Die dunklen Seiten der Staatsdiener
Liebe Leserinnen und Leser,
kontraproduktive Handlungen verstoßen gegen die legitimen Interessen des Dienst-herrn. Ein wesentliches Merkmal ist weiterhin, dass diese Handlungen absichtlich bzw. mit Vorsatz durchgeführt werden. Der Begriff „kontraproduktive Handlungen“ umfasst Straftaten wie z. B. Diebstahl, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme, aber auch Handlungen wie Mobbing, Leistungsverweigerung, sexuelle Belästigung, Absentis-mus, Diskriminierung, Vernachlässigung von Dienstpflichten. Die Neigung zu kontraproduktiven Handlungen kann als der Gegenpol zu Integrität verstanden werden. Es sind auch diese kontraproduktiven Handlungen, die das Vertrauen der Bevölkerung zum Staat gefährden und intern zu einer miserablen Stimmung führen können.
Zur Studie
Im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Überprüfung eines Integritätstests (siehe Blog vom 22.4.2015) musste erfasst werden, in welchem Ausmaß Nachwuchskräfte des öffentlichen Sektors kontraproduktive Handlungen durchführen. Konkret wurden 120 Studierende der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (FHöV) befragt, die zum Zeitpunkt der Befragung im Mai 2015 gerade ihr Studium beendeten. Die Studierenden wurden für Stellen im gehobenen Dienst der Kommunalverwaltungen und des Polizeivollzugsdienst ausgebildet. Das Studium setzt sich aus Theorie- und Praxisphasen zusammen. Erstere werden an der FHÖV durchgeführt, hier findet im wesentlichen ein seminaristischer Unterricht statt. Weitere Kompetenzen erwerben die Studierenden während ihrer Praxisphasen in den Einstellungsbehörden, wo sie teilweise schon in den normalen Praxisalltag der Behörden integriert sind. Regelmäßig sind die Nachwuchskräfte ab dem Studienbeginn verbeamtet.
Im Vorfeld der Befragung wurde ein Fragebogen entwickelt. Gemeinsam mit Dozen-ten der FHöV, Ausbildungsleitern aus den Behörden, Absolventen der FHöV, Studierenden und Verwaltungsmitarbeitern der FHöV wurden kontraproduktive Handlungen gesammelt und die Frageformulierungen geprüft. Insgesamt wurden 68 kontraproduktive Handlungen aufgelistet, die Studierende während des Studiums durchführen könnten. Die schriftliche Befragung der Studierenden wurde in anonymer Form durchgeführt.
Das Ausmaß kontraproduktiver Handlungen
In der Tabelle finden Sie die einzelnen kontraproduktiven Handlungen und die Ant-worthäufigkeiten. So gaben Studierende beispielsweise an, Vorteile angenommen / sich verschafft, Kollegen sexuell belästigt und schikaniert, Arbeitsmaterialien ent-wendet, Urkunden gefälscht, Bürger diskriminiert oder in Abrechnungen zum eigenen Vorteil falsche Angaben gemacht zu haben. Aus forschungstechnischen Gründen wurde die weitere Auswertung auf 92 Studierende beschränkt: Zwei von 92 befragten Studierenden taten kund, während des Studiums keine der vorgegebenen kontraproduktiven Handlungen begangen zu haben. Im Schnitt wurden knapp 8 kontraproduktive Handlungen dokumentiert, die zumindest einmal ausgeführt wurden. Zwölf und mehr kontraproduktive Handlungen, die mindestens einmal durchgeführt wurden, gaben knapp 20% der Studierenden an. Der Maximalwert beträgt 23 Handlungen, die jeweils mindestens einmal ausgeführt wurden; d.h. dieser Studierende hat jede dritte der im Fragebogen vorgegebenen Handlungen während des Studiums zumindest einmal ausgeführt (siehe auch Abbildung 1).

Abbildung 1: Ausmaß kontraproduktiver Handlungen bei verbeamteten Studierenden. Angegeben ist auf der Y-Achse die Anzahl der kontraproduktiven Handlungen, die gemäß Selbstauskunft von einem Studierenden mindestens einmal begangen wurde. Auf der X-Achse ist der Prozentsatz der befragten Studierenden angegeben (n=92).
Liebe Leserinnen und Leser, ich gebe zu, dass ich angesichts des Ausmaßes an kontraproduktiven Handlungen bei den Studierenden erstaunt bin, besonders über Angaben zum Umgang mit dem Recht, den Bürgern und Kollegen bin ich erschrocken. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl Studierender hat jede vierte der aufgelisteten Handlungen während des Studiums zugegeben. Und das ist vielleicht auch nur die Spitze des Eisbergs, da sicherlich einige befragte Studierende bei der Zusicherung der Anonymität der Befragung skeptisch und bei der Beantwortung der Fragen zurückhaltend geblieben sind. Machen wir etwas falsch bei der Auswahl des Nachwuchses? Haben wir vielleicht zu hohe Ansprüche? Sind das noch Jugendsünden? Muss die Ausbildung optimiert werden? Liegt es an den Führungsstrukturen?
Meine erste Einschätzung ist, dass wir uns neben der Vermittlung von fachlichen und sozialen Kompetenzen verstärkt auch der charakterlichen Bildung widmen müssen; hierfür benötigen wir in den Behörden (und Hochschulen) die entsprechende Unternehmenskultur und Vorbilder.
Herzlichst
Ihr
Andreas Gourmelon

Tabelle 1:
Items des Fragebogens zu kontraproduktiven Handlungen.
Vermerkt sind die Antworthäufigkeiten von 120 Studierenden der FHöV.

