Rettungsdienste, Pflegeeinrichtungen, Energie- und Trinkwasserversorgung oder Polizei und Feuerwehr – Berufsgruppen, die im Ernstfall sofort gebraucht werden. Auch außerhalb der gewöhnlichen Arbeitszeit. In vielen Berufen ist es daher unumgänglich, auf Abruf bereitzustehen, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Der Bereitschaftsdienst wird üblicherweise nicht wie die reguläre Arbeitszeit entlohnt, im Gegenzug kommen in der Regel steuerfreie Zuschläge hinzu, wenn der Dienst zu begünstigten Sonn-, Feiertags- oder Nachtarbeitszeiten erbracht wird, was für gewöhnlich ganz oder teilweise der Fall sein wird. Da die Arbeit zu diesen Zeiten mit besonderen Belastungen verbunden ist, aber sowohl im öffentlichen als auch im Privatbereich zum Teil unumgänglich und unvermeidbar ist, soll mit der Steuerbefreiung nach § 3b EStG ein finanzieller Ausgleich ermöglicht werden. Die Steuerbefreiung ist allerdings an Höchstbeträge, die vom jeweiligen individuellen Grundlohn abhängen, gekoppelt. Welche Grenzen sind nun aber für geringer entlohnte Bereitschaftsdienstzeiten maßgebend? Mit dieser Frage hatte sich der BFH zu beschäftigen und kürzlich eine Entscheidung gefällt.
Liebe Leserin, lieber Leser,
um den Grundlohn als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der steuerfreien Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit dreht sich die aktuelle Entscheidung des BFH vom 11.04.2024.1 Die Arbeitgeberin, eine Förderschule mit angeschlossenem Internat für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen, betreute die in Wohngruppen lebenden Kinder und Jugendlichen auch in der Nacht. Nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen wurden die Mitarbeiter während der nächtlichen Beaufsichtigung im Bereitschaftsdienst tätig. Diese Bereitschaftsdienstzeit wurde nur zu 25 % als Arbeitszeit entgolten. Zusätzlich erhielten die Mitarbeiter für den Bereitschaftsdienst in den Nachtstunden je tatsächlich geleisteter Stunde einen Zeitzuschlag in Höhe von 15 % der auf eine Stunde umgerechneten individuellen Regelvergütung. Insgesamt wurde im Arbeitsvertrag damit zwischen der Regelvergütung, dem Bereitschaftsdienstentgelt und den steuerfreien Zeitzuschlägen differenziert. Der Zeitzuschlag für den Bereitschaftsdienst von null bis sechs Uhr wurde – im Gegensatz zum regulär versteuerten Bereitschaftsdienstentgelt – steuerfrei ausbezahlt, gesondert verbucht und entsprechende Aufzeichnungen geführt. Streitgegenständlich war nun, ob die steuerfrei ausbezahlten Zuschläge die Höchstgrenzen des § 3b EStG überschritten und folglich nur anteilig unter die Steuerbefreiung fallen. Die Steuerbefreiung für Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, ist für Nachtarbeit begrenzt auf 25 % des Grundlohns (§ 3b Abs. 1 EStG). Zu klären war, was als Grundlohn gilt: die Regelvergütung, die für die reguläre Arbeitszeit entrichtet wird, oder aber lediglich das niedrigere Entgelt für den Bereitschaftsdienst?
Zur Entscheidungsfindung konnte der BFH auf mehrere Urteile zurückgreifen, die er zuletzt zu dieser Vorschrift gefällt hatte.
