Auf was Personalauswählende bei der Analyse von Bewerbungsunterlagen achten
Liebe Leserinnen und Leser,
zu Beginn dieses Blog-Beitrags bitte ich Sie, sich in die Rolle eines Job-Interessenten zu versetzen, der sich auf eine Vakanz bewerben möchte. Hierzu werden Sie Bewerbungsunterlagen erstellen müssen und sich überlegen, wie Sie diese gestalten. Da Sie nicht auf den Kopf gefallen sind, werden Sie sich über die Ratgeberliteratur informieren. Und dabei werden Sie – so Prof. Kanning von der Hochschule Osnabrück – auf 67 Empfehlungen und Tipps stoßen, wie Sie Ihre Unterlagen optimieren können.
Aber Tipps und Tricks aus Ratgebern sind die eine Seite. Was aber machen die Personalauswählenden auf der anderen Seite? Achten diese tatsächlich auf diese 67 Empfehlungen? Wie analysieren Praktiker Bewerbungsunterlagen? Welche Vorgehensweise ist bei der Analyse von Bewerbungsunterlagen angesichts von wissenschaftlichen Befunden zielführend?
Diesen Fragen ging der Eignungsdiagnostiker Kanning in einer empirischen Studie1 nach. Er befragte hierzu online 244 Personalverantwortliche, die wohl überwiegend im privaten Sektor tätig sind.
Knapp die Hälfte der befragten Personalverantwortlichen verwendet bei der Sichtung von Bewerbungsunterlagen keine verbindlichen Auswahlkriterien. Die Unterlagen werden ganzheitlich interpretiert. Rund 52 % der Befragten geben an, dass sie einige verbindliche Kriterien verwenden, aber auch zusätzlich der Gesamteindruck bedeutsam ist. Bei 1,2 % der Befragten sind die Vorauswahlkriterien vollständig festgelegt. Wissenschaftliche Erkenntnisse spielen bei der Festlegung von Kriterien kaum eine Rolle – nur bei 3% der Befragten.
In Tabelle 1 ist wiedergegeben, auf was Personalverantwortliche bei der Analyse von Bewerbungsunterlagen achten. Die Angaben in der Tabelle sind nur ein Auszug aus den Ergebnissen von Kanning.
Tabelle 1: Kriterien bei der Analyse von Bewerbungsunterlagen. Auszüge aus den Studienergebnissen von Kanning (2016).
Was kann Job-Interessenten angesichts dieser Ergebnisse geraten werden? Nun, meinen Kindern zumindest werde ich raten, die Ratgeberliteratur aufmerksam zu lesen und die Empfehlungen möglichst umfassend zu beachten. Auch wenn einzelne Kriterien – wie z. B. die Geschwisteranzahl – nur von relativ wenigen Arbeitgebern beachtet werden, ist den Bewerbern ja nicht bekannt, welche Arbeitgeber diese Kriterien anwenden und welche nicht. Lieber also bei der Gestaltung der Bewerbungunterlagen etwas mehr Mühe investieren und auch unsinnige Angaben machen.
Ob meine Kinder aber für Arbeitgeber arbeiten möchten, die eine Reihe der aufgelisteten Kriterien verwenden, steht auf einem anderen Blatt. Bei einigen der Kriterien (z. B. Alter, Geschlecht) liegt im privaten Sektor der Verdacht eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und einer Diskrimierungsabsicht nahe. Hier kann man den betreffenden Unternehmen nur anraten, möglichst rasch das Instrument „Anonymisierte Bewerbungen“ zu verwenden2. Weitere Kriterien (wie z. B. Gewicht der Bewerbungsmappe) scheinen zum Zwecke der Vorauswahl auf einer Micky-Maus-Psychologie zu gründen. Andere widersprechen klar den Erkenntnissen wissenschaftlicher Studien (Handschrift).
Positive wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es nur für eine kleine Anzahl der verwendeten Kriterien. So ist bekannt, dass auf Grundlage der Berufserfahrung, der Beschreibung bisheriger Tätigkeiten in Arbeitszeugnissen, Angaben zur Weiterbildung sowie der Durchschnittsnote im Schulzeugnis valide Schlüsse auf die Eignung der Bewerber gezogen werden können. Die Nützlichkeit einer Reihe von Kriterien erscheint plausibel, ist aber bislang nicht wissenschaftlich überprüft worden.
Wohl ist die Nützlichkeit vieler Kriterien auch davon abhängig, ob sie für den Zweck der Vorauswahl oder für den Zweck der Hypothesengenerierung bzw. der Vorbereitung von Interviews verwendet werden. Hier ist die Studie mit dem Aspekt der „Sichtung von Bewerbungsunterlagen“ nicht genau genug gewesen.
Herzlichst
Ihr
Andreas Gourmelon
1 Kanning, U. P. (2016). Über die Sichtung von Bewerbungsunterlagen in der Praxis der Personalauswahl. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 60 (1), 18 – 32.
2 Siehe Gros, Anonymisierte Bewerbungen, Band 1 der Reihe „Personalmanagement im öffentlichen Sektor“, Rehm: Heidelberg

