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Interkulturelle Kompetenz als Anforderungsmerkmal in der Personalauswahl

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Eine aktuelle Umfrage gibt Hinweise, ob und wie die Verwaltungen deutscher Großstädte die interkulturelle Kompentenz von Bewerbern erfassen.

Liebe Leserinnen und Leser,

schon seit einiger Zeit wird das Konzept „Interkulturelle Öffnung der Verwaltung“ diskutiert und in vielfältigen Initiativen, Maßnahmen und Projekten vor Ort umgesetzt. Vergleichsweise neu ist die Forderung, interkulturelle Kompetenz im Rahmen von Personalauswahlverfahren und Beurteilungen als Eignungs- bzw. Leistungskriterium zu messen, wie es z. B. das „Gesetz zur Regelung von Integration und Partizipation in Berlin“ (PartIntG) unter § 4 Abs. 3 vorschreibt. In ihrer Masterarbeit befasste sich Frau Dorthe Kramer mit dem Stand der Umsetzung der Messung von Interkultureller Kompetenz in Personalauswahlverfahren von Kommunalverwaltungen.

Insgesamt wurden 32 Kommunalverwaltungen befragt; die Stichprobe umfasste 17 Städte und einen Kreis des Landes NRW (davon 17 Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern), 12 Landeshauptstädte oder Stadtstaaten sowie eine weitere Großstadt und ein Landkreis. Die Befragten erhielten zur Vorbereitung auf das Telefonat den Interviewleitfaden vorab via Mail zugesandt.

Eine Erkenntnis der Befragung ist, dass es keine einheitliche Auffassung davon gibt, was unter interkultureller Kompetenz überhaupt zu verstehen ist. Es gibt eine Fülle unterschiedlicher Auffassungen über interkulturelle Kompetenz, wie die vielfältigen Antworten auf diese Frage belegen. Des Weiteren muss deutlich zwischen dem Anforderungskriterium ‚Interkulturelle Kompetenz‘ und dem Vorhandensein eines Migrationshintergrundes differenziert werden. Beides darf nach Auffassung der Befragten nicht gleichgesetzt werden.

Eine Hälfte der befragten Verwaltungen gab an, Interkulturelle Kompetenz in der Personalauswahl zu erfassen. Zum Einsatz kommen dabei eignungsdiagnostische Verfahren wie Assessment Center, Rollenspiele und leitfadengestützte Interviews. Jede fünfte befragte Verwaltung setzt zur Erfassung von interkultureller Kompetenz Testverfahren ein. Eine hohe Bedeutung kommt der interkulturellen Kompetenz bei Stellenbesetzungsverfahren für bürgernahe Dienste zu.
Die andere Hälfte (48,7%) der Befragten gab an, keine  Messung von interkultureller Kompetenz in der Personalauswahl durchzuführen. Als zentrales Problem gaben diese Befragten an, nicht zu wissen, wie interkulturelle Kompetenz überhaupt gemessen werden kann.
Dieses heterogene Bild zeigt sich auch in der Evaluation des PartIntG des Landes Berlin durch den „Zweiten Bericht zur Umsetzung des Berliner Partizipations- und Integrationsgesetzes“. Im Hinblick auf die Umsetzung von § 4 Abs. 3 Satz 1 und 3 PartIntG erfolgte eine Rückmeldung von acht Senatsverwaltungen und der Senatskanzlei. Bereits die Operationalisierung des Begriffs interkulturelle Kompetenz ist trotz des PartIntG uneinheitlich. Dies setzt sich auch bei der Umsetzung der Messung von interkultureller Kompetenz in der Personalauswahl fort.

Insgesamt sind sich die Personalauswählenden in den großen Städten Deutschlands nicht einig, was unter interkultureller Kompetenz zu verstehen und ob und wie diese Kompetenz in Personalauswahlverfahren zu erfassen ist. Offensichtlich ist in den Verwaltungen eine hohe Bereitschaft vorhanden, sich mit der Thematik „Interkulturelle Öffnung der Verwaltung“ auseinanderzusetzen. Dem sozialwissenschaftlichen Konzept der „Interkulturellen Kompetenz“ mangelt es derzeit jedoch an Klarheit und Eindeutigkeit.

Ein gutes neues Jahr wünscht Ihnen
herzlichst

Ihr
Andreas Gourmelon


Literatur:

Bolton, Jürgen (2007): Was heißt „Interkulturelle Kompetenz?“ Perspektiven für die internationale Personalentwicklung. In: Wirtschaft als interkulturelle Herausforderung, S. 21–42.

