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Integritätstests – ein Beitrag zur Korruptionsprävention?

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Eine aktuelle Studie zur Vorhersagekraft des IBES-Tests soll hierauf eine Antwort geben

Liebe Leserinnen und Leser,

15.746 Korruptionsstraftaten wurden im Jahr 2010 in Deutschland gezählt, zu rund einem Drittel war der öffentliche Sektor betroffen1. Diese Zahl rechtfertigt die intensiven Bemühungen vieler Institutionen, der Korruption vorzubeugen. Hierzu wurde bereits ein Bündel von Maßnahmen entwickelt, die von Sorgatz2 anschaulich und präzise beschrieben werden. Zu diesen Maßnahmen zählen die Installation eines Antikorruptionsbeauftragten, die Einrichtung einer telefonischen Hotline, die Rotation von Beschäftigten, das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken, Schulungsmaßnahmen u.v.m. Auch im Bereich der Personalauswahl bieten sich den Dienstherren und Arbeitgebern Möglichkeiten. Dementsprechend fordert die Freie und Hansestadt Hamburg:

„Bei der Rekrutierung von Personal sind Fragen des „moralischen Bewusstseins“ und der charakterlichen Eignung stärker zu berücksichtigen. Das gilt sowohl im Hinblick auf den Eintritt in den öffentlichen Dienst als auch für bestimmte (korruptionsgefährdete) Tätigkeitsbereiche oder Führungsfunktionen. Zur besseren Beurteilung der Integrität einer Person sollen entsprechend geeignete Instrumente entwickelt werden.“3

Hoffnungsschimmer Integritätstests

Was sind geeignete Instrumente? Sorgatz4 listet eine Reihe von Fragen auf, die im Rahmen eines Auswahlinterviews dem Bewerber gestellt werden könnten. Daneben gibt es sogenannte Integritätstests. Derzeit stehen in deutscher Sprache drei Integritätstests zur Verfügung:

  • Psychologischer Integritätstest (PIT)5

  • Persönlichkeitsinventar zur Integritätsabschätzung (PIA)6

  • Inventar Berufsbezogener Einstellungen und Selbsteinschätzungen (IBES)7

Nur für den IBES sind derzeit Angaben und Hintergrundinformationen zu den Testgütekriterien sowie zur Normierung öffentlich zugänglich.

Das IBES ist von der Form her ein klassischer Fragebogen, bei dem die Bewerber durch Ankreuzen ihre gestufte Zustimmung oder Ablehnung zu insgesamt 115 Aussagen zum Ausdruck bringen. Die Bearbeitungsdauer beträgt etwa 25 Minuten. IBES kann bei allen Bewerbern ab 16 Jahren eingesetzt werden, die in der Lage sind, einfache Texte in deutscher Sprache sinnerfassend zu lesen.

Mit ihren Zustimmungen und Ablehnungen berichten die Bewerber über ihre Eigenarten, intendierten Handlungen, Einstellungen, Meinungen und ihr Erleben. Die Aussagen lassen sich neun Subskalen zuordnen, die zu einem Gesamtwert verrechnet werden. Je höher der Gesamtwert ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit kontraproduktiven Verhaltens. Unter kontraproduktivem Verhalten wird jedes Handeln verstanden, welches die Organisation oder die Kollegen schädigt. Hierunter fällt Korruption, aber auch z.B. Diebstahl am Arbeitsplatz, „Blau-machen“, Mobbing.

Konstruktionsprinzipien des IBES

Bei der Konstruktion des IBES wurde von einer Reihe empirisch fundierter Erkenntnisse der Psychologie und Kriminologie ausgegangen8. Die Konstruktionsregeln lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen:

Die Wahrscheinlichkeit kontraproduktiver Handlungsweisen eines Bewerbers ist umso niedriger …

  • … je mehr dieser andere Menschen für vertrauenswürdig hält,

  • … je weniger er davon ausgeht, dass Regelverletzungen im Berufsleben weit verbreitet sind,

  • … je weniger er dazu neigt, Regelverstöße durch „vernünftige“ Gründe zu rechtfertigen,

  • … je weniger er sich gedanklich mit Regelverstößen auseinandersetzt oder gar plant,

  • … je gelassener und selbstsicherer der Bewerber ist,

  • … je zuverlässiger und kontrollierter der Bewerber ist,

  • … je mehr er Risiken und Aufregung meidet,

  • … je ruhiger, umgänglicher und bescheidener der Bewerber ist,

  • … je mehr der Bewerber dazu neigt, Konflikte zu vermeiden und Harmonie anzustreben.

Was taugt der IBES?

