministers für die Erteilung nebenamtlichen Unterrichts festgesetzt ist. Der Kläger ist sicherheitsüberprüft und unterliegt allen Bestimmungen über Datenschutz, Verschwiegenheit, Geschäftsverbot und anderen die Sicherheit und Ordnung betreffenden Vorschriften. Er hat insoweit den Weisungen der Justizbediensteten zu folgen.
In der JVA wird unterschieden zwischen schulpflichtigen und nicht schulpflichtigen jungen Untersuchungsgefangenen. Der Kläger unterrichtet in der für die nicht schulpflichtigen Häftlinge eingerichteten „Unterrichtsgruppe“. Er soll die ihm zugewiesenen Schüler auf die Ausbildung in der Strafhaft vorbereiten und ihnen das dafür notwendige Vorwissen i. S. einer Alphabetisierung und Vermittlung von Grundrechenarten nahebringen. Die von ihm betreute Gruppe umfasst zwischen einen und zehn Schülern im Alter von 14 bis 21 Jahren unterschiedlicher Nationalität.
Aufgrund der besonderen Situation der Untersuchungshaft berücksichtigt der Unterrichtsinhalt die individuellen Gegebenheiten. Dies erfordert ein eher situatives Arbeiten, das der Kläger nach den Sprachfähigkeiten, der Vorbildung, dem Alter und auch nach den jeweiligen Charakteren der Schüler ausrichtet.
Zwei andere Vorklassen erhalten Unterricht durch beamtete Justizlehrer. Wenn, was gelegentlich vorkommt, in diesen für Schulpflichtige vorgesehenen Gruppen Erziehungsschwierigkeiten auftreten, werden die betreffenden Gefangenen ausgeschlossen und der Gruppe des Klägers zugewiesen.
Der Kläger hat keine Lehramtsbefähigung. Die Anstaltsleitung schätzt seinen Umgang mit der ihm zugewiesenen Gruppe als „geschickt“ ein.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei aufgrund der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien als Arbeitnehmer anzusehen.
Das beklagte Land meint, ein Arbeitsverhältnis sei nicht begründet worden. Die Tätigkeit des Klägers sei eher mit der eines Gastdozenten als derjenigen eines Lehrers zu vergleichen. Auch der geringe zeitliche Umfang der Tätigkeit des Klägers spreche gegen seine Eigenschaft als Arbeitnehmer.
Prozessergebnis:
Der Kläger hatte vor dem BAG Erfolg.
Begründung:
Es liegt ein Arbeitsverhältnis und kein Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters vor.
Das Arbeitsverhältnis unterscheidet sich vom Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls an. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist Letztere maßgebend.
Diese Grundsätze gelten auch für Unterrichtstätigkeiten. Entscheidend ist, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist, in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise der Unterrichtserteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung mitgestaltet und inwieweit sie zu Nebenarbeiten herangezogen werden kann. Wer an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet, ist i. d. R. Arbeitnehmer, auch wenn er seinen Beruf nebenberuflich ausübt. Dagegen können etwa Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, oder Lehrkräfte, die nur Zusatzunterricht erteilen, als freie Mitarbeiter beschäftigt werden.
Der Kläger ist in zeitlicher Hinsicht weisungsgebunden tätig. Sein Unterrichtseinsatz richtet sich nach dem Stundenplan. Die jeweilige Lage der Arbeitszeit wird vom Arbeitgeber durch Weisung einseitig festgelegt. Weder die Wochentage noch die zeitliche Lage der Arbeitszeit am jeweiligen Tag kann der Kläger frei wählen. Er ist damit im Kern seiner Arbeitstätigkeit durch die zeitliche und organisatorische Planung seines Arbeitgebers an dessen Weisungen gebunden. Auch die Teilnahme an Ferienprojekten außerhalb der Schulzeit setzt vom Kläger ständige Dienstleistungsbereitschaft voraus; insoweit werden ihm ebenfalls Arbeitszeiten „zugewiesen“. Entsprechendes gilt für die Heranziehung zu Vertretungen.
Abgesehen von den zeitlichen Vorgaben ist der Kläger in die Arbeitsorganisation des beklagten Landes eingegliedert. Die Schüler werden ihm zugewiesen. Der Kläger ist an die maßgeblichen Verwaltungsvorschriften und die allgemeinen Lehrplanrichtlinien des Kultusbereichs gebunden. Entsprechendes gilt für die vorgegebene Zielsetzung des Unterrichts. Der Arbeitnehmereigenschaft steht nicht entgegen, dass der Kläger bei der inhaltlichen Ausgestaltung und Durchführung seiner Unterrichtserteilung im Wesentlichen frei von Weisungen ist. Die Tätigkeit des Klägers ist auch nicht mit der eines Dozenten in einer Volkshochschule vergleichbar. Der Kläger ist bei seiner Tätigkeit dem vom beklagten Land vorgegebenen Erziehungsauftrag unterworfen. Sein Unterricht ist nicht als Weiterbildungsempfehlung zu verstehen, etwa um den Gefangenen eine Abwechslung anzubieten.
Nicht entscheidend ist, dass die Parteien ihre Rechtsbeziehung nicht ausdrücklich als „Arbeitsvertrag“ bezeichnet haben. Auch der zeitliche Umfang der Tätigkeit spielt keine Rolle. Dasselbe gilt für die Art der Vergütung; denn entscheidend ist die Eigenart der Dienstleistung, nicht aber die Abwicklung der Entgeltzahlung.
BAG U.v. 15.2.2012
Az. 10 AZR 301/10
Bernhard Faber, Richter am Arbeitsgericht Augsburg a. D.