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Freigabe der kommunalen Unterschwellenvergabe in NRW

Nordrhein-Westfalen hebt zum 1. Januar 2026 alle landesrechtlichen Wertgrenzen für kommunale Vergabeverfahren auf. UVgO und VOB/A werden für die Unterschwellenvergabe nicht mehr verbindlich vorgegeben. Stattdessen regelt nun § 75a Gemeindeordnung (GO) NRW „Allgemeine Vergabegrundsätze“. Als Hilfestellung für die Vergabepraxis haben die kommunalen Spitzenverbände in NRW eine „Mustersatzung Unterschwellenvergabe“ zur Umsetzung des § 75a GO vorgelegt.

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Rechtlicher Hintergrund:

Das Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) verpflichtet Bund und Länder, ihr Haushaltsrecht entsprechend den dort niedergelegten Grundsätzen zu regeln. Für die Vergabe öffentlicher Aufträge normiert § 30 HGrG den Vorrang der Öffentlichen Ausschreibung bzw. der Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb.

Das HGrG gilt jedoch nicht für Kommunen, da diese nicht Normadressaten des Gesetzes sind. Das kommunale Haushaltsrecht regelt sich vielmehr nach dem jeweiligen Landesrecht (in NRW die Kommunalhaushaltsverordnung, KomHVO). § 26 Abs. 1 der KomHVO NRW übertrug bisher die Regelung des § 30 HGrG auf kommunale Vergabeverfahren, während § 26 Abs. 2 KomHVO NRW zur Konkretisierung auf die vom zuständigen Landesministerium herausgegebenen Vergabegrundsätze verwies. Darin war bislang für die Unterschwellenvergabe die Anwendung der UVgO und der VOB/A (Abschnitt 1) vorgegeben. In den meisten anderen Bundesländern gilt eine mit NRW vergleichbare Rechtslage.

UVgO und VOB/A (Abschnitt 1) haben für sich genommen keine rechtliche Verbindlichkeit. Diese entfalten sie erst, wenn sie von Bund und Ländern explizit für anwendbar erklärt werden. Fehlt es an einer verbindlichen Vorgabe für die Anwendung, erlangen UVgO und VOB/A (Abschnitt 1) keine Rechtswirkung.

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Neuregelung:

Die kommunale Vergaberechtsnovelle in NRW GV. NRW. Ausgabe 2025 Nr. 32 vom 16.7.2025 Seite 617 bis 644 | RECHT.NRW.DE besteht aus vier Elementen:

  1. Nach § 75 GO NRW, der die „Allgemeinen Haushaltsgrundsätze“ enthält, wird ein § 75a über „Allgemeine Vergabegrundsätze“ neu in die GO aufgenommen. § 75a Abs. 1 GO NRW regelt die Pflicht einer Gemeinde, die Vergabe öffentlicher Aufträge – vorbehaltlich anderer Rechtsvorschriften – wirtschaftlich, effizient und sparsam unter Beachtung der Grundsätze von Gleichbehandlung und Transparenz zu gestalten. Nach § 75a Abs. 2 GO NRW können Gemeinden Regelungen, die die Durchführung von Vergaben einschränken, nur durch den Beschluss einer Satzung erlassen.

  2. Die Regelung zur Vergabe von Aufträgen in § 26 KomHVO wird aufgehoben.

  3. Dadurch wird die bisher in den kommunalen Vergabegrundsätzen enthaltene Anwendungsverpflichtung für die UVgO und die VOB/A (Abschnitt 1) obsolet.

  4. § 8 der Kommunalunternehmensverordnung NRW (KUV) überträgt die Änderungen auf kommunale Unternehmen, die als Anstalt des öffentlichen Rechts geführt werden.

Nach der Gesetzesbegründung ist es das Ziel der Neuregelung, die Unterschwellenvergabe für Kommunen „freizugeben“. Kommunen sollen erst ab Erreichen der EU-Schwellenwerte verpflichtet sein, die Vergabe von Leistungen förmlich auszuschreiben. Mit Inkrafttreten des § 75a GO NRW werden laut der Gesetzesbegründung bisher bestehende kommunale Regelungen über die Durchführung von Vergaben (Dienstanweisungen) auf „Null“ gestellt.

Die Regelung in § 75a GO ist bewusst sehr allgemein gehalten, um den Kommunen möglichst viel Handlungsspielraum zu eröffnen. Dies stellt allerdings die Vergabepraxis vor die Herausforderung, die gesetzlichen Anforderungen „wirtschaftlich, effizient und sparsam unter Beachtung der Grundsätze von Gleichbehandlung und Transparenz“ in einem konkreten Vergabeverfahren so umzusetzen, dass es einer evtl. gerichtlichen Überprüfung oder einer Rechnungsprüfung standhält.

Um hier eine Hilfestellung anzubieten, haben die kommunalen Spitzenverbände eine Mustersatzung inklusive Erläuterungen als eine Möglichkeit der Umsetzung des § 75a GO NRW vorgelegt. Die Mustersatzung wurde im Rahmen einer Arbeitsgruppe der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände mit Praktikerinnen und Praktikern aus Kreisen, Städten und Gemeinden, der Kommunal Agentur NRW und dem Institut der Rechnungsprüfer (IDR) erarbeitet. Sie bietet den Kommunen die Option, in einzelnen Punkten als auch in der Regelungssystematik insgesamt von ihr abzuweichen oder zusätzliche Regelungen aufzunehmen.

Andere Gesetze/rechtliche Vorgaben (z.B. EU-Beihilfenrecht, Kartellrecht, Preis-recht/Preisgesetz, Korruptionsbekämpfungsgesetz NRW) bleiben von der Mustersatzung unberührt.

