Der Bürolocher als Wurfgeschoss
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
bereits auf der ersten Seite dieser Ausgabe ist zu lesen:
„Die Gewalt gegen öffentliche Beschäftigte hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Es vergeht in Berlin kaum ein Tag ohne eine Zeitungsmeldung, nach der es wieder einmal einen Angriff auf einen Busfahrer gegeben hat… Aber auch im Krankenhaus, auf Ämtern oder in Jobcentern kommt es zu Übergriffen auf das Personal… Beschimpfungen, Beleidigungen, Bespucken gehören bereits zu den alltäglichen Vorfällen.“
Die Liste der Übergriffe auf Beschäftigte des öffentlichen Dienstes lässt sich mühelos weiter fortsetzen: Bedrohungen bis hin zu Morddrohungen, sexuelle Belästigungen, Telefonterror, Stalking, Beschädigung oder Diebstahl privaten Eigentums usw.
Konflikte im Umgang mit Bürgern lassen sich dabei nicht mit Hilfe des Dienstrechts lösen. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn bietet lediglich die Basis für Maßnahmen, um Übergriffe zu vermeiden oder um die Folgen von solchen Übergriffen zu mildern. Diese Fürsorgepflicht besteht für Beamte kraft Gesetzes (§ 45 BeamtStG/§ 78 BBG). Für Angestellte des öffentlichen Dienstes ergibt sich die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers als Nebenpflicht des Arbeitsvertrages aus §§ 241 Abs. 2 und 618 BGB.
Danach hat der Dienstherr des Beamten bzw. der Arbeitgeber des Angestellten Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten, und Dienstleistungen, die von einem Beschäftigten wahrzunehmen sind, so zu regeln, dass dieser gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt ist. Erfüllt der Dienstherr oder Arbeitgeber diese ihm in Ansehung des Lebens und der Gesundheit des Beschäftigten obliegenden Verpflichtungen nicht, so ergibt sich hieraus unter Umständen ein Schadensersatzanspruch des Beschäftigten (vgl. § 618 Abs. 3 BGB).
Was kann nun gegen solche Gewaltakte präventiv unternommen werden?
Hier bieten sich nach einer Expertenmeinung1 folgende Maßnahmen an:
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Besuch entsprechender Fortbildungsveranstaltungen (z. B. Konfliktmanagement, Bürgerfreundlichkeit etc.),
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Ausstattung mit entsprechenden Büroeinrichtungen,
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nur mehr gemeinsames Auftreten mehrerer Beschäftigter im Publikumsverkehr,
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die Schaffung von Fluchtmöglichkeiten und wirksamen Alarmsystemen im Büro und
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die Anschaffung einer „gefahrenbewussten“ Büroausstattung.
Mit diesen und anderen Maßnahmen könnte – so die Experten – einem gewaltsamen Übergreifen der Bürger auf die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes entgegengewirkt werden.
Außerdem wurde zum Schutz der Angehörigen des öffentlichen Dienstes vor Gewalt durch den Bürger das sog. „Aachener Modell“ entwickelt. Dieses Modell wird als Broschüre im Internet zur Einsicht angeboten. Hier ist zu lesen:
„Oftmals ist den Beschäftigten nicht bewusst, dass sich Locher, Scheren, Tacker, Blumenvase, Bilder etc. als Wurfgeschosse für aufgebrachte oder aggressive Kunden eignen. Derartige Arbeitsmittel sollten aus dem Greifbereich der Besucher entfernt und am besten in den Schubladen der Bürocontainer aufbewahrt werden.“
Ich denke:
Bei der Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes handelt es sich um ein ernstzunehmendes Problem. Gleichwohl stellen Übergriffe im „normalen“ Büroalltag bisher wohl noch eher die Ausnahme dar.
Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn/Arbeitgebers geht jedenfalls noch nicht so weit, dass jeder Beschäftigte mit Publikumsverkehr nunmehr an einem Fortbildungskurs zur Selbstverteidigung (Judo, Jiu Jitsu, Karate etc.) oder zur ordnungsgemäßen Handhabung von Pfefferspraydosen teilzunehmen hat. Auch die Anschaffung von Lochern, Scheren, Heftern oder Blumenvasen aus einem weichen, die Verletzungsgefahr bei der Verwendung als Wurfgeschosse reduzierenden Gummimaterial ist gegenwärtig nur in vereinzelten Fällen mit ersichtlich gesteigertem Gefährdungspotential erforderlich.
In bestimmten, exponierten Tätigkeitsbereichen ist aber eine besondere Vorsicht durchaus geboten. Hier macht ein weiterer Hinweis in der oben genannten Broschüre (Seite 80) deshalb sehr wohl Sinn:
„Fotos auf dem Schreibtisch von Familienangehörigen oder Freunden können Hinweise auf den familiären Hintergrund der Mitarbeiter geben. In Hinblick auf mögliche Straftaten außerhalb der Arbeitsstätte (z. B. ´Ich weiß, wo Deine Kinder zur Schule gehen´) sollten diese Fotos ebenfalls nicht auf dem Schreibtisch stehen.“
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
1 Päßler, Personalrat-Info 2/12 Seite 2 und 3.
Zu Fürsorgepflicht bei drohenden Gesundheitsschäden vgl.:
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Conrad in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Bayerisches Beamtenrecht, § 45 BeamtStG, Rn. 80 ff
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v. Roetteken in v. Roetteken/Rothländer, HBR, § 45 BeamtStG, Rn. 56 ff.
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Baßlsperger, Einführung in das Beamtenrecht, Kapitel 16, Rn. 2 ff (Buch) und Kapitel 17, Rn. 2 ff (Internetbuch)

