Wie zuverlässig erfassen Tests die Integrität von Bewerbern?
Liebe Leserinnen und Leser,
Beamtinnen und Beamte sind seitens der Bevölkerung sehr hohen Erwartungen an die Rechtschaffenheit, Redlichkeit, Rechtstreue, Neutralität, an das Pflichtbewußtsein, kurz der Integrität, ausgesetzt (Michaelis, 2015, S. 228). Würden Staatsdiener diesen Erwartungen nicht gerecht, würde das Vertrauen in und die Akzeptanz von staatlichen und kommunalen Institutionen beschädigt. Daneben ist bei geringer Integrität von Beschäftigten auch mit vermehrten innerbehördlichen Streitigkeiten, Beeinträchtigungen des Betriebsklimas, hohem Aufwand und Kosten für das Personalmanagement (z. B. durch Aufdeckung und Ahndung von kontraproduktiven Handlungen) zu rechnen.
Integrität und kontraproduktive Handlungen
Bei der Besetzung von öffentlichen Ämtern ist daher auf die Integrität von Bewerberinnen und Bewerbern zu achten. Diese Forderung steht im Einklang mit Art. 33, Abs. 2 des Grundgesetzes, wonach für den Zugang zu einem öffentlichen Amt ausschließlich die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung bedeutsam ist. Das Merkmal Eignung umfasst dabei auch die persönliche und charakterliche Eignung. Hierunter sind auch anlage- und entwicklungsbedingte Persönlichkeitsmerkmale, wie Begabung, psychische und physische Kräfte, emotionale und intellektuelle Voraussetzungen der Persönlichkeit zu verstehen (Hoffmann, 2013, S. 71). Integrität kann als Bestandteil der persönlichen und charakterlichen Eignung aufgefasst werden. Anzeichen mangelnder Integrität sind kontraproduktive bzw. organisationsschädliche Handlungen. Diese verstoßen absichtlich gegen die legitimen Interessen der Behörde oder Kommunalverwaltung (vgl. z. B. Sackett, 2002, S. 5f). Wesentlich für kontraproduktive Handlungen ist es, dass diese vorsätzlich durchgeführt werden; beispielsweise ist die fahrlässige Beschädigung des Dienst-Kraftfahrzeugs keine kontraproduktive Handlung. Die Tendenz einer Person zu kontraproduktiven Handlungen schließt regelmäßig deren Eignung für ein öffentliches Amt aus. Kontraproduktive bzw. organisationsschädliche Handlungen schließen eine Vielfalt von die Organisation mittel- oder unmittelbar schädigenden Hand-lungsweisen ein. Hierunter fallen Straftaten wie zum Beispiel Diebstahl oder Bestechlichkeit, Vorteilsnahme, aber auch Handlungen wie Mobbing, sexuelle Belästigung, Leistungsverweigerung , Absentismus, Diskriminierung, Fehlinformierung, Vernachlässigung von Dienstpflichten.
Begrenzte Möglichkeiten zur Erfassung der Integrität
Im Rahmen der Besetzung von öffentlichen Ämtern stellt sich die Frage, wie die Integrität bzw. die Tendenz zu kontraproduktiven Handlungen bei einem Bewerber erfasst werden kann. In der Praxis werden folgende Informationsquellen verwendet:
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Das Führungszeugnis gibt die über eine Person gespeicherten Inhalte des Bundeszentralregisters wieder und informiert somit über Vorstrafen eines Bewerbers. Bei der ausschließlichen Verwendung des Führungszeugnisses kommt es jedoch zu einer Unterschätzung der Tendenz zu kontraproduktiven Handlungsweisen. Eine Reihe von kontraproduktiven Handlungsweisen sind nicht strafbewehrt und deswegen auch nicht im Bundeszentralregister dokumentiert. Insofern werden mit Hilfe des Führungszeugnisses nur extreme Formen kontraproduktiver Handlungen aufgedeckt. Ähnliches gilt für die Selbstauskunft des Bewerbers über die Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren.
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Selbstauskunft des Bewerbers, ob er in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, also in der Lage ist, die bestehenden Schulden durch eigenes Vermögen oder durch zu erwartende Einkünfte zu begleichen.
