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Über das Einkommensteuergesetz hinaus

Bereits zu Beginn des Jahres hatte ich meinen Blogbeitrag dem Thema erste Tätigkeitsstätte bei Arbeitnehmerüberlassungen gewidmet.1 Ursächlich dafür war eine ganze Reihe aktueller Entscheidungen dazu, sowohl von Finanzgerichten, als auch dem Bundesfinanzhof. Die Reihe endet jedoch nicht, es verbleibt noch immer Streitpotential bzw. unterschiedliche Auffassungen hierzu. Ein weiteres BFH-Urteil gibt nun Anlass, erneut auf das Thema einzugehen. Ohne die Spannung vorweg nehmen zu wollen – es wird wohl nicht das Letzte hierzubleiben.

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Liebe Leserin, lieber Leser,

wesentliches Kriterium der ersten Tätigkeitsstätte ist die Dauerhaftigkeit. Egal unter welchen der verschiedenen Möglichkeiten eine erste Tätigkeitsstätte begründet wird, geht dies regelmäßig damit einher, dass die Voraussetzungen dauerhaft vorliegen sollen. Der Blick ist dabei in die Zukunft zu richten, es bedarf also einer Prognoseentscheidung. Ob es später tatsächlich auch so kommt wie ursprünglich geplant – oder aber die tatsächlichen Verhältnisse durch Krankheit oder andere unvorhergesehene Ereignisse von der vereinbarten Festlegung abweichen – ist insoweit unerheblich.

Typische Fälle der Dauerhaftigkeit sind die unbefristete Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer bestimmten betrieblichen Einrichtung, die Zuordnung für die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses oder die Zuordnung über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus (§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG). Gleiches gilt für den Fall der fehlenden Zuordnung durch den Arbeitgeber hinsichtlich der quantitativen Kriterien (§ 9 Abs. 4 Satz 4 EStG). In all den Fällen kann sich der Arbeitnehmer damit im Vorfeld auf die regelmäßigen Arbeitswege einstellen und entsprechend kalkulieren.

Es liegt nahe, dass sich dieses Kriterium besonders bei Leiharbeitnehmern als fraglich erweist. Schließlich liegt es in der Natur der Arbeitnehmerüberlassung, vorübergehenden Personal(mehr)bedarf zu kompensieren. In der Praxis hat sich insbesondere die Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zum 01.04.2017 als weiteres Argument gegen die Dauerhaftigkeit herauskristallisiert. Seitdem gilt die Regelung des § 1 Abs. 1b Satz 1 bis 3 AÜG n. F.. Während nach vorheriger Fassung die Überlassungsdauer nicht zeitlich beziffert wurde, darf nunmehr der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen. So hatte auch das FG Düsseldorf die Neuregelung als „dauerhaftigkeitsschädlich“ beurteilt und dem AÜG damit Bedeutung auch für das Steuerrecht beigemessen. Die zeitliche Befristung der Überlassungsdauer führe dazu, dass der Leiharbeitnehmer die Fahrten zur Arbeitsstätte des Entleihers im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung als Reisekosten geltend machen kann.2 Die Verwaltung hingegen spricht der Neuregelung des AÜG Auswirkungen für das Steuerrecht ausdrücklich ab (Rz. 21 des BMF-Schreibens vom 25.11.2020). Im aktuellen Fall vor dem BFH nun waren die Jahre 2017 und 2018 strittig, weshalb sich eine Entscheidung darüber erwarten ließ, ob die Änderung des AÜG in 2017 zu einer Neubeurteilung der vorherigen Zuordnungsentscheidung führt.

Die Kernaussage des Urteils sehe ich nun allerdings darin, dass auch der BFH dem AÜG Bedeutung für das Steuerrecht beimisst. Dem Grunde nach kommt es auf die Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, dem Verleiher, an. Allerdings spielen auch die Vereinbarungen zwischen Ver- und Entleiher eine Rolle, weil die Zuordnungsentscheidung des Verleihers mittelbar von diesen Vereinbarungen beeinflusst wird. Lassen gesetzliche Regelungen insoweit auch nur eine vorübergehende Überlassung zu, müsse sich das auch in der Zuordnungsentscheidung entsprechend widerspiegeln. Die äußeren Umstände sprechen daher bei einem Leiharbeitsverhältnis regelmäßig nur für das Vorliegen einer vorübergehenden und damit befristeten Zuordnung an eine Tätigkeitsstätte des Entleihers.

Der BFH sieht bereits in der bis zum 31.03.2017 geltenden Fassung des AÜG ein Verbot der mehr als vorübergehenden und damit unbefristeten Überlassung. Nach der seit dem 01.04.2017 geltenden Fassung des § 1 Abs. 1b AÜG darf der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer –vorbehaltlich einer abweichenden tarifvertraglichen Regelung – demselben Entleiher ausdrücklich nicht länger als 18 Monate überlassen. Eine unbefristete Zuordnung komme daher weder vor noch nach Änderung des AÜG in Betracht. Greift daneben keine weitere der Möglichkeiten für die Dauerhaftigkeit – denkbar wäre bei einem befristeten Leiharbeitsverhältnis beispielsweise die Dauer des Dienstverhältnisses – hat der Leiharbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte.

Und eine zweite wichtige Aussage lässt sich dem aktuellen Urteil entnehmen: Führt die Änderung des AÜG zwangsläufig zu einer neuen Zuordnungsentscheidung? Aus Sicht des BFH ist das nicht der Fall. Vergleichbar mit einem in naher Zukunft beabsichtigten Arbeitsplatzwechsel oder einer Versetzung bedarf es einer steuerlichen Neubewertung erst dann, wenn es tatsächlich so weit ist, das Ereignis also auch eingetreten ist. Eine dauerhafte Zuordnungsentscheidung hätte folglich bis zum tatsächlichen Ende des bereits vor der Gesetzesänderung begründeten Überlassungsverhältnisses fortgewirkt und erfordert damit nicht zwangsläufig eine Neubeurteilung zum 01.04.2017.3

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Nach dieser Entscheidung nun schränkt sich der Kreis der Leiharbeitnehmer mit erster Tätigkeitsstätte noch weiter ein. Weiter beobachtet werden sollte die Rechtsprechung in diesem Themenkomplex aber dennoch. So liegt dem BFH hier auch eine Frage zur Möglichkeit der „Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses“ vor. Konkret zu beurteilen nun für den Fall, dass ein befristetes Beschäftigungsverhältnis zum Verleiher wiederholt vor Ablauf der Befristung bei unverändertem Vertragsinhalt verlängert wird und jeweils eine Verlängerung der befristeten Zuordnung zu demselben Entleiher bei unverändertem Einsatzort erfolgt.4 Eine Kombination befristeter Dienstverhältnisse mit Kettenabordnungen also.

Zunächst aber nehmen wir mit:
Über das Einkommensteuergesetz hinaus – können auch Vorgaben anderer Gesetze eine Rolle für die steuerliche Beurteilung spielen. Es bleibt abzuwarten, ob die Verwaltung ihre Auffassung insoweit korrigiert und den Anwendungserlass zum Reisekostenrecht anpasst.

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Und damit verabschiede ich mich und grüße Sie ganz herzlich,

Ihre Ramona Dietmair


Vgl. Blogbeitrag „Dauerhaft entliehen?“ vom 26.02.2025
2 FG Düsseldorf vom 20.11.2024, Az. 15 K 1490/24 E
3 BFH vom 17.06.2025, Az. VI R 22/23
4 Revision unter dem Az. VI R 2/25

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