Die Vergabekammer Nordbayern hat mit Beschluss vom 11.9.2024 festgestellt, dass Antworten auf Bieterfragen grundsätzlich allen Bietern zur Verfügung zu stellen sind. Lediglich in wenigen Ausnahmefällen dürften Bieterfragen nur gegenüber dem anfragenden Unternehmen beantwortet werden.
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Der Fall
Die Vergabestelle (VSt) schrieb Planungsleistungen für den Ersatzneubau von Brücken europaweit aus. Die Antragstellerin (ASt), die sich an dem Vergabeverfahren beteiligte, stellte mehrere Bieterfragen, welche die VSt teilweise öffentlich (gegenüber allen Bietern) und teilweise privat (nur gegenüber der ASt) beantwortete. So verfuhr die VSt auch bezüglich Fragen anderer Bieter.
Nach einer erfolglosen Rüge rief die ASt die Vergabekammer Nordbayern an und trug im Kern vor, dass durch das Vorgehen der VSt nicht alle Bieter den gleichen Informationsstand hätten. Dies stelle einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar, der erfordere, dass ein öffentlicher Auftraggeber regelmäßig jede Auskunft, die er einem anfragenden Bieter gebe, auch allen anderen Bietern erteile.
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Die Entscheidung
Die Vergabekammer gab der ASt Recht, mit der besonderen Pointe, dass sie nicht die privaten Antworten auf Fragen anderer Bieter beanstandete, sondern die private Beantwortung von Fragen der ASt.
Die Vergabekammer führte aus, dass aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot grundsätzlich die Verpflichtung resultiere, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 18.5.2016, 1 Verg 1/16; VK Sachsen, Beschluss vom 24.8.2016, 1/SVK/017-16; VK Bund, Beschluss vom 27.1.2017, VK 2 - 131/16; VK Niedersachsen, Beschluss vom 14.7.2020, VgK 13/2020). Das Absehen von der Übermittlung der Antworten an die anderen Bieter stelle nach der Rechtsprechung die Ausnahme dar, die nur unter bestimmten Umständen angenommen werden könne. Die Vergabekammer führt hierzu verschiedene Fallkonstellationen auf, bei denen Antworten nicht allen Bietern zu Verfügung gestellt werden müssten. Dies betreffe Fragen,
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die auf generelle Auskünfte zielten, die auf allgemeinen Kenntnissen beruhten
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deren Beantwortung sich in bloßen Wiederholungen von ohnehin bekannten und zweifelsfrei transparenten Vorgaben erschöpfe und die damit die Schwelle zur „Auskunft“ oder zur „Zusatzinformation“ nicht überschreiten, sondern die lediglich einem rein subjektiven, redundanten Informationsbedürfnis des Fragestellers entspringen würden
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bei deren Beantwortung es sich nicht um zusätzliche Informationen handele
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die offensichtlich ein individuelles Missverständnis eines Bieters beträfen
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deren allseitige Beantwortung Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verletzen oder die Identität des Bieters preisgeben würde.
Die Mitteilungspflicht betrifft aus Sicht der Vergabekammer zudem nur sachdienliche Auskünfte, also solche, die objektiv mit der Sache zu tun hätten und Missverständnisse ausräumen oder Verständnisfragen zu den Vergabeunterlagen beantworten würden. Mitteilungsbedürftig seien damit insbesondere Bieterfragen, die zu einer Änderung der Vergabeunterlagen führten oder solche Antworten, die Auswirkungen auf die Kalkulation der Angebote hätten.
Anhand dieser Maßstäbe hält es die Vergabekammer im konkreten Fall für fehlerhaft, dass die der ASt privat übermittelten Antworten nicht auch den anderen Bietern zur Verfügung gestellt wurden, da sie teilweise zusätzliche angebotsrelevante Informationen beinhalteten. Diese Fragen und Antworten hätten überwiegend Art und Umfang der Leistung bzw. die Kalkulation einzelner Bestandteile betroffen. Es liege auch eine Rechtsverletzung der ASt vor. Denn es sei nicht auszuschließen, dass die anderen Bieter bei Erhalt dieser Informationen ihre Angebote so verändert hätten, dass sich dies zugunsten der ASt ausgewirkt hätte.
Neben diesem Verstoß gegen das Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot stellte die Vergabekammer noch einen Verstoß gegen das Gebot der Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung nach § 121 Abs. 1 S. 1 GWB fest. Die Leistungsbeschreibung sei nicht eindeutig gewesen im Hinblick auf die Frage, ob Leistungen betreffend des Rückbaus der Behelfsumfahrung und der Behelfsbrücke(n) zu den ausgeschriebenen Leistungen gehörten.
Bei der Auslegung der Leistungsbeschreibung sei eine objektive Betrachtung anzustellen und es sei auf das Verständnis eines verständigen und sachkundigen durchschnittlichen Bieters abzustellen (OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 5.11.2019, 11 Verg 4/19). Im Rahmen der Auslegung wird dem Wortlaut eine besondere Bedeutung beigemessen (OLG München, Beschluss vom 20.3.2014, Verg 17/13). Allerdings seien Hinweise, die infolge von Bieterfragen und Rügen erteilt werden, mit einzubeziehen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.7.2014, 1 VK 8714). Derartige Hinweise könnten dazu führen, dass Vergabeunterlagen nachträglich intransparent werden (VK Bund, Beschluss vom 1.2.2016, VK 1-122/15). So sei es im vorliegenden Fall gewesen, weil die Informationen auf die Bieterfragen zum Rückbau der Behelfsumfahrung und Behelfsbrücken den Angaben in der Leistungsbeschreibung entgegenstehen würden. Die Aussagen in der Leistungsbeschreibung einerseits und in den Antworten auf die Fragen der ASt andererseits ließen sich nicht mehr in Einklang bringen. Hierdurch sei die ASt in ihren Rechten verletzt, da für sie die Kalkulation unklar war.
Die Vergabekammer verpflichtete die VSt, bei Fortbestehen der Vergabeabsicht die Bieter erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern. Dabei seien die Antworten auf die Bieterfragen der ASt auch an die anderen Bieter zu übermitteln. Die VSt habe dann zudem für eindeutige Vorgaben in der Leistungsbeschreibung zu sorgen.

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Praxishinweis
Der Beschluss der Vergabekammer Nordbayern lässt sich ohne weiteres auf andere Leistungsgegenstände als die hier ausgeschriebenen Planungsleistungen übertragen. In der Vergabepraxis ist es zu empfehlen, Antworten auf Bieterfragen grundsätzlich allen Bietern zur Verfügung zu stellen, um keine unnötige Angriffsfläche zu bieten. Die von der Vergabekammer Nordbayern aufgeführten Ausnahmefälle lassen im konkreten Einzelfall meist unterschiedliche Interpretationen zu, was eine ausschließliche Beantwortung gegenüber dem anfragenden Unternehmen risikobehaftet erscheinen lässt. Außerdem ist bei der Beantwortung von Bieterfragen darauf zu achten, dass die Vergabeunterlagen und hier insbesondere die Leistungsbeschreibung nicht nachträglich unklar werden.
Verfasser: Rudolf Ley
Anlage:
Vergabekammer Nordbayern: Beschluss vom 11.9.2024