Die EU-Verordnung über drittstaatliche Subventionen: Ein Papiertiger für die Vergabe von Lieferungen und Dienstleistungen?
Ziel der FSR-Verordnung
Die Verordnung (EU) 2022/2560 verfolgt das Ziel, faire Wettbewerbsbedingungen (level playing field) im Binnenmarkt sicherzustellen. Mit der Verordnung wird eine lange beklagte Regelungslücke geschlossen. Während sich die strenge EU-Beihilfenkontrolle bisher nur auf Beihilfen aus EU-Mitgliedstaaten bezog, wird mit der FSR-Verordnung auch eine Kontrolle wettbewerbsverzerrender Beihilfen von Drittstaaten ermöglicht.
Drei FSR-Instrumente
Zwei Instrumente mit Ex-ante-Meldepflicht der beteiligten Unternehmen betreffen die Überprüfung von Drittlandsbeihilfen zum einen bei Unternehmenszusammenschlüssen in der EU ab bestimmter Umsatzschwellen und zum anderen bei Vergabeverfahren mit einem sehr hohen geschätzten Auftragswert. Als drittes Instrument ist ein sog. „ex officio-Instrument“ vorgesehen, mit dem die Kommission von Amts wegen Drittlandsbeihilfen auch in Fällen unterhalb der Schwellenwerte der beiden vorgenannten Instrumente in allen Bereichen des Binnenmarktes nach eigenem Ermessen prüfen kann. Dieses Instrument wird auch als „allgemeines Marktuntersuchungsinstrument“ bezeichnet.
Meldepflicht in öffentlichen Vergabeverfahren
Unternehmen müssen drittstaatliche finanzielle Zuwendungen im Rahmen öffentlicher Vergabeverfahren melden, wenn folgende Schwellenwerte erreicht werden:
- Der geschätzte Wert des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung oder einer einzelnen Auftragsvergabe über das dynamische Beschaffungssystem beträgt mindestens 250 Mio. EUR2
und
- dem Wirtschaftsteilnehmer wurden in den letzten drei Jahren finanzielle Zuwendungen3 von insgesamt mindestens 4 Mio. EUR pro Drittstaat gewährt.
Regelungen für das Vergabeverfahren
Für die Vergabe dieser sehr großvolumigen Aufträge4 sind im Wesentlichen folgende, sich unmittelbar aus Kapitel 4 der VO (EU) 2022/2560 ergebende Regelungen verpflichtend zu beachten:
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Auftraggeber haben in der Auftragsbekanntmachung oder – wenn keine Bekanntmachung erfolgt – in den Auftragsunterlagen auf die Meldepflicht gemäß Art. 29 VO (EU) 2022/2560 hinzuweisen.
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Bewerber bzw. Bieter haben alle drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen anzugeben. Dies hat in einer „Meldung“ zu erfolgen, sofern ein Bewerber bzw. ein Bieter maßgebliche finanzielle Zuwendungen in den drei Jahren vor der Meldung von insgesamt mindestens 4 Mio. EUR erhalten hat. Ist dies nicht der Fall, dann ist eine entsprechende „Erklärung“ abzugeben.
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Die Meldung bzw. Erklärung ist beim offenen Verfahren gemeinsam mit dem Angebot abzugeben. In zwei- oder mehrstufigen Vergabeverfahren hat sie mit dem Teilnahmeantrag zu erfolgen; eine aktualisierte Meldung bzw. Erklärung ist dann mit dem (finalen) Angebot abzugeben.
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Fehlt die Meldung bzw. Erklärung, ist – nach zuvor erfolgter Aufforderung zur Nachbesserung binnen zehn Arbeitstagen – der Teilnahmeantrag nicht zu berücksichtigen bzw. das Angebot auszuscheiden.
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Bei vorsätzlich oder fahrlässig unrichtigen, irreführenden oder unterlassenen Angaben über drittstaatliche finanzielle Zuwendungen kann die Kommission Geldbußen verhängen.
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Meldungen bzw. Erklärungen sind vom Auftraggeber unverzüglich an die Kommission weiterzuleiten.
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Ist die Meldung bzw. Erklärung nach Ansicht der Kommission – und nach zuvor erfolgter Aufforderung zur Nachbesserung binnen zehn Arbeitstagen – unvollständig, erlässt die Kommission einen Beschluss, in dem sie den Auftraggeber auffordert, eine Entscheidung zur Ablehnung eines solchen Teilnahmeantrags oder Angebots zu treffen.
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Liegt eine vollständige Meldung vor, hat die Europäische Kommission 20 Arbeitstage Zeit, eine Vorprüfung durchzuführen. Innerhalb dieser Frist kann sie beschließen, in eine eingehende Prüfung einzusteigen, für welche ihr 110 Arbeitstage zur Verfügung stehen.
