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Die Notdurft des Beamten als Dienstunfall

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Es ist wirklich kein Rosenmontagsscherz: Wenn sich jemand beim Pinkeln neben der Straße aus Unachtsamkeit verletzt, dann bringt ihm das Spott und Hohn. Bricht sich ein Beamter auf dem Weg von der Arbeit nach Hause bei dieser „Verrichtung“ aber ein Bein, ist das ein Dienstunfall. So hat jedenfalls das Verwaltungsgericht München in einem Fall entschieden, der in der renom-mierten Fachzeitschrift „ZBR“ abgedruckt ist.1

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ein Beamter – nennen wir ihn spaßeshalber Sepp Pinkel – fährt jeden Abend von seiner Dienststelle, dem Justizministerium am Münchner Stachus, mit der S-Bahn, dann mit dem Bus und das letzte Stück mit seinem PKW zu seinem Heimatort. Sein Heimweg dauert insgesamt über anderthalb Stunden. Als er eines Tages auf seinen Bus wartete, überkam ihn ein „dringendes menschliches Bedürfnis“, das es schnellstmöglich zu befriedigen galt. Gegenüber besagter Bushaltestelle liegt ein kleiner Park, den der Beamte schon öfter aufgesucht hatte, um eben diesem „dringenden Bedürfnis“ nachkommen zu können. Dazu musste er aber jedes Mal eine kleine gepflasterte Böschung hinuntersteigen, die an diesem Tag aber wegen des andauernden Nieselregens sehr rutschig war. Prompt stürzte der Staatsdiener und verletzte sich. Sein Hausarzt diagnostizierte eine „trimalleoläre Sprunggelenksfraktur rechts“, also einen Trümmerbruch des Beines. Der Beamte fürchtete Spätschäden: Würde er einmal wegen seines Malheurs dienstunfähig, dann hätte er bei einem Dienstunfall höhere Pensionsansprüche. Also beantragte er, dass der Vorgang als Dienstunfall eingestuft werde. Der Freistaat Bayern als Dienstherr lehnte dies jedoch ab und berief sich darauf, dass es sich hier doch um eine höchstpersönliche – private – Angelegenheit handeln würde.

Klar ist: Der Weg zwischen Dienststelle und Wohnung gilt nach dem Versorgungsrecht als Teil des Dienstes. Ein Unfall auf diesem Weg stellt demnach folgerichtig einen Dienstunfall dar. Doch gehört der notgedrungene Ausflug des Sepp Pinkel in die Büsche auch zum unfallrechtlich geschützten Nachhauseweg?

Wenn etwa der Beamte auf seinem Heimweg noch einkaufen geht, sich eine Leberkässemmel zum sofortigen Verzehr kauft, oder wenn er tankt, dann unterbricht er den Heimweg. Wenn er sich seinen Hals oder auch nur ein Bein dabei bräche, dann würde die Annahme eines Dienstunfalls nach geltendem Recht ausscheiden. Leberkäse und Tanken2 sind nach der Rechtsprechung der Privatsphäre zuzurechnen. Auch wenn ein fleißiger Beamter – von seiner dienstlichen Tätigkeit völlig ermattet – ein paar Stunden in seinem Auto schläft3, so unterbricht das den Zusammenhang mit seiner Arbeit, sollte er später seine Heimfahrt fortsetzen und dabei in einen Unfall verwickelt werden.

Doch was gilt für die Notdurft als menschliche Regung? Handelt es sich dabei um eine private Verrichtung oder eine Tätigkeit mit überwiegend dienstlichem Gepräge? Dazu gilt nach Ansicht des VG München Folgendes: Wäre der Beamte noch in der Arbeit gewesen und wäre er dort auf der (Dienst-) Toilette verunglückt, so wäre dies eindeutig ein Dienstunfall. Und was für die Notdurft im Dienst gilt, das gilt auch für die gleiche Verrichtung auf dem Nachhauseweg in einer „nahe gelegenen uneinsehbaren Bedürfnisanstalt“, so das VG.

Das Gericht entschied jetzt, ein Dienstunfall sei auch dann gegeben, „wenn das Bedürfnis zum Verrichten der Notdurft nicht während der (versicherten) Tätigkeit selbst, sondern auf dem Wege von und nach der Arbeitsstätte auftritt und der Beschäftigte deshalb gezwungen ist, den Weg zu unterbrechen…“.

Etwas anderes könnte sich allenfalls dann ergeben, wenn der Beamte gegen Vorschriften verstoßen hat. So lautet etwa § 4 der „Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Mühlheim an der Ruhr“4:

„§ 4 – Verbot des Verrichtens der Notdurft in der Öffentlichkeit:

Auf Verkehrsflächen und in Anlagen ist das Verrichten der Notdurft verboten.“

Ein Verstoß gegen ein solches Verbot war dem Kläger aber offensichtlich nicht vorzuwerfen. Im Gegenteil: Der Entscheidung des VG München kann vielmehr entnommen werden, dass der vom Kläger eingeschlagene Weg über die rutschige Böschung erforderlich war, da es weder dem Beamten selbst zuzumuten ist noch dem Anstandsgefühl eines zufällig vorbeikommenden, außenstehenden, billig und gerecht denkenden Betrachters entspricht, einen einsehbaren Ort zur Verrichtung eines dermaßen dringenden Geschäftes zu benutzen. In diesem Fall hätte der Beamte vermutlich ein öffentliches Ärgernis erregt.

„§ 118 OWiG (Belästigung der Allgemeinheit)

(1) Ordnungswidrig handelt, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden, wenn die Handlung nicht nach anderen Vorschriften geahndet werden kann.“

Die Tatsache, dass ein solcher Verstoß hier eben nicht vorlag, ergab sich für das Gericht eindeutig aus einem vom Kläger in das Verfahren eingebrachten Luftbild! Aufgrund dieses Luftbildes konnte das Gericht auf einen Augenschein (Ortsbesichtigung) verzichten.

Fazit: Der Beamte hatte sich also geradezu vorbildlich verhalten!

Übrigens: Soweit aus gewöhnlich gut informierten Kreisen5 in Erfahrung gebracht werden konnte, soll der Beamte nicht erst nach der Verkündung des Urteils, sondern bereits nach dem Dienstunfall in gewisser Weise sehr erleichtert gewesen sein!

Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger

__________________________________

1 ZBR 2012, Seite 427 ff.
2 Anders nur, wenn der Weg nicht mit einer einzigen Tankfüllung zurückzulegen ist, BVerwG v. 9.12.2010, ZBR 2011, 306.
3 OVG Lüneburg, ZBR 2011, 352.
4 http://www.muelheim-ruhr.de/cms/ordnungsbehoerdliche_verordnung_ueber_die_aufrechterhaltung_der_oeffentlichen_sicherheit_und_ordnung.html
5 http://www.sueddeutsche.de/bayern/pinkelnder-justizbeamter-verklagt-freistaat-dienstunfall-beim-wildbieseln-1.1314054


Zur Fürsorgepflicht siehe:
Conrad in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, § 45 BeamtStG, Rn. 1 ff.

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1 Kommentar zu diesem Beitrag
kommentiert am 09.02.2015 um 16:25:
Grundsätzlich ein interessanter Artikel. Doch widersprechen sich die Aussagen hierbei doch mit dem Artikel "Der Toilettenbesuch des Beamten - ein gefährliches Geschäft...". Hierbei wird der Gang zur Toilette mit Verunglückung nicht als Dienstunfall angesehen. In diesem Artikel jedoch schon. Irgendwie widersprüchlich?
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