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Der modifizierte Zuschlag als de-facto-Vergabe?

Das OLG Naumburg hat mit Beschluss vom 11.10.2024 (6 Verg 2/24) festgestellt, dass ein Zuschlagsschreiben mit Änderungen nicht zum Vertragsschluss führt, sondern nach § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung des Angebots verbunden mit der Unterbreitung eines neuen Angebots zu verstehen ist. Nehme ein Bieter ein solches („neues“) Angebot an, stelle ein auf diese Weise zustande gekommener Vertrag keine de-facto-Vergabe nach § 135 Abs. 1 GWB dar.

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Der Fall

Der Antragsgegner (Ag) führte ein Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb zur Vergabe von Rahmenvereinbarungen über Ingenieurleistungen durch. Der Auftrag war in drei Lose unterteilt. Als alleiniges Zuschlagskriterium wurde der Preis benannt. In der Bekanntmachung war aufgeführt, dass sie den Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Wirtschaftsteilnehmern betraf. Innerhalb der Teilnahmefrist gingen zwei Teilnahmeanträge ein, und zwar von der Antragstellerin (ASt) und von der Beigeladenen (Bg). Beide Bewerber wurden vom Ag als geeignet angesehen und zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert. Beide Teilnehmer beteiligten sich jeweils mit einem Hauptangebot für jedes Los. Die Hauptangebote der Bg waren jeweils preisgünstiger als die Hauptangebote der ASt.

In seinem Vergabevermerk führte der Ag aus, dass der Auftrag für sämtliche Lose jeweils sowohl auf das Hauptangebot der Bg als auch auf das Hauptangebot der ASt erteilt werden solle. Der Ag informierte jeden der beiden Bieter unter Verwendung eines entsprechenden Formblatts darüber, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf seine Hauptangebote zu erteilen. Aus den Vorabinformationsschreiben ging jeweils nicht hervor, dass der Zuschlag auf beide Hauptangebote je Los erteilt werden sollte und in welchem Rangverhältnis die bezuschlagten Hauptangebote zueinander standen.

Der Ag übermittelte an beide Bieter mit gleichlautenden Schreiben ein Zuschlagsschreiben, bezogen auf die Hauptangebote zu allen drei Losen, mit Anlagen, darunter mit einer "finalen Rahmenvereinbarung mit Änderungen zum Entwurf". Die Bg unterzeichnete die geänderten Rahmenvereinbarungen für alle drei Lose.

Auf Nachfrage der ASt teilte der Ag mit, dass der Zuschlag im Vergabeverfahren auf die Angebote mehrerer Bieter erteilt worden sei und dass die Auftragserteilung nach einem Kaskadenverfahren erfolge. Danach sollen die Einzelaufträge dem Auftragnehmer mit dem preisgünstigsten Angebot angedient werden und im Falle fehlender Kapazitäten oder im Falle des Vorliegens eines Interessenkonflikts des Erstplatzierten der Einzelauftrag an den weiteren Auftragnehmer erteilt werden.

Die ASt rügte daraufhin, dass der Abschluss von - gegenüber den Vergabeunterlagen modifizierten - Rahmenvereinbarungen eine vergaberechtswidrige de facto-Vergabe darstelle. Die Zuschlagserteilung sei daher unwirksam, weil sie Änderungen enthalte. Das Vergabeverfahren sei zudem intransparent geführt worden, weil der Ag nicht offengelegt habe, dass er den Abschluss von Rahmenvereinbarungen jeweils mit mehreren Auftragnehmern anstrebe. Außerdem sei die Vorabinformation über die beabsichtigte Zuschlagserteilung nicht ordnungsgemäß erfolgt. Der Zuschlag an sie, die ASt, sei wirtschaftlich wertlos.

Der Ag half den Rügen jeweils nicht ab. Die ASt beantragte sodann die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens, das von der Vergabekammer zurückgewiesen wurde.

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Die Entscheidung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der ASt, die vor dem OLG Naumburg erfolglos blieb. Die Entscheidung des Gerichts beruht auf folgenden Erwägungen:

  • Vergaberechtsschutz werde nach den §§ 155, 160 GWB grundsätzlich nur in einem schon begonnenen und noch laufenden Vergabeverfahren gewährt. Ein wirksam erteilter Zuschlag könne von der Nachprüfungsinstanz nicht aufgehoben werden.
  • Ein Zuschlagsschreiben mit Änderungen führe nicht zum Vertragsschluss. Ein solches Schreiben sei nach § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung des Angebots verbunden mit der Unterbreitung eines neuen Angebots zu verstehen (sog. modifizierter Zuschlag), das wiederum vom Bieter anzunehmen sei. Ein so zustande gekommener Vertrag stelle keine de-facto-Vergabe nach § 135 Abs. 1 GWB dar. Das im vorliegenden Fall eingeleitete Verhandlungsverfahren sei durch die - im modifizierten Zuschlag nach § 150 Abs. 2 BGB enthaltene - Ablehnung der Angebote des Bieters nicht beendet worden. Denn die Willenserklärung des Ag sei einheitlich zu bewerten: sie beinhalte zugleich eine Ablehnung des Angebots und die Unterbreitung eines neuen Angebots. Damit wolle der Ag das Vergabeverfahren nicht beenden, sondern fortsetzen; er forderte zur unverzüglichen Annahme des geänderten Angebotes auf. Der Vertragsabschluss durch modifizierten Zuschlag des Ag und die unverzügliche Annahmeerklärung der Bg habe im zeitlichen und situativen Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren gestanden und dieses abgeschlossen.
  • Die Erteilung eines modifizierten Zuschlags sei hier zwar vergaberechtswidrig, weil auch in einem Verhandlungsverfahren Verhandlungen über den Inhalt der abzuschließenden Vereinbarung nach der Vorlage des endgültigen Angebots nicht mehr zulässig seien. Dieser Vergabeverstoß führe aber nicht zur Unwirksamkeit des Vertragsschlusses.
  • Der Umfang der vom Ag mit dem Zuschlagsschreiben vorgenommenen Modifikationen der ursprünglich ausgeschriebenen Leistungen stehe dem ebenfalls nicht entgegen. Zwar müsse auch im Verhandlungsverfahren die Identität der ausgeschriebenen Leistungen gewahrt bleiben, d.h. der Vertragsumfang müsse sich grundsätzlich im Rahmen des vorgegebenen Konzepts bewegen. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall aber erfüllt.
  • Eine de facto-Vergabe könne auch nicht unter Heranziehung der Vorschriften des § 132 GWB festgestellt werden. Die Vorschrift sei schon nicht einschlägig, denn sie beziehe sich auf Änderungen eines bereits bestehenden Vertrages und nicht - wie hier - auf Änderungen an einem Vertragsangebot vor dem Vertragsschluss.
  • Bei einer Mehrpartner-Rahmenvereinbarung, bei der sich aus der Auswahlentscheidung des Auftraggebers eine Rangfolge unter den Rahmenvertragspartnern bei der Vergabe der Einzelaufträge ergebe, sei der dadurch schlechter gestellte (also zweit- oder drittrangige) Zuschlagsaspirant im Rahmen der Vorabinformation nach § 134 GWB auch darüber zu informieren. Im Falle einer solchen Rahmenvereinbarung mit einem abgestuften Verhältnis der Einzelbeauftragung sei auch der zweitrangig ausgewählte Bieter der erste unterlegene Bieter.

Verfasser: Rudolf Ley

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