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Psychiatriezulage – halbgeschlossene Station

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Im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes ist der Begriff der halbgeschlossenen psychiatrischen Abteilungen oder Stationen (Open-door-system) von Bedeutung. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu Feststellungen getroffen.

Kernaussagen:

 

  • Das BAG hat zur entsprechenden Tarifnorm des BAT die Auffassung vertreten, es sei im Hinblick auf die in der Station betreuten Patienten zu beurteilen, ob eine Station geschlossen oder halbgeschlossen sei. In beiden Fällen stehe die Schlüsselgewalt ausschließlich dem Pflegepersonal zu. Auf einer geschlossenen Station dürften die Patienten die Station grundsätzlich nicht verlassen, während auf einer halbgeschlossenen Station der einzelne Patient mit Zustimmung einer verantwortlichen Person die Station verlassen dürfe. Die von psychisch kranken Menschen ausgehende Gefahr für sie selbst, für andere Patienten und für das Pflegepersonal müsse es erforderlich machen, die Station in gewissem Umfang geschlossen zu halten, um so eine ständige Übersicht über den Aufenthalt der Patienten und die Anwesenheit von Personen zu haben, die durch die Patienten gefährdet werden können. Ausreichend sei, dass die Station sich nur für einen Teil der Patienten als geschlossene Station darstelle. Die Pflegezulage diene der Abgeltung der durch diese besonderen Gegebenheiten bedingten Erschwernisse der Arbeit. 

 

  • An diesen Grundsätzen hält das BAG fest. Davon ausgehend liegt eine halbgeschlossene Station (Open-door-system) auch dann vor, wenn die Station nach Konzeption und Praxis nicht ständig, sondern (aufgrund richterlicher oder ärztlicher Anordnung) nur zeitweise geschlossen ist. 

 

  • Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut. Dem Adverb „halb“ kommt nach gängigem Sprachgebrauch auch die Bedeutung „teilweise“ zu.

 

  • Die Regelungssystematik der Vorschrift erfordert eine Abgrenzung gegenüber einer offenen Station, in der ein Anspruch auf die Zulage nicht entstehen kann. Eine offene Station (Tagesklinik, psychiatrische Wohngruppen etc.) wird nach medizinischer Konzeption und praktischer Umsetzung nicht oder nur in Notfällen geschlossen (z. B. weil eine angeordnete Unterbringung in einer dafür vorgesehenen geschlossenen oder halbgeschlossenen Station nicht realisiert werden kann), sie ist aber nicht für die Behandlung von Patienten mit richterlichem oder ärztlichem Stationsgebot ausgelegt. In einer offenen Station kann ein Anspruch auf die Zulage auch für gelegentliche Zeiten einer Schließung nicht entstehen, weil die Unterbringung von Patienten mit Stationsgebot nach der Konzeption einer offenen Station nicht vorgesehen ist und tatsächlich auch nicht in nennenswertem Umfang vorkommt. Gibt dagegen die Behandlung von Patienten mit richterlichem oder ärztlichem Stationsgebot einer Station nach Konzeption und praktischer Umsetzung das Gepräge, so ist sie „halbgeschlossen“. Es ist nicht erforderlich, dass Schließzeiten zeitlich überwiegen, sie müssen aber die Arbeit auf der Station mit prägen. Eine rein rechnerische Betrachtung greift dabei zu kurz. Aus der gebotenen Abgrenzung zu einer offenen Station ergibt sich aber, dass geringfügige Schließzeitenden Anspruch auf die Zulage nicht begründen können.

 

  • Nicht erheblich ist, ob eine bestimmte Anzahl von Patienten oder nur ein Patient dem Stationsgebot unterliegt. Auch ein einzelner Patient kann ein erhebliches Gefahrenpotenzial darstellen. Das Pflegepersonal muss auch bei nur einem untergebrachten Patienten erhöhte Achtsamkeit walten lassen, um die ständige Übersicht über dessen Aufenthalt sowie den möglicherweise gefährdeter weiterer Personen zu behalten und in Konfliktfällen eingreifen zu können.

 

  • Weil mit der Zulage Erschwernisse ausgeglichen werden sollen, die mit typischerweise notwendigen Zwangsmaßnahmen zusammenhängen, ist diese Auslegung der Vorschrift auch nach Sinn und Zweck der Regelung geboten.

 

  • Diese Auslegung führt schließlich zu vernünftigen, sachgerechten und praktisch brauchbaren Lösungen. Die Anzahl der Patienten, die aufgrund richterlicher Anordnung untergebracht werden müssen, ist nicht vorhersehbar; ein solcher Fall kann aber nach der medizinischen Konzeption in einer halbgeschlossenen Station jederzeit eintreten. Das Pflegepersonal muss immer mit einer Unterbringung rechnen und hat darauf keinen Einfluss. Eine halbgeschlossene Station verliert deshalb bei zwischenzeitlicher Öffnung ihren Charakter nicht, wenn auf Dauer erhebliche Schließzeiten vorliegen bzw. zu erwarten sind; eine nach Monaten mit und ohne Schließzeiten differenzierende Betrachtung greift zu kurz.

 

 

Auf die vollständige Begründung der Entscheidung wird verwiesen.

 

 

BAG U.v 11.7.2012

Az. 10 AZR 287/11

 

 

Bernhard Faber

Richter am Arbeitsgericht Augsburg a. D.

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