§ 3b Abs. 2 Satz 1 EStG definiert den Grundlohn als den „laufende(n) Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht…“. Erst vor kurzem hatte der BFH diese Definition konkretisiert und entschieden, dass hiermit der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum arbeitsvertraglich zusteht, gemeint ist. Es kommt also darauf an, was arbeitsvertraglich vereinbart ist. Ob und in welchem Umfang der Grundlohn dem Arbeitnehmer auch tatsächlich zufließt, ist insoweit ohne Belang.2 Im damaligen Urteilsfall ging es um Beiträge an eine Unterstützungskasse, die zwar monatlich entrichtet wurden, mangels der Verschaffung von Rechtsansprüchen dem Arbeitnehmer aber noch nicht zugeflossen waren. Da der tatsächliche Zufluss keine Tatbestandsvoraussetzung sei, waren die Beiträge dennoch als Teil des Grundlohns zu bewerten. Es muss sich aber um laufenden Arbeitslohn, sprich das regelmäßig zustehende Arbeitsentgelt, handeln. Nicht dem Grundlohn zuzurechnen wäre damit das Weihnachts- oder Urlaubsgeld, der privat genutzte Firmenwagen hingegen schon, da es nicht nur auf den laufenden Barlohn ankommt.
Weiteres Merkmal der Steuerbefreiung sei es, dass die neben dem Grundlohn gewährten Zuschläge für tatsächlich geleistete Arbeit zu begünstigten Zeiten gezahlt werden. Auch an dieser Stelle konnte der BFH auf eine noch recht junge Entscheidung zurückgreifen, mit der er das Kriterium der „tatsächlich geleisteten Arbeit“ bereits herausgearbeitet hatte: Streitig waren in diesem Verfahren "passive" Fahrtzeiten von Spielern und Betreuern einer Profi-Sportmannschaft im Mannschaftsbus. Tatsächlich geleistete Arbeit sei jede zu den begünstigten Zeiten tatsächlich im Arbeitgeberinteresse ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers, für die er einen Anspruch auf Grundlohn hat, unabhängig von deren arbeitszeitrechtlichen Einordnung nach dem Arbeitszeitgesetz und unabhängig davon, ob diese den Arbeitnehmer in besonderer Weise fordert oder ihm "leicht von der Hand" geht. Die Reisezeit im Zusammenhang mit Hin- und Rückfahrten zu Auswärtsterminen sei damit solch „tatsächlich geleistete Arbeit“.3 Nur zur Abgrenzung: die Lohnfortzahlung während des Mutterschutzes hatte der BFH hingegen nicht als für eine tatsächliche Arbeitsleistung gezahlten Zuschlag angesehen.4 Übertragen auf den aktuellen Fall wertete er auch das bloße Bereithalten als tatsächliche Arbeitsleistung, wenn gerade dieses arbeitsvertraglich geschuldet ist.
Im Ergebnis kam er somit zu dem Schluss, die Steuerfreiheit der Zuschläge für die Bereitschaftsdienste, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit erbracht und gesondert vergütet werden, bemesse sich nach dem Arbeitslohn für die regelmäßige Arbeitszeit und nicht nach dem geringeren Bereitschaftsdienstentgelt. Dass die Mitarbeiter während ihrer Bereitschaftsdienste keinen Anspruch auf diesen Grundlohn hatten, sondern insoweit "gesondert" vergütet wurde, stehe dem nicht entgegen.
Mit dem Urteil tritt der BFH der Auffassung der Verwaltung entgegen, wonach Zuschläge zur Bereitschaftsdienstvergütung nur innerhalb der maßgebenden Prozentsätze gemessen an der Bereitschaftsdienstvergütung steuerfrei bleiben (vgl. H 3b „Bereitschaftsdienste“ LStH). Die Auffassung geht zurück auf ein zur Rufbereitschaft ergangenes BFH-Urteil5, welches - ohne zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft zu unterscheiden – insoweit allgemein für anwendbar gewertet wurde. Nach den damaligen Entscheidungsgrundsätzen sei der geringeren Beeinträchtigung bei Rufbereitschaft gegenüber der „vollen Arbeitsleistung“ dadurch Rechnung zu tragen, dass die Grenzen der Steuerbefreiung nicht nach dem Grundlohn bei voller Arbeitsleistung, sondern nach dem Entgelt für die Rufbereitschaft zu bemessen seien.

