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„Die Qual der (Personalaus)Wahl“ - Eignungsdiagnostische Instrumente und deren Qualität II

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Teil II: Eignungsdiagnostische Instrumente und deren Anwendung


Liebe Leserin, lieber Leser,

In Teil II des Blogs stelle ich Ihnen die verschiedenen Instrumente vor, die Sie zur Ermittlung der Eignung der Bewerberinnen und Bewerber anwenden können und was Sie bei der Anwendung bedenken sollten.

Fertigkeitstests: was weiß und kann der Bewerber?

Zur Überprüfung von einzelnen Fertigkeiten und Kenntnissen wie z.B. Rechtschreibung, Rechnen, EDV-Kenntnisse können Fertigkeitstests eingesetzt werden. Während der Testdurchführung müssen die Bewerber eine größere Anzahl von Aufgaben bearbeiten. Diese werden nach einem vorgegebenen Lösungsschlüssel ausgewertet. Anschließend können die Ergebnisse eines Bewerbers mit denen einer Vergleichsgruppe oder einem absoluten Maßstab in Beziehung gesetzt werden. Dadurch wird festgestellt, in welchem Ausmaß der Bewerber über die erforderlichen Fertigkeiten oder  Kenntnisse verfügt.  Fertigkeitstests lassen sich einfach vorgeben und auswerten, teilweise liegen computergestützte Versionen vor.

Fähigkeitstests: Potenziale ermitteln

Unter Fähigkeiten werden in der Personalpsychologie alle jene psychischen Personenmerkmale verstanden, die relativ stabil, d.h. durch Erfahrung oder Lernen nur schwer beeinflussbar sind. Hierzu zählen beispielsweise die Merkmale Intelligenz, Gedächtnisspanne, Daueraufmerksamkeit. Zur Messung dieser Merkmale wurden spezielle Fähigkeitstests entwickelt. Vorgabe (auch am Computer), Auswertung und Interpretation funktionieren ähnlich wie bei Fertigkeitstests. Fähigkeitstests sind objektiv und messen die interessierenden Merkmale zuverlässig. In vielen Studien konnte belegt werden1, dass die Ergebnisse z.B. von Intelligenztests eine gute Grundlage für die Vorhersage des späteren beruflichen Erfolges liefern. Deshalb kann auf die Anwendung von Fähigkeitstests in modernen Auswahlverfahren nicht verzichtet werden, insbesondere dann nicht, wenn intellektuell anspruchsvolle Stellen zu besetzen sind. Der Bewerber kann die Ergebnisse von Fähigkeits- und Fertigkeitstests kaum verfälschen, es sei denn, die Aufgaben sind ihm aus Testknacker-Büchern oder aus einschlägigen Internetforen bekannt. Bei jungen Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund ist nicht selten deren suboptimale Beherrschung der deutschen Sprache ein Hindernis für die erfolgreiche Bewältigung von Auswahlverfahren. Culture-Fair-Tests bieten hier die Möglichkeit, das intellektuelle Potenzial von Bewerbern anhand von sprachfreiem Material zu erfassen. Die Akzeptanz von Fähigkeitstests ist bei Bewerbern in der Regel mäßig - dies liegt wohl auch daran, dass die Ergebnisse nicht schön geredet oder als persönliche Besonderheiten abgetan werden können.

Mit Fertigkeits- und Fähigkeitstests wird die maximal mögliche Leistung eines Bewerbers erfasst. Ob er dieses Potenzial in der beruflichen Praxis auch einsetzt, ist unter anderem eine Frage der Personalführung.

Persönlichkeitstests: der Blick in die Psyche?

Zur Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen wie Extraversion, emotionale Stabilität, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Leistungsmotivation, Dienstleistungsorientierung usw. stehen dem Personalauswählenden eine Reihe von Persönlichkeitstests oder Persönlichkeitsinventaren zur Verfügung. Im Gegensatz zu Fertigkeits- und Fähigkeitstests werden diese Merkmale jedoch meist nicht aus dem Leistungsverhalten, sondern aus den Selbstbeschreibungen der Bewerber erschlossen. Hierzu werden dem Bewerber im Test eine Reihe von Situationen oder Aussagen vorgegeben. Er hat – durch Ankreuzen - anzugeben, wie er typischerweise in diesen Situationen agiert oder wie er zu diesen Aussagen steht. Kritisch wird diskutiert, ob durch Selbstdarstellungstendenzen der Bewerber die Aussagekraft von Persönlichkeitstests gemindert wird. Hierzu ist anzumerken, dass durch Maßnahmen der Testkonstrukteure und -anwender stark verzerrende Selbstdarstellungen vermieden werden. Zudem beeinträchtigen geringfügige Beschönigungen nicht die prognostische Validität2.

