Liebe Leserin, lieber Leser,
Ziel des neuerlichen Rechtstreits ist es, das Streikverbot für Beamte in Deutschland für völkerrechtswidrig zu erklären. Aufgrund der Rechtsprechung des EGMR zur Koalitionsfreiheit (Art. 11 EMRK) war das absolute Streikverbot in den vergangenen Jahren in Literatur und Rechtsprechung durchaus kontrovers diskutiert worden. In zwei Entscheidungen zum türkischen Recht (Demir und Baykara gegen Türkei, Urteil v. 12. November 2008 – 34503/97 – sowie Enerji Yapi-Yol Sen gegen Türkei, Urteil v. 21. April 2009 – 68959/01) war der EGMR zur Überzeugung gelangt, dass ein generelles Streikverbot für Beamte nach der EMRK rechtswidrig sei. Art. 11 Abs. 2 EMRK verlangt zur Einschränkung des Streikrechts aber eine Unterscheidung: Nur wenn Beamte hoheitliche Funktionen ausüben, kann ihr Streikrecht beschränkt werden.
Eine Bindungswirkung der Urteile des EGMR für deutsches Rechts bestand bisher wegen Art. 46 EMRK nicht. Dieser konnte keine Anwendung finden, weil die BRD nicht verfahrensbeteiligt war. Die entscheidende Frage ist dabei, ob man die in der Türkei bestehende Rechtslage mit den deutschen Gegebenheiten vergleichen kann.
Hier bestehen aber wegen der spezifischen Besonderheiten der türkischen und der deutschen Rechtsordnung so gravierende Unterschiede, dass eine Präjudizwirkung der EGMR-Entscheidungen entfällt. Dabei muss man es wohl auch anerkennen, dass in der Türkei hinsichtlich der Einstufung einer Tätigkeit als hoheitlich ganz andere Voraussetzungen bestehen als hierzulande (Siehe dazu: Erdogan und das Streikrecht der deutschen Beamten).
Vom EGMR wird deshalb zu klären sein, was europarechtlich unter „hoheitlich“ zu verstehen ist und dabei stellt sich schon vorab folgende Frage: Geht die federführende „GEW“ tatsächlich davon aus, dass die bei ihr organisierten verbeamteten Lehrer keine solchen hoheitlichen Tätigkeiten ausüben (Siehe dazu: Müssen Lehrer Beamte sein?)
Man sollte aber auch sehen, was hinter dem Vorstoß dieser Gewerkschaft steht: Wenn tatsächlich eine Funktionstrennung zwischen einer hoheitlichen und einer nicht hoheitlichen Tätigkeit von Beamten anerkannt werden sollte, dann können bestimmte Beamtengruppen in der Konsequenz künftig nicht nur auf die Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen, sondern auf eine Erhöhung ihrer Besoldung streiken, denn gerade darum geht es ja bekanntlich bei Arbeitskämpfen. Und damit würde dem seit vielen Jahrzehnten bewährten – gegenseitigen – Dienst- und Treueverhältnis mit der Folge der Boden entzogen, dass Arbeitnehmer und Beamte gleichgestellt würden. Es wäre dann aber in der Konsequenz völlig unverständlich (außerhalb dem Polizeibereich) überhaupt noch Beamte zu ernennen. (Siehe dazu: Beamtenstreikrecht: Der Schuss ins eigene Bein.
Damit wird auch klar, was die „GEW“ im Grunde bezweckt: Es geht dieser Gewerkschaft um nichts anderes, als um die Abschaffung des Berufsbeamtentums in Deutschland und damit um ihrer gewerkschaftlichen „Mächtigkeit“ eine neue Position zu verleihen.
Zur Erinnerung:
Beim Mächtigkeitsprinzip handelt es sich um ein vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsatz, wonach eine Arbeitnehmervereinigung nur dann „tariffähig“ ist, wenn sie über genug Durchsetzungskraft verfügt, um den sozialen Gegenspieler (Arbeitgeber) zwingen zu können, sich auf ernsthafte Verhandlungen über Gewerkschaftsforderungen einzulassen.
Übrigens:
Wie lange der Rechtsstreit vor dem EGMR dauern wird, ist noch offen. Nach den bisherigen Erfahrungen ist mit einer Entscheidung wohl frühestens in fünf Jahren zu rechnen.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
1 Urteil vom 12. Juni 2018 – 2 BvR 1738/12.
Lesen Sie dazu auch die Beiträge mit dem Titel:
Siehe hierzu auch:
Gerne können Sie auch unser Kontaktformular benutzen und wir melden uns bei Ihnen.
Kontaktformular