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Ergebnisse dienstlicher Beurteilungen: Hier könnten Urteile des direkten Vorgesetzten zur Integrität dokumentiert sein. Allerdings ist davon auszugehen, dass kontraproduktive Handlungsweisen vom beurteilenden Vorgesetzten oftmals nicht bemerkt oder in der Beurteilung nicht dokumentiert werden. Gründe für letzteres können z. B. die Konfliktscheue des beurteilenden Vorgesetzten, die Mitwirkung an der kontraproduktiven Handlung (beispielsweise überziehen Vorgesetzter und beurteilter Mitarbeiter gemeinsam deutlich die Zeiten für die Mittagspause) oder schlicht der Umstand sein, dass Integrität im jeweiligen Beurteilungssystem kein zu beurteilendes Merkmal ist. Bei Bewerbern, die nicht im öffentlichen Dienst tätig sind, entfällt diese Informationsquelle.
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Arbeitszeugnisse: Diese können bedeutsame Hinweise auf die Integrität von Bewerbern enthalten. Jedoch sind bei der Verwendung von Arbeitszeugnissen folgende Umstände zu beachten, die insgesamt den Nutzen dieser Informationsquelle beeinträchtigen:
- gemäß der Rechtssprechung unterliegt der Arbeitgeber bei der Formulierung eines Arbeitszeugnisses der Wohlwollenspflicht. Deswegen enthalten Arbeitszeugnisse i.d.R. keine deutlich negativen Formulierungen (Hollmann, 2013, S. 748),
- Arbeitszeugnisse werden von den betroffenen Arbeitnehmern selbst oder unter wesentlicher Mitwirkung dieser verfasst (Weuster, 2012, S. 183),
- beim Verfassen eines Arbeitszeugnisses kann auch der Wunsch des Arbeitgebers eine Rolle spielen, sich möglichst konfliktfrei vom Arbeitnehmer zu trennen (Hollmann, 2013, S. 749),
- in der Praxis hat sich eine sogenannte „Zeugnissprache“ entwickelt, die wenig eindeutig ist und häufig zu Missverständnissen führen kann (Schuler, 2014, S. 266).
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Dem Interview wird von den Auswählenden oftmals eine hohe Aussagekraft in Bezug auf die Erfassung von Personenmerkmalen wie Integrität zugebilligt. Tatsächlich gibt es auch eine Reihe von Fragetechniken, mit denen versucht werden kann, die Integrität zu erfassen. Allerdings ist es sehr schwierig, aus den Antworten der Bewerber in zutreffender Weise auf die Integrität von Bewerber zu schließen, da sich gerade wenig integre Bewerber in einer Auwahlsitutation verstellen und sozial erwünschte Antworten geben.
Insgesamt bieten die oben skizzierten Informationsquellen und Erhebungsinstrumente nur in Ausnahmefällen hinreichende Erkenntnisse über die Integrität von Bewerbern.
Das Versprechen der Integritätstests
Als weiteres Instrument zur Erfassung der Integrität von Bewerbern bieten sich Integritätstests (synonym: Integrity Tests) an. Integritätstests dienen zur Prognose kontraproduktiver Handlungen und werden in den USA seit vielen Jahrzehnten in der Personalauswahl eingesetzt (Marcus, 2006, S. 9). Integritätstests zeichnen sich durch einen hohen Grad an Standardisierung aus. Allen Bewerbern werden die selben Fragen vorgeben, die Auswertung der Fragen erfolgt nach einem einheitlichen Schema. Insofern sind die Testergebnisse weitgehend von demjenigen, der den Tests vorgibt, unabhängig und der Test insofern objektiv. Zufallseinflüsse auf die Testergebnisse werden durch die Vorgabe einer Vielzahl von Fragen minimiert. Die bisherigen Forschungsergebnisse überwiegend aus den USA zeigen, dass mit Integritätstests kontraproduktives Handeln in befriedigendem Maße vorhergesagt werden kann; zu verweisen ist hier auf die Metaanalysen von Ones, Viswesvaran und Schmidt (1993) sowie van Iddekinge, Roth, Raymark und Odle-Dusseau (2012). Aber gelten diese posititven Ergebnisse auch für den Einsatz von Integritätstests bei Auswahlverfahren des öffentlichen Sektors in Deutschland? Dies war Gegenstand einer Studie der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (Forschungszentrum Personal und Management).