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Kommt die Kommission in der eingehenden Prüfung zu dem Ergebnis, dass der Bieter von den Binnenmarkt verzerrenden drittstaatlichen Subventionen profitiert und kann der Verzerrung nicht vollständig und wirksam abgeholfen werden, trifft die Kommission einen an den Auftraggeber gerichteten Beschluss zur Untersagung der Zuschlagserteilung an diesen Bieter5.
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Während einer Vorprüfung und einer eingehenden Prüfung können alle Verfahrensschritte im Rahmen des Vergabeverfahrens mit Ausnahme der Zuschlagserteilung fortgesetzt werden; ergeht binnen der Fristen kein Beschluss der Kommission, darf jedenfalls der Zuschlag erteilt werden.
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Stammt das wirtschaftlich günstigste Angebot von einem Bieter, der eine Erklärung (und keine Meldung) abgegeben hat, kann der Zuschlag an diesen Bieter jedenfalls erteilt werden, ohne dass laufende Prüfungen anderer Meldungen abgewartet werden müssten.
Das allgemeine Marktuntersuchungsinstrument
Neben den unmittelbar einschlägigen Regelungen in Kapitel 4 verfügt die Kommission darüber hinaus über die Möglichkeit, gemäß Kapitel 2 der VO (EU) 2022/2560 von Amts wegen tätig zu werden und mögliche drittstaatliche Subventionen auch in weiteren Vergabeverfahren zu prüfen. Dies kann auch Vergabeverfahren unterhalb des in Art. 28 VO (EU) 2022/2560 festgesetzten Schwellenwertes von 250 Mio. EUR betreffen. Die maßgeblichen Bestimmungen ergeben sich aus den Art. 9 bis 18 VO (EU) 2022/2560. Hervorzuheben ist, dass bei amtswegigen Untersuchungen im Zusammenhang mit Vergabeverfahren die Kommission keine einstweiligen Maßnahmen ergreifen darf, die Prüfung auf bereits vergebene Aufträge beschränkt ist und diese Prüfung weder zur Aufhebung des Zuschlages noch zur verpflichtenden Kündigung eines Auftrags führt.
Fazit: Viel Rauch um fast nichts!
Angesichts des extrem hohen Schwellenwertes in Höhe von 250 Mio. EUR erscheint das Kernelement der FSR – Ex-ante-Meldung drittstaatlicher Subventionen – im Bereich der Liefer- und Dienstleistungsaufträge eher als ein Papiertiger. Es wird nur sehr wenige Vergabeverfahren geben, die diesen Schwellenwert erreichen. Unterhalb des Schwellenwertes greift zwar als Auffangtatbestand das von Amts wegen seitens der EU-Kommission anzuwendende allgemeine Marktuntersuchungsinstrument. Auch dieses ist aber eher ein stumpfes Schwert, da es auf die Prüfung bereits vergebener Aufträge beschränkt ist und auch keine Aufhebung des Zuschlags bzw. eine Kündigung des Auftrags zur Folge hat. Immerhin entfalten die FSR-Instrumente aber eine gewisse präventive Wirkung und sensibilisieren die Marktakteure für die Problematik wettbewerbsverzerrender Subventionen aus Drittstaaten. Auch handelspolitisch zeigt sich die EU damit wehrhafter gegenüber anderen globalen Wirtschaftsräumen, die wenig wettbewerbliche Skrupel bei der Förderung ihrer Unternehmen haben.
Rudolf Ley
1 Mit Durchführungsverordnung (EU) 2023/1441 vom 10.7.2023 hat die Kommission detaillierte Vorschriften für die Durchführung von Verfahren nach der Verordnung (EU) 2022/2560 festgelegt und im Rahmen einer darauf beruhenden Mitteilung die technischen Spezifikationen für die digitale Übermittlung von Unterlagen in diesen Verfahren erläutert.
2 Wenn der Auftrag in Lose unterteilt wurde, so muss der geschätzte Wert des Auftrags mindestens 250 Mio. EUR und der Wert des Loses oder der Gesamtwert aller Lose, um die sich der Bieter bewirbt, mindestens 125 Mio. EUR betragen.
3 Gemäß Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2022/2560 umfasst für die Zwecke der VO der Begriff „finanzielle Zuwendung“ eines Drittstaates unter anderem a) den Transfer von Geldern oder Verbindlichkeiten, b) den Verzicht auf ansonsten fällige Einnahmen oder c) die Bereitstellung oder den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen.
4 Ausgenommen sind Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung aufgrund äußerst dringlicher, zwingender Gründe (Art. 28 Abs. 4 VO (EU) 2022/2560). Kann eine Leistung nur von einem Unternehmen erbracht werden, sieht Art. 28 Abs. 5 VO (EU) 2022/2560 eine eigene Regelung vor. Eine Ausnahme besteht auch für verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge nach der Richtlinie 2009/81/EG.
5 Art. 31 Abs. 1 und 2 VO (EU) 2022/2560. Infolge dieses unmittelbar anwendbaren Beschlusses hat der Auftraggeber das betreffende Angebot auszuschließen.