Angesichts der Durchführungsanweisungen und der Auswertungsart kann von einer sehr hohen Objektivität des IBES ausgegangen werden. Die Zuverlässigkeit der Messung wurde mit der Retest-Methode überprüft, die Ergebnisse weisen auf eine hohe Zuverlässigkeit hin.

Integritätstests wird generell eine befriedigend hohe Vorhersagekraft für kontraproduktives Handeln zugesprochen9. Für den IBES sind bislang keine Studien zur Vorhersagekraft bekannt. Allerdings gibt es eine Studie10, bei der 168 Berufstätige im Einzelhandel und der Industrie zuerst das IBES bearbeiteten (sie sollten wie in einer Bewerbungssituation antworten) und unmittelbar anschließend unter anonymen Bedingungen angaben, wie oft sie im vergangenen Jahr kontraproduktive Handlungen ausgeführt hatten. Hierbei hatten die Befragten eine Liste mit fünfzig kontraproduktiven Handlungsweisen vorliegen. Diese Handlungen wurden vorab von betrieblichen Experten hinsichtlich des Schweregrades bewertet (Abmahnungs- oder Kündigungsgrund). In Tabelle 1 sind Ergebnisse der Studie aufgelistet:

Tabelle1.jpg

Tabelle 1: Ausmaß kontraproduktiven Verhaltens in Abhängigkeit vom IBES-Gesamtwert11.

Aus Tabelle 1 ist ersichtlich, dass sich das Risiko des Auftretens eines Kündigungsgrundes bei einem zukünftigen Mitarbeiter beim Anwenden des IBES im Rahmen der Personalauswahl vermutlich auf ein Siebtel reduzieren ließe (0,07 zu 0,49). Das wäre für den öffentlichen Sektor ein wirklich interessanter Umstand!

Eine Studie soll den Beweis liefern – Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

Ob der IBES tatsächlich eine entsprechende Vorsagekraft für kontraproduktives Handeln im öffentlichen Sektor hat und insgesamt ein geeignetes Instrument ist, wird derzeit in einer Studie geprüft, die die Kollegen Prof. Dr. Stark (Hochschule Hof), Prof. Dr. Muthers (Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen) und ich durchführen. Dabei gehen wir auf die besondere Situation im öffentlichen Sektor ein und werden neben eignungsdiagnostischen auch rechtliche und organisatorische Aspekte erörtern. Ein Kernpunkt der Studie ist die empirische Überprüfung der Nützlichkeit. Über 200 Studierende haben den Fragebogen bereits ausgefüllt und wir werden im Jahr 2014 berechnen, wie gut wir mit den Testergebnissen kontraproduktives Handeln vorhersagen können. Über erste Ergebnisse unserer Studie werden wir am 21. November 2013 in Dortmund – anlässlich des 9. Symposiums für Personalmanagement im öffentlichen Sektor – berichten.

Auch Sie können uns bei der Durchführung unserer Studie unterstützen!

Wir suchen Behörden und Verwaltungen, die bereit sind, im Rahmen der Personalauswahl Daten externer Bewerber zu Forschungszwecken mit dem IBES zu erheben, jedoch nicht in der Auswahlentscheidung zu verwenden. Bei Interesse wenden Sie sich gerne an mich (dr.andreas.gourmelon@arcor.de).

Herzlichst
Ihr Andreas Gourmelon

_______________________________

1 Sorgatz, I. (2012). Korruptionsprävention in öffentlichen Institutionen. In A. Gourmelon (Hrsg.), Personalmanagement im öffentlichen Sektor (Band 4). Heidelberg: Rehm.
2 Sorgatz, a.a.O., S. 76 ff
3 http://www.hamburg.de/innenbehoerde/korruption/ (Abruf am 1.6.2013)
4 Sorgatz, a.a.O., S. 89 f
5 http://pit.pit-test.com/file/de/pit_psychologischer_integritaetstest.pdf (Die Seite ist leider nicht mehr erreichbar)
6 http://www.personalpsychologie.de/personaldiagnostik/integrity_assessment/  (Die Seite ist leider nicht mehr erreichbar)
7 Marcus, M. (2006). IBES – Inventar berufsbezogener Einstellungen und Selbsteinschätzungen. Göttingen: Hogrefe.
8 Marcus, a.a.O., S. 19 ff
9 Ones, D. S, Viswesvaran, C. & Schmidt, F. L. (1993). Meta-analysis of integrity test validities: Findings and implications for personnel selection. International Journal of Selection and Assessment, 78, S. 679 - 703.
10 Marcus (2006), a.a.O., S. 35
11 Nach Marcus (2006), a.a.O., S. 35

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