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Entlassung von Beamten ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung?

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Bei Kündigungen von schwerbehinderten Arbeitnehmern bestimmt § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX (ab 1.1.2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX), dass diese unwirksam sind, wenn sie der Arbeitgeber ohne eine ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht. Gilt diese Unwirksamkeitsregelung auch für die Beendigung von Beamtenverhältnissen?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

bei einer Entlassung eines schwerbehinderten Beamten ist gemäß § 95 Abs. 2 SGB IX (künftig: § 178 Abs. 2 SGB IX) die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen. Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung ist es, den behinderten Beschäftigten – ob Beamte oder Angestellte – beratend und helfend zur Seite zu stehen. Durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) wurde auch die Rechtsstellung der Schwerbehindertenvertretung wesentlich gestärkt.1 Diese Änderungen gelten als Übergangsvorschriften bereits ab 2017.

Nach § 95 Abs. 2 SGB IX (ab 01.01.2018: § 178 Abs. 2 SGB IX)  ist die Schwerbehindertenvertretung vor der Entlassung eines schwerbehinderten Beamten über das Entlassungsverfahren unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor Erlass der Entlassungsverfügung zu hören. Die Unterrichtung dient der Information der Schwerbehindertenvertretung; durch die unverzügliche und umfassende Unterrichtung soll der Schwerbehindertenvertretung die eigene Meinungsbildung ermöglicht werden. Die Unterrichtung bildet eine Vorstufe zur Anhörung. Eine Unterrichtung kann nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn die nachfolgende Stellungnahme überhaupt für die Entlassung relevant sein kann.

Wichtig ist dabei zunächst Folgendes: Eine solche Stellungnahme läuft leer, wenn der Beamte selbst seine Entlassung beantragt hat oder wenn die Entlassung kraft Gesetzes erfolgt (§ 22 BeamtStG). Aber auch bei zwingenden Entlassungsgründen (§ 23 Abs. 1 BeamtStG) geht eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung ins Leere, da eine Stellungnahme, gleichgültig wie sie ausfällt, nicht berücksichtigt werden kann.

Während die Unterrichtung noch ungezielt erfolgen kann, geht es bei der Anhörung um die Herbeiführung einer Stellungnahme. Anhörung bedeutet Gelegenheit zur Stellungnahme.2 Die Entlassung eines Beamten bedarf aber nicht der Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung. Die Anhörung baut auf einer umfassenden Unterrichtung auf. Durch die Anhörung sollen besondere, sich aus der Schwerbehinderung ergebende Gesichtspunkte in das Verwaltungsverfahren einfließen. In diesem Sinn ist die Stellungnahme bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Die Anhörungspflicht entbindet die Entlassungsbehörde aber nicht von der Rechtsbindung an den gesetzlichen Entlassungstatbestand.

Die Schwerbehindertenvertretung ist grundsätzlich vor der Entscheidung über die Entlassung zu hören. Die Anhörung kann aber nach Maßgabe des § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX (ab 1.1.2018: § 178 Abs. 2 Satz s SGB IX), innerhalb von sieben Tagen nachgeholt werden, wobei die Durchführung oder der Vollzug der Entlassungsverfügung auszusetzen ist.

Bei Kündigungen von schwerbehinderten Arbeitnehmern bestimmt § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX (ab 1.1.2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX), dass diese unwirksam sind, wenn sie der Arbeitgeber ohne eine ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht. Zwar gelten die Neuerungen des BTHG erst in zeitlicher Abstufung. Die hier einschlägige Regelung des § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX (ab 1.1.2018: § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX), hat bereits ab 1.1.2017 Geltung.

Es fragt sich dabei, ob die neue Unwirksamkeitsregelung für die Kündigung von Arbeitsverhältnissen auch auf die Beendigung von Beamtenverhältnissen übertragbar ist. Dies hätte zur Folge, dass sich etwa bei einer verspäteten Einlegung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage gegen die Entlassung eines schwerbehinderten Beamten keine nachteiligen Folgen ergeben würden, weil ein ohne die erforderliche Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ergangener Verwaltungsakt (hierzu § 54 BeamtStG, Rn. 15ff.) gemäß Art. 43 Abs. 3 BayVwVfG als nichtig einzustufen wäre.

Die Regelung der Rechtsfolgen von Entlassungen gehört eindeutig zum Statusrecht, weshalb dem Bundesgesetzgeber hier eine Regelungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG zukommt.