Deardorff, Darla K. (Hg.) (2009): The Sage handbook of intercultural competence. Thousand Oaks, Calif.: Sage.

Land Berlin (15.12.2010): Partizipations- und Integrationsgesetz des Landes Berlin. (PartIntG).

Zweiter Bericht zur Umsetzung des Partizipations-und Integrationsgesetzes des Landes Berlin (PartIntG) gemäß § 8 PartIntG Berichtszeitraum: 01.01.2012 – 31.12.2013.

Mein Kommentar
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3 Kommentare zu diesem Beitrag
kommentiert am 12.04.2016 um 09:09:
Sehr geehrte Frau Kramer, danke für Ihre Verdeutlichung. Zur Frage der Definition scheinen wir übereinzustimmen: es gibt natürlich viele Definitionen und Deutungen zu "Interkulturelle Kompetenz"; aber soweit ich das aus meinem Fachgebiet überschaue, eben keine dominante, geschweige denn eine allgemein gültige. Punk 2, Migrationshintergrund und Interkulturelle Kompetenz, hat sich durch Ihre Antwort geklärt. Mein letzter angesprochener Punkt, der mir am wichtigsten war, ist für mich noch offen: kann ich den Interviewleitfaden einsehen? Er ist ja die Quelle des Verständnisses.
kommentiert am 11.04.2016 um 21:36:
Sehr geehrter Herr Dr. Ayen, danke für Ihren Beitrag, aus dem für mich zwei zentrale Punkte hervorgehen: 1. Es gibt keine Definition für das Anforderungskriterium "Interkulturelle Kompetenz". 2. Ihre Irritation darüber, dass die Befragten die Differenzierung von "Interkultureller Kompetenz" und Migrationshintergrund betonen. Zu Punkt 1: Es gibt eine Fülle an Definitionen zum Anforderungskriterium "Interkulturelle Kompetenz" sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch in den Verwaltungen selbst. Diese zu erfassen, zu systematisieren und analysieren war ein Aspekt dieser Masterarbeit. Das Ergebnis zeigte, dass sogar dort, wo seitens der Gesetzgebung eine Definition von "Interkultureller Kompetenz" vorgegeben wird (Berlin und Nordrhein-Westfalen), diese kaum von den befragten Verwaltungen genutzt wird - aus unterschiedlichen Gründen. Zu Punkt 2: In den Interviews beschreiben die Befragten, unabhängig von den Interviewleitfaden, die verwaltungs-politische Anforderung, mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst einzustellen. Diese Anforderung liegt u. a. den Gesetzen von Berlin und Nordrhein-Westfalen zugrunde und wurde in der Masterarbeit aus juristischer Perspektive hinterfragt. Im politischen Diskurs wird häufig davon ausgegangen, dass "Interkulturelle Kompetenz" Menschen mit Migrationshintergrund inhärent sei. An dieser Stelle war es den Befragten wichtig zu betonen, dass insbesondere im Rahmen von Einstellungsverfahren beides, Migrationshintergrund und "Interkulturelle Kompetenz", nicht gleichgesetzt werden darf. Es handelt sich hierbei um eine von den Praktikern in den Verwaltungen geäußerte Herausforderung zwischen verwaltungs-politischer Anforderung und rechtssicherer Personalauswahl.
kommentiert am 01.04.2016 um 17:58:
So recht etwas anfangen konnte ich nicht mit diesem Beitrag über die Masterarbeit: Ein vorangegangenes Literaturstudium zur Interkulturellen Kompetenz hätte höchstwahrscheinlich ergeben, dass es dazu keine Definition gibt. Und damit auch kein Untersuchungsergebnis zur Thesis. Dann irritiert mich auch folgende Aussage in Absatz drei:"Des Weiteren muss deutlich zwischen dem Anforderungskriterium ‚Interkulturelle Kompetenz‘ und dem Vorhandensein eines Migrationshintergrundes differenziert werden. Beides darf nach Auffassung der Befragten nicht gleichgesetzt werden." Wer kann denn auf die Idee kommen, beide Begriffe gleich zu setzen? Ich würde mich freuen, wenn ich den zugrunde liegenden Fragebogen der Masterarbeit einsehen könnte. Gruss aus Freiburg. Dr. Hermann Ayen
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