Verfristung der nachbarlichen Anfechtungsklage
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hatte mit der vorliegenden Entscheidung die Möglichkeit, die Unterschiede dieser Rechtsinstitute herauszuarbeiten und klarzustellen, welches Institut unter welchen Voraussetzungen einschlägig ist.
Grundsatz: Die Rechtsinstitute „Unzulässige Anfechtungsklage des Nachbarn gegen eine ihm nicht bekanntgegebene Baugenehmigung wegen Zeitablaufs” und „Prozessuale Verwirkung” sind strikt voneinander zu trennen. Prozessuale Nachbarrechtsbehelfe können durch Fristablauf entsprechend §§ 58, 74 VwGO und durch Verwirkung verloren gehen. Dies sind zwei dogmatisch voneinander zu unterscheidende Institute. Zwar kann die Unzulässigkeit wegen Verfristung entsprechend §§ 58, 74 VwGO ein Unterfall der Verwirkung sein. Jedoch ist sie das nicht von vorneherein. Die beiden Rechtsinstitute haben unterschiedliche Ableitungszusammenhänge und unterschiedliche Voraussetzungen.
Auf die Frage der prozessualen Verwirkung kommt es nur dann an, wenn die Frage im Raum steht, ob ein Anfechtungsrechtsbehelf bereits vor Ablauf der Jahresfrist unzulässig ist, entsprechend §§ 58, 74 VwGO. Beginnt demnach die Klagefrist nach Treu und Glauben zu laufen, kommt es auf die Verwirkung nur an, wenn eine solche vor Ablauf der Jahresfrist entscheidungserheblich ist. In den übrigen Fällen ist die Verwirkung mit ihren besonderen Voraussetzungen grundsätzlich nicht mehr relevant.
Voraussetzungen der Verwirkung: Von einer Verwirkung ist auszugehen, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts längere Zeit verstrichen ist (Zeitelement) und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen (Umstandselement). Das Umstandselement wird nach dem VGH im öffentlichen Nachbarrecht wie folgt konkretisiert: Der Bauherr als Verpflichteter muss infolge eines bestimmten Verhaltens des Nachbarn darauf vertraut haben dürfen, dass dieser die nachbarrechtliche Rechtsposition nach so langer Zeit nicht mehr geltend macht (Vertrauensgrundlage), der Bauherr muss ferner tatsächlich darauf vertraut haben, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und er muss sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung).
Voraussetzung des Fristbeginns nach Treu Und Glauben: Im Grundsatz beginnt die Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs für den Nachbarn auch in den Fällen, in welchen ihm die Baugenehmigung nicht amtlich zur Kenntnis gebracht wurde, wenn er von der Baugenehmigung sichere Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Die Jahresfrist wird den §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO entnommen.
Für weiterführenden Hinweise zu diesem Thema dürfen wir auf Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Art. 66, Rn. 233 f. verweisen.
Dr. Timm Waldmann, Juni 2019

