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„Die Qual der (Personalaus)Wahl“ - Eignungsdiagnostische Instrumente und deren Qualität III

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Teil III: Eignungsdiagnostische Instrumente und deren Anwendung – Fortsetzung

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

Teil III setzt die Aufzählung der eignungsdiagnostischen Instrumente aus dem Blogeintrag vom xxx fort und enthält eine zusammenfassende übersicht zu den wichtigsten Qualitätskriterien.

 

Situative Verfahren: soziale Kompetenzen im Brennpunkt

Mit situativen Verfahren werden Sozial-, Kommunikations- und Managementkompetenzen von Bewerbern erfasst. Bei diesen Verfahren werden Aufgabenstellungen der Vakanz simuliert und es wird beobachtet, wie der Bewerber diese meistert.

Beispielsweise wird beobachtet, wie der Bewerber in einer Gesprächssimulation einen schwer vermittelbaren Arbeitslosen berät. Weitere situative Verfahren sind neben der Gesprächssimulation Präsentationen, Gruppendiskussionen, Wettbewerbs- und Kooperationsausgaben. Beispiel für eine typische Kooperationsaufgabe ist, dass eine Gruppe von Bewerbern innerhalb eines vorgegebenen, kurzen Zeitraums ein Konzept für das betriebliche Gesundheitsmanagement entwickeln soll.

Bei ihrer Tätigkeit werden die Bewerber beobachtet und hinsichtlich z.B. ihrer Teamorientierung beurteilt. Werden mehrere situative Verfahren in einem Auswahlverfahren durchgeführt, wird oftmals der Begriff Assessment Center benutzt. Situative Verfahren wie Gesprächssimulationen und Präsentationen können aber auch im Rahmen von Interviews eingesetzt werden. Situative Verfahren erfordern die Operationalisierung der zu erfassenden Merkmale. Das heißt, Sie sollten vorab genau festzulegen, welche beobachtbaren Verhaltensweisen einem bestimmten Merkmal zuzuordnen sind (siehe Abbildung 2).

 

hohe Ausprägung rhetorischer Kompetenz

niedrige Ausprägung rhetorischer Kompetenz

  • spricht laut und deutlich
  • angemessenes Sprechtempo
  • hält Blickkontakt zum Publikum
  • drückt sich anschaulich aus
  • benutzt einfache Wörter
  • roter Faden ist erkennbar
  • fasst zusammen / akzentuiert
  • lockert Atmosphäre – z.B. durch Scherze – auf
  • setzt Mimik und Gestik ein
  • hält sich an die vorgegebene Redezeit
  • spricht frei
  • spricht leise oder undeutlich
  • spricht zu schnell / zu langsam
  • monotone Stimme
  • drückt sich umständlich aus
  • benutzt viele Fremdwörter
  • sprunghaft
  • wenig Blickkontakt zum Publikum
  • nestelt / fuchtelt / wackelt in starkem Maße
  • unter- oder überschreitet die vorgegebene Redezeit in starkem Maße
  • liest überwiegend vom Stichwortzettel ab

Abbildung 2: Beispiel für die Operationalisierung des Merkmals „rhetorische Kompetenz“, welches im Rahmen einer Präsentation erfasst werden soll. Die Auflistung der Verhaltensweisen ist nicht abschließend.

 

Situative Verfahren können auch bei der Besetzung von hoch dotierten Vakanzen – wie z.B. Beigeordneten-Stellen – erfolgreich eingesetzt werden1. Die Gütekriterien und Wirtschaftlichkeit situativer Verfahren sind stark von ihrer jeweiligen Gestaltung abhängig. Entscheidend sind dabei die Anforderungsorientierung der Aufgaben, die Operationalisierung sowie die Beobachterschulung.

 

 

Situative Tests: ziemlich neu

Eine neuere, erfolgsversprechende Entwicklung bei der Erfassung sozialer Kompetenzen sind situative Tests2 (situational judgement tests): dabei werden dem Bewerber mündlich, schriftlich oder per Video berufliche Situationen geschildert – anschließend müssen die Bewerber angeben, wie sie sich in einer entsprechenden Situation verhalten würden oder wie man sich in dieser verhalten sollte. Bei mündlich vorgetragenen Schilderungen ist der Übergang zu situativen Fragen (siehe Interview) aber auch zu Gesprächssimulationen fließend.