Die Zuverlässigkeit der Messung ist bei diesen Tests etwas geringer als bei Fertigkeits- und Fähigkeitstests. Zudem kann mit Persönlichkeitstests die Bewährung im Beruf nicht ähnlich gut vorhergesagt werden wie mit Fähigkeitstests. Dennoch ist die Anwendung von Persönlichkeitstests in der Personalauswahl empfehlenswert, vor allem als ergänzendes Element zu anderen Verfahren, insbesondere dem Interview oder dem Assessment Center3. Im Gegensatz zu Fähigkeitstests wird  mit Persönlichkeitstests nicht die maximal mögliche sondern die im späteren Berufsleben typische Leistung vorhergesagt4.

Integritätstests: erfolgreich in den USA

Eine relativ neue Variante von Tests stellen die sogenannten Integritätstests dar. Mit diesen soll die die Wahrscheinlichkeit zukünftigen kontraproduktiven Verhaltens ermittelt werden. Unter kontraproduktivem Verhalten wird jedes Handeln verstanden, welches die Organisation oder die Kollegen schädigt. Hierunter fällt z.B. Korruption, aber auch Diebstahl am Arbeitsplatz, „Blau-machen“, Mobbing. Neben einer hohen Objektivität und Reliabilität scheinen sich Integritätstests auch durch eine überraschend hohe Validität auszuzeichnen5. Ob letzteres auch unter den Bedingungen des öffentlichen Sektors in Deutschland gilt und wie die Akzeptanz dieser Verfahren einzuschätzen ist, wird derzeit durch ein Forschungsprojekt an der FHöV NRW geprüft (s. a. Blogeintrag vom 12.6.2013 „Integritätstests – ein Beitrag zur Korruptionsprävention?“ )

Für die meisten Tests gilt, dass sie ein sehr günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen. Bei der Beschaffung von Tests sollte darauf geachtet werden, dass sie die Vorgaben der DIN 33430 erfüllen.

Arbeitsproben: ganz dicht an der Praxis

Im Rahmen eines Auswahlverfahrens kann ein Bewerber gebeten werden, eine Aufgabe aus der Praxis zu bearbeiten (Arbeitsprobe). Beispielsweise wird ein Bewerber um eine Sachbearbeiter-Stelle aufgefordert, einen Bescheid zu formulieren oder eine Wirtschaftlichkeitsberechnung durchzuführen. Auch im gewerblich-technischen Bereich können Arbeitsproben sinnvoll angewendet werden. Die Aufgabenstellung muss jedoch eindeutig formuliert sein und vorab ist ein Bewertungsschlüssel festzulegen. Mit Arbeitsproben können komplexe Fertigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen erfasst werden.

Postkorb: der Führungsalltag wird simuliert

Mit Postkörben werden das Organisations- und Planungsvermögen, das Analysevermögen und das Entscheidungsverhalten von Bewerbern geprüft. Dazu erhält ein Bewerber eine größere Anzahl von Schriftstücken und Vorgängen, die oftmals miteinander inhaltlich verknüpft sind. Aufgabe des Bewerbers ist es, die Schriftstücke und Vorgänge innerhalb einer beschränkten Zeit zu bearbeiten und dabei auch unvorhergesehene Ereignisse zu meistern. Bei der Auswertung werden oftmals Auswerteschlüssel verwendet, um die Objektivität zu gewährleisten. Im Gegensatz zu Intelligenztests erfahren Postkörbe eine hohe Akzeptanz, die anderen Gütekriterien werden kritisch diskutiert6.

Fallstudien: für Manager und andere, die nach oben streben

Zur Überprüfung von Managementkompetenzen werden gelegentlich Fallstudien verwendet. Der Bewerber erhält eine schriftliche Beschreibung (teilweise auch in elektronischer Form) in welcher Situation sich derzeit eine Behörde befindet. Die Beschreibung ist oftmals sehr umfangreich und enthält z.B. Organigramme, Controlling-Daten, Dienstvereinbarungen u.ä.m. Nachdem sich der Bewerber eingelesen hat, soll er ein Konzept zur Lösung eines Problems – zumeist aus den Bereichen strategische Planung, Marketing, Personalführung – erarbeiten. Das schriftliche oder mündlich vorgetragene Konzept wird von den Personalauswählenden nach vorab festgelegten Kriterien bewertet. Die Fallstudie kann als Arbeitsprobe für das mittlere und obere Management aufgefasst werden.

Grafologische Gutachten: die Schrift wird analysiert

Grafologen versuchen anhand der Handschrift eines Bewerbers dessen Persönlichkeit zu ergründen. In geringem Umfang werden grafologische Gutachten bei der Besetzung von herausgehobenen Führungspositionen verwendet. Es gibt derzeit keine hinreichenden Belege, dass mittels Schriftproben tatsächlich die Persönlichkeit eines Bewerbers zutreffend erfasst werden könnte7.

Fortsetzung folgt am 14.10.2013

Herzlichst

Ihr
Andreas Gourmelon


1 Für den deutschsprachigen Bereich: Hülsheger, Maier & Stumpp (2007, S. 3 ff).
2 Marcus (2011, S. 81 ff)
3 Runde, B. (2009, S. 191)
4 Marcus (2011, S. 70)
5 Ones, Viswesvaran  & Schmidt (1993, S. 679 ff).
6 Kanning (2004, S. 367)
7 Kanning (2010)

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