Mit dem Jahressteuergesetz 2008 wurde für die Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale eine Generalregelung in § 39e EStG geschaffen. Seitdem speichert das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) für jeden Steuerpflichtigen die notwendigen Lohnsteuerabzugsmerkmale und stellt sie den Arbeitgebern in einem automatisierten Verfahren – dem ELStAM-Verfahren – zum Abruf bereit. Die zuständigen Meldebehörden liefern seitdem die für die Bildung der Lohnsteuerabzugsmerkmale relevanten Grundlagen sowie deren Änderungen an das BZSt. Papier-Lohnsteuerkarten wurden daher letztmals für das Kalenderjahr 2010 ausgestellt. Die Teilnahme am ELStAM-Verfahren ist – von Härtefällen abgesehen – für alle Arbeitgeber verpflichtend. Ob diese Notwendigkeit aber auch allen bewusst ist?
Liebe Leserin, lieber Leser,
seit dem Kalenderjahr 2013 schon ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer bei Aufnahme des Dienstverhältnisses bei der Finanzverwaltung anzumelden und zugleich die ELStAM anzufordern. Das mag nun zunächst klingen wie „ein alter Hut“ – ich gebe Ihnen vollkommen Recht, nunmehr mehr als 12 Jahre später sollte man davon ausgehen, das Verfahren habe sich in der Praxis etabliert und sei eine Selbstverständlichkeit. Im kürzlich veröffentlichten überarbeiteten Anwendungsschreiben zur Vorschrift nun wurde neben einigen überwiegend klarstellenden Ausführungen erstmals auch der Hinweis auf die Arbeitgeberhaftung aufgenommen.1 Eine bzw. die Antwort auf die Frage was passiert, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nicht nachkommt. Dabei macht es einen wesentlichen Unterschied, inwieweit er seiner Verpflichtung nicht nachkommt. Angefangen mit dem worst case, in dem er trotz Kenntnis von IdNr. und Geburtsdatum den Arbeitnehmer überhaupt nicht beim BZSt anmeldet, den Lohnsteuerabzug aber dennoch nach Steuerklasse I–V vorgenommen hat: in diesem Fall haftet er in Höhe des Differenzbetrages zu der von ihm einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer (zuzüglich ggfs. Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag) zur Steuerklasse VI.2 Hintergrund ist, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein zweiter Arbeitgeber unter pflichtgemäßem ELStAM-Abruf ebenfalls die familiengerechte Steuerklasse verwendet. Dafür spielt es keine Rolle, ob ein zweites Dienstverhältnis theoretisch überhaupt möglich wäre oder aber der Arbeitgeber nach bestem Wissen und Gewissen ein solches ausschließt.
Hat der Arbeitgeber hingegen seinen Arbeitnehmer zumindest in ELStAM angemeldet, jedoch ohne (regelmäßig) die ELStAM bzw. Änderungslisten abzurufen, so ist nicht die Steuerklasse VI zugrunde zu legen. Die Gefahr, dass in einem weiteren Dienstverhältnis eine der Steuerklassen I bis V verwendet wird, besteht dann gerade nicht; eine ggfs. erforderliche Nachversteuerung – zum Beispiel im Rahmen einer Außenprüfung – erfolgt dann (nur) mit den aktuellen ELStAM. Ein kleiner Unterschied, allerdings mit erheblichen Auswirkungen.
Aber nochmals zurück zur Nachversteuerung mit Steuerklasse VI: Welche Rolle spielt es nun, dass die Lohnsteuer (lediglich) eine Erhebungsform der Einkommensteuer ist? Haftet der Arbeitgeber in Höhe der Lohnsteuer- oder aber der persönlichen Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers? Endet die Haftung mit einer Veranlagung des Arbeitnehmers? Aus meiner Sicht berechtigte Fragen, die dem besonderen Wesen der Lohnsteuer geschuldet sind. Gibt es darauf aber konkrete Antworten? Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hatte sich bereits in mehreren Entscheidungen mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.
Ein Rückgriff auf den Arbeitgeber dem Grunde nach kann bereits deshalb ermessensgerecht sein, weil das Haftungsverfahren der Vereinfachung dient und dem Finanzamt das Herantreten an jeden einzelnen Arbeitnehmer erspart. Das Finanzgericht arbeitete in seinen Entscheidungen darüber hinaus heraus, dass wegen der Akzessorietät der Haftung eine Haftungsinanspruchnahme zwar ausscheide, wenn eine Steuerverkürzung nicht eingetreten ist. Dementsprechend darf eine Haftungsinanspruchnahme nur für die gesetzlich entstandene Lohnsteuer erfolgen. Da die Lohnsteuer eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer darstellt, scheide eine Haftung zudem aus, wenn feststeht, dass eine Einkommensteuerschuld nicht oder nicht in Höhe des Lohnsteuerabzugs entstanden ist. Das muss der Arbeitgeber dem Finanzamt allerdings nachweisen.3 Nur wenn der Arbeitgeber also nachweist, dass der Arbeitnehmer veranlagt wurde und folglich der Arbeitslohn zutreffend besteuert wurde, kann er sich der Haftung entziehen. Er müsste also grundsätzlich den Einkommensteuerbescheid des Arbeitnehmers vorlegen. Andernfalls, d. h. im Haftungsfall, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für die in Haftung genommene Lohnsteuer in Regress nehmen.
Höchstrichterlich bestätigt ist dies soweit ersichtlich leider (noch) nicht. Und das obwohl eine Antwort des BFH eigentlich schon in Sichtweite war: das FG Berlin-Brandenburg hatte in einem weiteren Verfahren genau aus diesem Grund die Revision zugelassen, die nachfolgend auch erhoben wurde. Weil das Finanzamt sich aber auf die Haftungsinanspruchnahme des Arbeitgebers nach § 42d EStG beschränkt hatte, ohne eine mögliche Haftung Dritter nach der Abgabenordnung in Betracht zu ziehen, beurteilte der BFH den Haftungsbescheid als rechtswidrig ohne sich den weitergehenden Fragen überhaupt stellen zu müssen.4
Soweit muss es aber auch gar nicht erst kommen. Auch wenn die Steuerklasse des Arbeitnehmers „bekannt“ ist und bestätigt werden könnte, dass es weitere Dienstverhältnisse parallel dazu nicht gibt – rechtssicher und richtig wird´s erst mit der Anmeldung und dem Abruf. Und das gilt nicht nur bei der Neueinstellung von Arbeitnehmern. Auch in Fällen der Übernahme eines Mandats oder der Entscheidung des Arbeitgebers, die Löhne in Zukunft selbst abzurechnen – eine Nachprüfung, ob die ELStAM-Anmeldung zutreffend vorgenommen wurde und damit alles seinen richtigen Weg nimmt, lohnt sich in jedem Fall!

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Und damit verabschiede ich mich und grüße Sie ganz herzlich,
Ihre Ramona Dietmair
1 BMF-Schreiben vom 13.12.2024, BStBl I 2025, 64
2 Rz. 130 des BMF-Schreibens vom 13.12.2024
3 FG Berlin Brandenburg vom 23.02.2017, Az. 4 K 4109/15 sowie vom 13.11.2018, Az. 9 V 9023/18
4 BFH vom 02.09.2021, Az. VI R 47/18

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