Die Studie und deren Ergebnisse
Zur Überprüfung der Vorhersagegüte eines Integritätstests – dem Inventar berufsbezogener Einstellungen und Selbsteinschätzungen (IBES) - wurde eine dreijährige Längsschnittstudie durchgeführt. Studierende meiner Hochschule bearbeiteten zu Beginn ihres Studiums den IBES, am Ende des Studiums wurden sie anonym und schriftlich befragt, welche kontraproduktiven Handlungen sie während des Studiums durchgeführt hatten (siehe hierzu auch den Blog vom 9.11.2015). Durch statistische Analysen konnte dann die Vorhersagegüte des Tests bestimmt werden. Und diese ist für Zwecke der Personalauswahl durchaus befriedigend: insgesamt wurde eine prognostische Validität von r = 0,32 ermittelt. Zur Veranschaulichung dieser Kennzahl wurde Tabelle 1 erstellt. Hierbei wurden die befragten Studierenden danach aufgeteilt, ob ihr IBES-Wert zu Beginn des Studiums deutlich, knapp unter, knapp über oder deutlich über dem Durchschnitt des IBES-Werts lag. Nachdem diese vier Gruppen gebildet wurden, ist ausgezählt worden, wie viele Studierende der jeweiligen Gruppe am Ende des Studiums bei einer anonymen Befragung mindestens eine kontraproduktive Handlung angeben haben, die zu einer Rüge oder gar zu einer disziplinarischen Ahndung / Entlassung aus dem Beamtenverhältnis führen würde. Alle Studierenden, die zu Beginn des Studiums einen deutlich unterdurchschnittlichen IBES-Wert erzielten, würden am Ende des Studiums angesichts ihrer kontraproduktiven Handlungen gerügt, 64,3% würden disziplinarrechtlich belangt oder gar entlassen. Von den Studierenden, die zu Beginn des Studiums überdurchschnittliche IBES-Werte erzielten, würden am Ende des Studiums hingegen nur 53,3% gerügt und 46,7% disziplinarrechtlich geahndet / entlassen.

Tabelle 1: Ausmaß kontraproduktiver Handlungen in Abhängigkeit vom Ergebnis eines Integritätstests.
Dies bedeutet, dass durch den Einsatz eines Integritätstests im Rahmen der Personalauswahl die Anzahl von Beschäftigten, die kontraproduktive Handlungen begehen, um bis zu 50% reduziert werden kann. Insofern kann der Einsatz von Integritätstests als ergänzendes Instrument für Auswahlverfahren für Nachwuchskräfte empfohlen werden.
Ich wünsche Ihnen eine friedliche Adventszeit!
Herzlichst
Ihr
Andreas Gourmelon
Quellen:
Hoffmann, B. (2013). Rechtssichere Personalauswahl in der öffentlichen Verwaltung. In A. Gourmelon (Hrsg.), Personalmanagement im öffentlichen Sektor (Band 8). Heidelberg: Rehm.
Hollmann, H. (2013). Dokumentenanalyse. In W. Sarges (Hrsg.), Management-Diagnostik, S. 742 – 750. Göttingen: Hogrefe.
Marcus, B. (2006). Inventar berufsbezogener Einstellungen und Selbsteinschätzungen. Göttingen: Hogrefe.
Marcus, B. (2007). Neue Erkenntnisse zum Inventar berufsbezogener Einstellungen und Selbsteinschätzungen (IBES). Zeitschrift für Personalpsychologie, 6. Jg., 129–132.
Michaelis, L. O. (2015). Der Einsatz von Integritätstests im Rahmen von beamtenrechtlichen Stellenbesetzungen. Der Öffentliche Dienst, 9/2015, 228 – 236.
Ones, D. S, Viswesvaran, C. & Schmidt, F. L. (1993). Meta-analysis of integrity test validities: Findings and implications for personnel selection. International Journal of Selection and Assessment, 78, 679–703.
Sackett, P. R. (2002). The structure of counterproductive work behaviors: Dimensionality and relationships with facets of job performance. International Journal of Selection and Assessment, 10, 5 – 11.
Schuler, H. (2014). Biografieorientierte Verfahren der Personalauswahl. In H. Schuler & U. P. Kanning (Hrsg.), Lehrbuch der Personalpsychologie, S. 257 – 300. Göttingen: Hogrefe.
Van Iddekinge, C. H.; Roth, P. I.; Raymark, P. H. & Odle-Dusseau, H. N. (2012). The criteri-on-related validity of integrity tests: An updated metaanalysis. Journal of Applied Psychology, 97, 499 – 530.
Weuster, A. (2012). Personalauswahl I. Wiesbaden: Gabler.