  • Für eine solche entsprechende Anwendung der Unwirksamkeitsregelung des § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (ab 1.1.2018: § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX) auf die Entlassung spricht, dass der Dienstherr die Rechtsstellung der Schwerbehindertenvertretung generell – also auch für das Beamtenrecht – stärken wollte. Für eine solche Auslegung spricht auch die Tatsache, dass das SGB IX auch sonst nicht zwischen Arbeitgebern und Dienstherren auf der einen Seite und Arbeitnehmern und Beamten auf der anderen Seite unterscheidet (siehe etwa bei § 84 Abs. 2 SGB IX – künftig: § 167 Abs. 2 SGB IX; zur betrieblichen Wiedereingliederung; vgl. Art. 99 BayBG, Rn. 100 ff.).

  • Gegen eine solche Übertragung der Rechtsfolge auf Beamtenverhältnisse spricht allerdings neben der reinen Wortlautinterpretation auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber – wollte er eine solche Rechtsfolge für Entlassungen statuieren – dies unmissverständlich zum Ausdruck hätte bringen müssen.

Unterbleibt die erforderliche Anhörung und wird sie auch nicht in einer dem § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX (künftig: § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX) genügenden Weise nachgeholt, ist die Entlassungsverfügung damit weiterhin rechtswidrig und nicht nichtig.

Die Rechtswidrigkeit der Entlassungsverfügung kann dabei nicht mehr durch Nachholung der Anhörung im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens geheilt werden.3

Die Anhörungspflicht besteht nur, wenn vor der Entlassung eines schwerbehinderten Beamten oder gleichgestellten Beamten (§ 2 Abs. 2 und 3 SGB IX) die zuständige Behörde über die Behinderung unterrichtet wurde.4 Grundsätzlich ist hierfür erforderlich, dass die Schwerbehinderung nach § 69 SGB IX (künftig: § 152 SGB IX) festgestellt wurde und die Dienstbehörde danach durch Vorlage des Schwerbehinderungsausweises informiert wurde. Nach Auffassung des BVerwG (v. 15.12.1988 a.a.O.) ist es aber ausreichend, wenn die Schwerbehindertenvertretung nach Einreichung des Feststellungsantrags, aber noch vor Abschluss des Feststellungsverfahrens, durch einen (vorsorglichen) Verwaltungsakt einer Personalentscheidung widerspricht. In diesem Fall hätte der schwerbehinderte Arbeitnehmer Beamte das in seiner Hand Stehende getan, um in den Genuss der für schwerbehinderte Menschen geltenden Vergünstigungen zu kommen.

Im Übrigen steht es dem schwerbehinderten Beamten aber frei, ob er eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung anstrebt oder nicht.5 Der Beamte kann generell auf die Vergünstigungen für die Schwerbehinderung verzichten, indem er seine Behörde über die Schwerbehinderung nicht informiert. Er kann aber auch dann, wenn der Behörde die Schwerbehinderung bekannt ist, erklären, dass er in einem Verfahren eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht wünscht, etwa weil er verhindern will, dass bestimmte personenbezogene Daten der Schwerbehindertenvertretung offenbart werden.

Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger


1 Karpf, Schwerbehindertenrecht 2017, S. 30 ff.
2 BVerwG v. 31.1.1957, BVerwGE 5, 18.
3 BVerwG v. 23.10.1963, BVerwGE 17, 279 BVerwG v. 17.9.1981, ZBR 1982, 116.
4 BVerwG v. 15.12.1988, BVerwGE 81, 84.
5 BVerwG v. 22.8.1990, Buchholz 436.61 § 50 SchwbG Nr. 1.