 

 

Interviews: unverzichtbarer Klassiker

Das Interview ist das am häufigsten in der Personalauswahl eingesetzte Instrument. Für die Eignungsdiagnostik bedeutsame Informationen können vor allem mit einer strukturierten Vorgehensweise gewonnen werden. Strukturierung bedeutet erstens die Verwendung gleicher oder sehr ähnlicher Fragen für alle Bewerber. Zur Überprüfung eines Merkmals sind mehrere Fragen zu stellen. Die Fragen werden mit Hilfe eines Leitfadens vorgegeben, der auch Formulierungen für den Gesprächsbeginn, Überleitungen und den Gesprächsabschluss enthält. Strukturierung bedeutet zweitens, dass die Antworten der Bewerber mit einem einheitlichen Maßstab in gleicher Weise ausgewertet werden.

 

Interviews eignen sich zur Überprüfung einer Vielzahl von Personenmerkmalen. Werden jedoch intellektuelle Merkmale oder Sozialkompetenzen geprüft, ist das Interview durch weitere Verfahren zu ergänzen (z.B. Tests oder situative Verfahren). Neben der Beurteilung einzelner Personenmerkmale werden mit dem Interview auch andere Zwecke verfolgt:

 

  • Unterstützung der Selbstselektion: der Bewerber erhält realistische Informationen über die Stelle und kann dann selbst eine fundierte Entscheidung treffen, ob er die Stelle antreten möchte oder nicht
  • Personalwerbung: der Interviewer kann die positiven Aspekte der Stelle hervorheben
  • Feststellen von Fakten: z.B. wann könnte der Bewerber die Stelle antreten?

 

 

Interviews: Fragetechniken

Häufig genutzte Fragetechniken sind:

 

  • Biografische Fragen, z.B. „Wie haben Sie reagiert, als Ihr Mitarbeiter Sie kritisiert hat?“
  • Situative Fragen, z.B. „ Stellen Sie sich vor, die Studierenden würden sich in Ihrer Veranstaltung ständig mit anderen Dingen beschäftigen und nicht mehr auf Ihre Ausführungen achten. Was würden Sie machen?“
  • Belegfragen, z.B. „Woran können wir erkennen, dass Sie in hohem Maße stressresistent sind? Können Sie uns Beispiele für Situationen schildern, in denen diese Eigenart zutage trat?“
  • Projektive Frage: „Was denken Ihre Freunde darüber, dass Sie Beamter werden wollen?“

 

Eine Reihe von Fragen sind unzulässig3: so z.B. nach einer Gewerkschaftszugehörigkeit, einer geplanten oder bestehenden Schwangerschaft, der Abstammung oder Herkunft, der sexuellen Orientierung sowie der Betreuung von Kindern neben der Berufstätigkeit (z. B. § 9 Abs. 3 Landesgleichstellungsgesetz NRW). Grundsätzlich gilt es, während des Interviews eine für den Bewerber angenehme Atmosphäre zu schaffen und ihm einen hohen Redeanteil zuzubilligen. Interviews werden – insbesondere für Zwecke der Vorauswahl – auch per Telefon geführt. Am Telefon können z.B. Fakten geklärt oder rhetorische und Fremdsprachenkompetenzen geprüft werden.

 

 

Assessment Center: hoher Aufwand, viele Erkenntnisse

Mit Assessment Center (AC) werden oftmals Auswahlverfahren bezeichnet4, die folgende Merkmale aufweisen:

  • Es kommen mehrere situative Verfahren, Arbeitsproben, Fallstudien zum Einsatz. Daneben können auch Tests oder Interviews angewendet werden,
  • mehrere Bewerber nehmen an dem Auswahlverfahren teil (an sogenannten Einzel-ACs nimmt nur ein Bewerber teil),
  • die Bewerber werden von mehreren Beobachtern beobachtet und anschließend beurteilt. Die Beobachter sind dabei oftmals Führungskräfte aus der auswählenden Organisation. Sie werden für ihre Beobachtungsaufgabe intensiv geschult, um objektive Beobachtungen zu gewährleisten und Beurteilungsfehler zu vermeiden. Ihr Einsatz während des AC´s wird derart gestaltet, dass jeder Beobachter im Laufe des ACs jeden Bewerber beurteilt und jeder Bewerber in jeder Aufgabe mindestens von zwei Beobachtern beurteilt wird,
  • die Dauer des Assessment Center beträgt ein bis drei Tage.

