Ausbildungsrichtlinien des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales enthalten Rechtsverstoß
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
die neuen Richtlinien für die Ausbildung in der zweiten und dritten Qualifikationsebene der Fachlaufbahn Verwaltung und Finanzen, Fachlicher Schwerpunkt Sozialverwaltung2, wurden erst im November 2015 – also mehrere Monate nach Beginn der Ausbildung (1.9.2015) – bekanntgemacht.
Ziffer 4.3.1 der Richtlinien lautet:
4.3.1 Ein unzureichender Stand der theoretischen Ausbildung liegt vor, wenn die
Nachwuchskraft
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in einem Lehrgangszeugnis (§ 22) eine schlechtere Note als „ausreichend“ erzielt,
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eine schlechtere Studienabschnittsnote (§ 42) als „ausreichend“ erhält,
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in mehr als der Hälfte der Klausuren eines Lehrgangs oder Studienabschnitts (§ 42 Abs. 1 Satz 2) eine schlechtere Note als „ausreichend“ erhält. Im Studienabschnitt III wird die Durchschnittsnote der Klausuren gemäß § 41 Abs. 2 insoweit wie eine Klausur behandelt.
Während man den bei dem Beitrag Peinlicher Fehler des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales? dargestellten Fehler seitens des Ministeriums wohl mit einer „unglücklichen Ausdrucksweise“ erklären kann, handelt es sich bei der neu eingeführten „Hälfteregelung“ um einen Rechtsverstoß.
Dies hat folgenden Grund:
In den bisher gültigen Ausbildungsrichtlinien wurde die Vorschrift des § 30 APO angewandt, wonach die Prüfung nicht bestanden wurde, wenn der Prüfungsteilnehmer/die Prüfungsteilnehmerin im Durchschnitt schlechter als „ausreichend“ gearbeitet hat. Es wurde nur auf die Gesamtnote abgestellt.
Beispiel:
Ein Anwärter erzielte bei fünf zu schreibenden Klausuren die Noten 2-2-6-6-6. Damit erreichte er die Gesamtnote (22 : 5 =) 4,4 und hatte damit bisher nach § 30 APO die Prüfung bestanden.
Werden dagegen nach der neuen Bestimmung etwa die Noten 1-1-5-5-5 vergeben, so erreicht der Anwärter die Gesamtnote (18 : 5 =) 3,6 – besteht aber wegen der neuen (im Ergebnis wohl sogar ganz sinnvollen) Hälfteregelung den Studienabschnitt nicht.
Der Rechtsverstoß der Ziffer 4.3.1 begründet sich damit, dass die fragliche Bestimmung nach Ziffer 24 der Ausbildungsrichtlinien rückwirkend bereits am 1.9.2015 in Kraft getreten ist. Am Anfang der Ausbildung wurden den Studierenden aber die bisher geltenden – für sie günstigeren – Ausbildungsrichtlinien ausgeteilt und als die für sie geltenden Rechtsgrundlagen erklärt. Dadurch wurde ein Vertrauenstatbestand geschaffen, der aus rechtsstaatlichen Gründen nicht rückwirkend wieder aufgehoben werden kann.
Das Bundesverfassungsgericht3 unterscheidet in ständiger Rechtsprechung zwischen Bestimmungen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar sind, und solchen mit unechter Rückwirkung, die dann zulässig sind, wenn kein schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen gegeben ist.
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In dem hier vorliegenden Fall ist zumindest in den Studienabschnitten II und III von einer echten Rückwirkung auszugehen, weil die Studierenden bereits vor Inkrafttreten der Regelung Klausuren geschrieben haben, die bereits endgültig benotet worden sind.
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Das oben angeführte Ergebnis besteht aber wohl selbst dann, wenn man – etwa im Studienabschnitt I, in dem noch keine Klausuren absolviert wurden – von einer „unechten Rückwirkung“ ausgeht, weil die Anwärter auf die für sie günstigere frühere Regelung vertraut haben und – nachdem diese bei Beginn der Ausbildung bekanntgemacht wurde – auch vertrauen durften. Da die Regelung einen Eingriff in ihre Rechtsstellung vornimmt, mit dem die Betroffenen nicht rechnen mussten, ist die Rechtmäßigkeit der Ausbildungsrichtlinien zumindest zweifelhaft. An einem schutzwürdigen Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage fehlt es hier gerade nicht – im Gegenteil!
Die hier vertretene Auffassung wird auch in der beamtenrechtlichen Literatur geteilt. Nach Zängl wäre den betroffenen Studierenden zumindest eine Übergangsfrist einzuräumen gewesen.4
Sollte also ein Anwärter wegen der rückwirkend erlassenen Hälfteregelung den Studienabschnitt nach Ansicht des Arbeitsministeriums nicht erfolgreich absolvieren , so ist ihm zu raten, den Rechtsweg zu beschreiten, um so die Angelegenheit einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung zuzuführen.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
1 Siehe den Beitrag: Peinlicher Fehler des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales?
2 2038.3.10-A (ARSozVerw) Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 12. August 2015, Az. A3/0601-1/3; AllMBl. Nr. 11 vom 30.11.2015, 504 ff.
3 Beschluss vom 17. Dezember 2013; Az.: 1 BvL 5/08.
4 Zängl in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Art. 22 LlbG, Rn. 23 und 24.
5 Oder im Extremfall sogar die Laufbahnprüfung nicht bestehen, weil die Note der im 2. Studienabschnitt unter dem alten Recht geschriebenen Prüfungsbestimmungen erzielt wurde.