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7 Kommentare zu diesem Beitrag
kommentiert am 18.01.2019 um 08:22:
Sehr geehrter Herr / Frau Klöpper, ich bitte Sie zu verstehen, dass unser Verlag keine fallbezogenen = rechtsberatenden Auskünfte auf diesem Weg erteilen darf. Deshalb nur ganz allgemein: Vor den Arbeitsgerichten (Angestellte) und Verwaltungsgerichten (Beamte) bestehen zwar unterschiedliche Prozessmaxime. Das Verwaltungsgericht ermittelt den Sachverhalt bekanntlich von Amts wegen (§ 86 VwGO). Gleichwohl ist es zulässig und üblich, dass sich die Parteien auf die sonst allgemeinen Beweismittel - wie etwa Zeugen oder Schriftstücke - berufen. Das gilt auch in Ihrem Fall und hierauf sollten Sie sich konzentrieren. Ich bedauere Ihnen keine detaillierten Auskünfte geben zu dürfen und hoffe aber gleichwohl, Ihnen trotz unserer Vorgaben zumindest etwas behilflich gewesen zu sein.
kommentiert am 17.01.2019 um 17:20:
Sehr geehrter Herr Dr. Baßlsperger, wie sieht denn die Einbindung der SBV in der Praxis aus? Ich habe einen Fall, bei der ein schwerbehinderter Beamter im laufenden Disziplinarverfahren entlassen werden soll. Gerügt wurde permanent die Nichtbeteiligung der SBV. Die Gegenpartei äußert sich nur lapidar, das man die SBV mit einbezogen habe. Wie kann der Nachweis der ordnungsgemäßen Einbeziehung erfolgen? Dem Beamten ist die Einbeziehung nicht bekannt. Schriftstücke bzgl. der Einbeziehung sind ebenfalls nicht bekannt und auch nicht Bestandteil der Disziplinarklage. Muss die Benachrichtigung und die Anhörung, welche vermutlich eine schriftliche Einlassung der SBV zur Folge hatte, Bestandteil der Klage bzw. der Akte sein? Es kann wohl nicht so sein, dass lediglich auf einer Behauptung beruhend, die SBV mit einbezogen worden sein soll. Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen! Gruß K. Klöpper
kommentiert am 16.11.2017 um 09:18:
Ich schließe mich der Auffassung von K. Huber an: Wenn eine Behinderter diese Eigenschaft seinem Dienstherrn nicht offenbaren muss, dann kann er auch und erst recht auf die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung verzichten!
kommentiert am 06.11.2017 um 11:24:
Wenn Sie mit einem "Totschlagsargument" ein Argument meinen, das nicht widerlegt werden kann, dann danke ich Ihnen für das Kompliment! Die in ihrem ersten Beitrag angeführten Literaturstellen betreffen übrigens nur den (tatsächlich nicht zulässigen) Verzicht auf die Beteiligung durch die Schwerbehindertenvertretung und nicht durch den schwerbehinderten Beamten selbst! Dieser kann und darf nicht entmündigt werden!
kommentiert am 02.11.2017 um 11:20:
Das ist zu kurz gedacht: Mit einem solchen "Tot­schlag­ar­gu­ment" kann eben­so we­nig das Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tungs­­­recht wie das Per­so­nal­ver­tre­tungs­recht oder das BetrVG ausgehebelt werden. Natürlich auch nicht das Zu­stim­mungser­for­der­nis des In­te­gra­ti­ons­amts im Antragsver­fah­ren nach § 87 SGB IX bei Kündigungen, bei dem gleichfalls nicht mit der "Da­ten­schutz­keu­le" bzw. "auf­ge­drängter Rechtshilfe" ar­gu­men­tiert werden kann. Viele Grüße Albin Göbel
kommentiert am 10.10.2017 um 08:30:
Es wäre ein unerklärbarer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines schwerbehinderten Beamten, wenn die Schwerbehindertenvertretung auch ohne seine Zustimmung beteiligt werden könnte. Außerdem wäre diese Meinung nicht mit dem Datenschutz vereinbar. Es gibt keine "aufgedrängte Rechtshilfe"!
kommentiert am 05.10.2017 um 15:45:
"Er kann aber auch dann, wenn der Behörde die Schwer­be­hin­derung bekannt ist, erklären, dass er in einem Verfahren eine Beteiligung der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tun­g nicht wünscht..." Nein, ist viel zu weitgehend. Das kann er generell mitnichten laut Fach­schrift­tum und ständiger Recht­spre­chung: Bei den in § 95 Abs. 2 Satz 1 bis 3 SGB IX geregelten Unterrichtungs-, Anhörungs- und Mitteilungsrechten handelt es sich um ein eigenständiges, der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tun­g kraft Amtes zustehendes Recht (Pahlen in NPM, SGB IX, 12. Aufl. 2010, § 95 Rn. 8), auf das "nicht verzichtet" werden kann (Düwell, LPK-SGB IX, 4. Aufl. 2014, § 95 Rn. 95 mwN). Dieses Recht steht grundsätzlich nicht zur Disposition eines schwerbehinderten Beschäftigten - nicht bei Kündigung und nicht bei Entlassung. Gleiches gilt natürlich auch für die Erörterung nach § 84 Abs. 1 SGB IX. Vgl. zuletzt LAG München, 26.01.2017, 3 TaBV 95/16, Rn. 40 www.dejure.org/2017,4773 Viele Grüße Albin Göbel
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