 

Entwicklung und Durchführung von ACs sind aufwendig und anspruchsvoll. Angesichts der Komplexität ist es empfehlenswert, sowohl die Entwicklung als auch die Durchführung durch einen mit ACs vertrauten Psychologen begleiten zu lassen5. Je nach Qualität der Entwicklung und Durchführung lassen sich mit dem AC treffsichere Aussagen über Bewerber gewinnen.

 

Dienstliche Beurteilungen: gewagte Schlüsse von der Vergangenheit auf die Zukunft

Ergebnisse dienstlicher Beurteilungen können im Einzelfall bedeutsame Hinweise auf die Eignung von Bewerbern liefern. Im Regelfall sind diese Ergebnisse für Zwecke der Personalauswahl kritisch zu hinterfragen. Zum einen spiegeln nämlich die Beurteilungen die wirklichen Leistungen und Fähigkeiten kaum wider. Dies liegt an den hinlänglich bekannten Schwierigkeiten von Beurteilungsprozessen, wie z.B. Beurteilungsfehler, vorab festgelegte Häufigkeitsverteilungen für Beurteilungsnoten, mikropolitische Erwägungen des Beurteilers. Zum anderen wird ein Leistungsverhalten und/oder Fähigkeiten beurteilt, das/die unter sehr speziellen Bedingungen erbracht und von diesen beeinflusst wurden. Das auch die neue, zu besetzende Stelle diese Bedingungen (z.B. Vorgesetzter, Aufgabe, Kollegen) aufweist, ist bei den meisten Stellenbesetzungsverfahren äußerst unwahrscheinlich. Trotzdem ist angesichts der Rechtsprechung bei „ … internen Stellenbesetzungsverfahren die dienstliche Beurteilung das erste Instrument zur Ermittlung des Leistungsbesten“6. Dies bedeutet, dass nur bei einem Gleichstand der dienstlichen Beurteilungen interner Bewerber die Erkenntnisse aus anderen eignungsdiagnostischen Verfahren entscheidungsrelevant sind.   

 

 

Qualitätskriterien im Überblick

Zum Abschluss dieses Blogs gebe ich Ihnen mit der Abbildung 3 einen zusammenfassenden Überblick über die prognostische Validität, Kosten und Akzeptanz einiger eignungsdiagnostischer Verfahren.

 

Eignungsdiagnostisches Verfahren

Prognostische Validität (r)7

Kosten*

(bei einer größeren Anzahl von Bewerbern)

Akzeptanz durch die Bewerber8

Fähigkeitstests

0,48

Ca. 10 bis 100 € pro Bewerber

Mittel

Fertigkeitstests

0,51

s.o.

mittel*

Integritätstests

0,41

s.o.

Niedrig bis Mittel

Arbeitsproben

0,339

Bis ca. 100 €

Hoch

Persönlichkeitstests

0,07 bis 0,34 je nach Persönlichkeitsmerkmal und Leistungsbereich10

Ca. 20 bis 100 € pro Bewerber

Mittel

Postkorb

k.A.

Ca. 50 bis 200 € pro Bewerber

Hoch*

Grafologie

0,02

k.A.

Niedrig

Strukturiertes Interview

0,51

Ca. 100 bis 1.000 € pro Bewerber, abhängig von der Größe der Auswahlkommission und der Interviewdauer

Hoch

Assessment Center

0,37 (je nach Qualität stark schwankend)

Ca. 1.000 bis 3.000 € pro Bewerber

Hoch*

Abbildung 3: Eignungsdiagnostische Verfahren – prognostische Validität, Kosten und Akzeptanz durch die Bewerber. Der Stern* bedeutet: Schätzungen durch den Verfasser.

