Anonymisierte Bewerbungen – Fluch oder Segen?
Liebe Leserinnen und Leser,
seit rund drei Jahren wird das Thema „Anonymisierte Bewerbungen“ intensiver diskutiert und immer noch gibt es einige Missverständnisse:
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Die Arbeitgeber sollen nicht dazu genötigt werden, Bewerberinnen und Bewerber quasi blind einzustellen,
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mit anonymisierten Bewerbungsverfahren ist nicht der Zwang zur Einhaltung von Quoten verbunden,
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anonymisierte Bewerbungsverfahren müssen nicht zwangsläufig teurer und aufwändiger als die bisherigen Auswahlverfahren sein.
Was sind anonymisierte Bewerbungen?
Das Thema „Anonymisierte Bewerbungen“ bezieht sich ausschließlich auf die Vorauswahl von Bewerberinnen und Bewerber. Es geht darum, wie auf der Grundlage von Bewerbungsunterlagen die Entscheidung gefällt wird, ob jemand zu weiteren Schritten des Auswahlverfahrens (z.B. Interview, Assessment Center) eingeladen wird oder nicht. Die Verfechter der „anonymisierten Bewerbungen“ (z.B. Antidiskriminierungsstelle des Bundes) vertreten die Ansicht, dass diese Entscheidung nicht auf Grundlage von Daten z.B. hinsichtlich des Geschlechts, des Alters oder der ethnischen Herkunft der Bewerberinnen und Bewerber gefällt werden sollte. Positiv ausgedrückt soll die Vorauswahlentscheidung auf Informationen wie Ausbildung und Qualifikationen, berufliche Erfolge und Referenzen, Motivation für die Arbeitsstelle u.ä.m. gründen.
Was soll mit anonymisierten Bewerbungen vermieden werden?
Mit anonymisierten Bewerbungen sollen Benachteiligungen (im Sinne des AGG) verschiedener Personengruppen vermieden werden. Beispielsweise ist durch eine Studie der Universität Konstanz bekannt, dass Bewerber mit türkisch klingendem Namen geringere Chancen auf eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch haben1. Meiner Ansicht nach erfolgen diese Benachteiligungen oftmals nicht bewusst. Eine hohe Anzahl von Bewerbungen, umfangreiche Bewerbungsunterlagen und Zeitdruck können bei den Verantwortlichen dazu führen, dass eine genaue Analyse der Unterlagen unterbleibt und man sich vermehrt auf sein Bauchgefühl verlässt. Dann jedoch ist die Gefahr groß, Opfer seiner Stereotype/Klischees bzw. des eigenen „Schubladendenkens“ zu werden und z.B. die Bewerbung eines älteren Bewerbers auszusortieren, weil Ältere ja angeblich weniger innovativ und ehrgeizig seien.
Wird die Personalauswahl aufwändiger?
Zur Realisierung anonymisierter Bewerbungen gibt es inzwischen eine Reihe von praxiserprobten Vorschlägen. Die Spannweite reicht von der Schwärzung bestimmter Angaben in den Bewerbungsunterlagen bis dahin, dass Bewerbungen nur noch mittels im Internet hinterlegter Bewerbungsformulare erfolgen. Wer sich hierzu genauer informieren möchte, sei auf das Werk von Gerhard Gros2 verwiesen. Jede Verwaltung wird einen Vorschlag finden, der ihren speziellen Anforderungen genügt. Dabei muss die Vorauswahl nicht aufwändiger oder teurer werden. Allerdings muss einiges an „Hirnschmalz“ investiert werden – so müssen sich die Auswählenden darüber klar werden, nach welchen Bewerbermerkmalen die Vorauswahl erfolgen soll und wie diese Merkmale weitgehend objektiv erhoben werden können. In einigen Fällen wird diese Rationalisierung zu einer effizienteren Vorauswahl führen. Übrigens: falls Sie angesichts der Bewerberlage sowieso jeden Bewerber oder jede Bewerberin zu einem Auswahlgespräch einladen, brauchen Sie sich um „anonymisierte Bewerbungen“ nicht zu kümmern.
Ein Personalverantwortlicher über die Praktikabilität von standardisierten Bewerbungsformularen: „Ich spare durch das neue Verfahren eine Menge Zeit. Wenn man alle personenbezogenen Angaben der Bewerbenden hat, geht im Kopf schon eine Menge ab. Nun konzentriere ich mich auf das Wesentliche – die Qualifikationen – und kann die Bewerbungen durch die Standardisierung besser und schneller miteinander vergleichen.“3
Wem hilft die Medizin?
Eine Frage gilt es noch zu beantworten: was sind die Wirkungen der anonymisierten Bewerbungen? Können mit einem derartigen Vorauswahlverfahren tatsächlich Benachteiligungen vermieden werden? Die Ergebnisse eines Modellprojekts der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hinterlassen diesbezüglich einen positiven Eindruck: so hatten im Rahmen entsprechender Vorauswahlverfahren Frauen und Migranten dieselbe Chance zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden wie Vertreter anderer Gruppen4. Allerdings muss man sich vergegenwärtigen, dass positive Effekte anonymisierter Bewerbungen nur dann auftreten können, wenn die Vorauswahl bislang in wenig strukturierter und objektiver Weise erfolgt ist - die Medizin zeigt ihre Wirkung nur beim Kranken, nicht beim Gesunden!
Herzlichst
Ihr Andreas Gourmelon
1Agthe, M. & Spörrle, M. (2010). Was die Entscheidung verfälscht. Personalmagazin, 11/2010, S. 16 – 18.
2 Gros, G. (2012). Anonymisierte Bewerbungen. In A. Gourmelon (Hrsg.), Personalmanagement im öffentlichen Sektor, Band 1. München: Rehm.
3 Aus Böschen, I; Alt, R.; Krause, A.; Rinne, U. & Zimmermann, K. F. (2012). Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ – Abschlussbericht (S. 13). Bonn: Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
4 Siehe Böschen et al (2012)