Besonders praxisrelevante Regelungen der Mustersatzung sind u.a.

  • Vergabegrundsätze
    • Vergabe nach wirtschaftlichen, effizienten und sparsamen Gesichtspunkten unter Beachtung der Grundsätze der Gleichhandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz
    • Rotation zwischen den zur Angebotsabgabe aufgeforderten Unternehmen
    • Keine örtliche Beschränkung des Wettbewerbs
    • Keine Umgehung der Wertgrenzen/Schwellenwerte durch sachlich nicht gerechtfertigte Teilung der Aufträge (Stückelungsverbot)
    • Berücksichtigung der Interessen von KMU, insbesondere durch Losvergabe; allerdings erweiterte Zulässigkeit einer Gesamtvergabe, wenn wirtschaftliche, technische, zeitliche oder personelle Gründe diese rechtfertigen
    • Umgang mit binnenmarktrelevanten Aufträgen
  • Regelung zu Direktaufträgen, wobei die Mustersatzung hier aufgrund der Heterogenität der kommunalen Größen- und Strukturmerkmale auf eine zahlenmäßige Vorgabe verzichtet. Hier besteht somit ein weiter Gestaltungsspielraum der Kommunen vor Ort.
  • Freie Wahl der Verfahrensart
  • Möglichkeit, bei allen Verfahrensarten über den Angebotsinhalt und die Preise zu verhandeln

Die Mustersatzung nimmt wegen der besseren Lesbarkeit nur auf die GO NRW Bezug und spricht auch im Text nur von „Gemeinden“. Die Erläuterungen bieten jedoch eine Formulierung an, die von Landkreisen genutzt werden könnte.

Gesetzestext und Gesetzesbegründung schweigen dazu, ob die Vergabeerleichterungen auch für Kreise und andere Gemeindeverbände in NRW (Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe, Regionalverband Ruhr und Städteregion Aachen) Anwendung finden. Zumindest für Kreise müsste dies der Fall sein, da für deren Haushalts- und Wirtschaftsführung nach § 53 Abs. 1 der Kreisordnung NRW die Vorschriften des 8. bis 12. Teils der GO und die dazu erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Nach summarischer Prüfung müssten die Vergabeerleichterungen auch für die weiteren Gemeindeverbände in NRW anwendbar sein, da für diese nach den einschlägigen Errichtungsgesetzen die Haushaltsvorschriften der GO bzw. der Kreisordnung ebenfalls entsprechend bzw. sinngemäß gelten.

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Fazit:

Die Freigabe der kommunalen Unterschwellenvergabe eröffnet Chancen für den Bürokratieabbau und stärkt die kommunale Eigenverantwortung und Flexibilität. Allerdings birgt die Reform auch Risiken hinsichtlich Rechtssicherheit und EU-Konformität.

Ohne verbindliche Verfahrensregeln wird es für die Praktikerinnen und Praktikern vor Ort herausfordernd, den gesetzlichen Anforderungen im § 75a GO NRW (Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, Gleichbehandlung/Nichtdiskriminierung und Transparenz) im konkreten Vergabefall gerecht zu werden. Denn auch unter der Geltung des § 75a GO NRW findet die Vergabe nicht in einem rechtsfreien Raum statt. Da Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes die Gleichbehandlung aller potentiellen Bieter verlangt, könnten willkürlich erscheinende oder intransparente Vergabeentscheidungen das Risiko von Rechtsstreitigkeiten erhöhen.

Für binnenmarktrelevante Aufträge gelten auch im Unterschwellenbereich die EU-Grundsätze der Transparenz, Nichtdiskriminierung und des Wettbewerbs. Hier müssen die Beschafferinnen und Beschaffer im Einzelfall die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen und Mindestanforderungen prüfen, um sich nicht dem Vorwurf eines EU-Rechtsverstoßes auszusetzen. Durch die Anwendung der UVgO und der VOB/A (Abschnitt 1) wurden diese Anforderungen bisher gewissermaßen inzident mit erfüllt.

Schließlich besteht auch das Risiko eines Flickenteppichs an unterschiedlichen Regelwerken und Vorgehensweisen, sodass sich die Anbieterseite von Kommune zu Kommune auf andere Prozesse einstellen müsste. Eine Verengung des Bieterkreises sowie eine Renaissance des Hoflieferantentums sind nicht gänzlich auszuschließen.

Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, dass die kommunalen Spitzenverbände mit der Mustersatzung und den dazugehörigen Erläuterungen einen Rahmen bereitstellen, der für die Vergabepraxis ein Mindestmaß an Rechtssicherheit bietet, ohne die neu eingeräumte Flexibilität substanziell zu beschneiden. Allerdings wirbt dem Vernehmen nach das zuständige Landesministerium bei den Kommunen dafür, keine Satzungen zur Ausfüllung des § 75a GO NRW zu erlassen, stattdessen werde das Ministerium einen Leitfaden herausgeben, der Orientierung in der Praxis geben soll. Es bleibt abzuwarten, welches Modell sich letztendlich durchsetzt.

Angesichts der vielen Fragen, die der nordrhein-westfälische Weg noch aufwirft, wäre es verfrüht, diesen auch als Blaupause für andere Bundesländer zu nehmen. Erste Begehrlichkeiten in diese Richtung gibt es schon, so fordert der niedersächsische Städte- und Gemeindebund vom Land, dem Beispiel NRW zu folgen.

Verfasser: Rudolf Ley / Dietmar Altus

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