 

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Gestaltung und Durchführung Ihres Auswahlverfahrens.

 

Herzlichst

Ihr Andreas Gourmelon

 

 

 

Quellen:

 

Bäcker, R. (2009). Einsatz situativer Verfahren bei der Auswahl eines Beigeordneten. In A. Gourmelon, C. Kirbach und S. Etzel (Hrsg.), Personalauswahl im öffentlichen Sektor (S. 393 - 395). Baden-Baden: Nomos.

 

Baron-Boldt, J., Funke, U. & Schuler, H. (1989). Prognostische Validität von Schulnoten. Eine Metaanalyse der Prognose des Studien- und Ausbildungserfolgs. In R. S. Jäger, R. Horn und K. Ingenkamp (Hrsg.), Tests und Trends 7 (S. 11 – 39). Weinheim: Beltz.

 

Hoffmann, B. (2013). Rechtssichere Personalauswahl in der öffentlichen Verwaltung. In A. Gourmelon (Hrsg.), Personalmanagement im öffentlichen Sektor (Band 8). München: Rehm.

 

Hülsheger, U.R.,  Maier, G. W.  & Stumpp, T. (2007). Validity of general mental ability for the prediction of job performance and training success in Germany: a meta-analysis. International Journal of Selection and Assessment, 15, pp 3 – 18.

 

International Task Force on Assessment Center Guidelines (2009). Guidelines an ethical considerations for assessment center operations. International Journal of Selection and Assessment, 17, pp 243 – 253.

 

Jackson, L. A., Hunter, J.E. & Hodge, C. N. (1995). Physical attractiveness an intellectual competence: a meta-analytic review. Social Psychology Quarterly, Vol. 58, No. 2, pp 108 – 122.

 

Kanning, U. P. (2004). Standards der Personaldiagnostik. Göttingen: Hogrefe.

 

Kanning, U. P. (2009). Eignungsdiagnostik sozialer Kompetenzen mithilfe situativer Testverfahren. In A. Gourmelon, C. Kirbach und S. Etzel (Hrsg.), Personalauswahl im öffentlichen Sektor (S. 193 - 202). Baden-Baden: Nomos.

 

Kolb, M. (2010). Personalmanagement. Wiesbaden: Gabler.

 

Marcus, B. (2011). Personalpsychologie. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Mayer, T. (im Druck). Assessment Center. In A. Gourmelon (Hrsg.), Personalmanagement im öffentlichen Sektor. München: Rehm.

Oechsler, W. A. (2011). Personal und Arbeit. München: Oldenbourg.

 

Ones, D. S, Viswesvaran, C. & Schmidt, F. L. (1993). Meta-analysis of integrity test validities: Findings and implications for  personnel selection. International Journal of Selection and Assessment, 78, S. 679 - 703.

 

Roth, P. L., Bobko, P. & McFarland, L. A. (2005). A meta-analysis of work sample test validity. Personnel Psychology, 58, 1009 – 1037.

 

Schmidt, F. L. & Hunter, J. E. (1998). The validity and utility of selection methods in personnel psychology. Psychological Bulletin, 124, pp 262 – 274.

 

Wald, A. (1996). Personalmanagement für die kommunale Praxis. Berlin: Erich Schmitt.

 

Weuster, A. (2012). Personalauswahl I. Wiesbaden: Springer.

 



1 Bäcker (2009, S. 393 ff)

2 Kanning (2009, S. 198 f) und Kanning (2004, S. 371 ff)

3 Oechsler (2011, S. 222), Kolb (2010, S. 126), Hoffmann (2013, S. 146 f)

4 Vergleiche die Definition der International Task Force on Assessment Center Guidelines (2009, S. 243 ff)

5 Mayer (im Druck)

6 Hoffmann (2013,  S. 74)

7 Angaben in der Spalte – sofern nicht anders angegeben - nach Schmidt & Hunter (1998, S. 262 ff)

8 Angaben in der Spalte – sofern nicht anders angegeben – nach Marcus (2011, S. 80 f)

9 Roth, Bobko & McFarland (2005) zitiert nach  Marcus (2011, S. 58)

10 Marcus (2011, S. 55)

 

 

 

 

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