Für mehr Wissen.
Fortbildungen im Lohnsteuerrecht
Profitieren Sie von unseren neuen informativen und praxisorientierten eLearning-Angeboten in Form von Webinaren, Online-Trainings oder Video-Tutorials. Gestalten Sie Ihre Fortbildung flexibel und praxisnah. Für Kunden des Lexikons für das Lohnbüro 2026 PLUS sind bereits vier Webinare im Jahr 2026 inklusive.
Fraglich also nun, ob der BFH mit seiner aktuellen Rechtsprechung seine ursprüngliche Rechtsauffassung aufgibt oder aber zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterschieden werden muss. Im Bereitschaftsdienst hält sich der Arbeitnehmer außerhalb der gewöhnlichen Arbeitszeit an einem vom Arbeitgeber festgelegten Ort für den Bedarfsfall zur Arbeit bereit. In Fällen der Rufbereitschaft kann sich der Arbeitnehmer hingegen an einem von ihm selbst gewählten Ort aufhalten, sofern er gewährleistet, dass eine Arbeitsaufnahme im Bedarfsfall in angemessen kurzer Zeit stattfinden kann. Der Arbeitnehmer wird also im Bereitschaftsdienst enger gebunden, da er sich an einem konkret durch den Arbeitgeber festgelegten Ort aufhalten muss. Dies könnte es rechtfertigen, einen Unterschied zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu ziehen. Bei näherer Betrachtung der aktuellen Begründung müsste man aus meiner Sicht jedoch den Schluss ziehen, der BFH halte nicht mehr an seiner ursprünglichen Auffassung fest. Denn er bejaht genauso wie für die Rufbereitschaft die tatsächlich geleistete Arbeit auch soweit Bereitschaftsdienst geleistet wird, weshalb die Steuerbefreiung dem Grunde nach zur Anwendung kommt. Nach seiner Begründung spielt es aber keine Rolle, ob für den Bereitschaftsdienst auch der Grundlohn geschuldet wird. Der damit verbundene Widerspruch zum Urteil aus dem Jahr 2002 wird auch bereits bei den Leitsätzen des aktuell veröffentlichten Urteils dokumentiert. Es ist somit davon auszugehen, dass die Parallele zur Rufbereitschaft gezogen werden kann, allerdings eben in die entgegengesetzte Richtung wie bisher anzunehmen war.
Somit bleibt es wie so oft abzuwarten, wie die Finanzverwaltung mit diesem Urteil umgehen wird. Neben einer Veröffentlichung im Bundessteuerblatt bleiben diesmal aber auch die LSt-Hinweise zu beobachten.

Beste Antworten.
Newsletter Arbeits- und Lohnsteuerrecht
Erhalten Sie regelmäßig Informationen zu den aktuellen Entwicklungen im Arbeits- und Lohnsteuerrecht sowie Empfehlungen zu neuen Produkten und Webinaren. Jetzt kostenlos anmelden und von den aktuellen Angeboten und Beiträgen profitieren.
Und damit verabschiede ich mich und grüße Sie ganz herzlich,
Ihre Ramona Dietmair
1 BFH vom 11.04.2024, Az.: VI R 1/22
2 BFH vom 10.08.2023, Az.: VI R 11/21
3 BFH vom 16.12.2021, Az.: VI R 28/19
4 BFH vom 27.05.2009, Az.: VI B 69/08
5 BFH vom 27.08.2002, Az.: VI R 64/96

Quiz Lohnsteuerrecht
Jeden Monat stellen wir Ihnen spannende Fragen zum Lohnsteuerrecht. Sie testen Ihr Fachwissen und lesen gleich die richtigen Lösungen. So können Sie spielend Ihr Lohnsteuer-Wissen erweitern und sind bei aktuellen Rechtsänderungen stets auf dem neuesten Stand.
