Nach einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 21.6.2024 besteht die Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit der Dokumentation über die Wertung von Angeboten gem. § 5 Abs. 2 S. 2 VgV nicht gegenüber dem Unternehmen, das das betreffende Angebot abgegeben hat, soweit die Dokumentation keine Rückschlüsse auf die Inhalte der Angebote Dritter zulässt.
Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 21.6.2024
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Der Fall
Die Klägerin begehrt auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG) Einsichtnahme in die Bewertung der von ihr abgegebenen Angebote in einem von der Beklagten durchgeführten Vergabeverfahren.
Die Beklagte schrieb den Abschluss von Rahmenverträgen über Konzeption und Durchführung von Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung europaweit im offenen Verfahren aus. Die Klägerin reichte zu zwei Losen der Ausschreibung Angebote ein. Mit inhaltsgleichen Schreiben zu den beiden Losen teilte die Beklagte der Klägerin gem. § 134 GWB mit, dass ihre Angebote jeweils nicht für einen Zuschlag in Frage kämen. In der Begründung wurde angegeben, die Angebote erfüllten nicht die in den Vergabeunterlagen geforderten Mindestanforderungen.
Die Klägerin forderte die Beklagte auf, ihr die Gründe für die Ablehnung mitzuteilen. Dies lehnte die Auftraggeberin mit Verweis auf die abschließende Auskunft nach § 134 GWB ab.
Daraufhin stellte die Klägerin einen Antrag auf Zugang zu amtlichen Informationen gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 IFG, der die Dokumentation der Bewertung der Angebote der Klägerin zu den beiden Losen zum Gegenstand hatte. Mit Bescheid teilte die Beklagte der Klägerin unter Hinweis auf das nun abgeschlossene Vergabeverfahren die Einzelbewertungen in den Wertungsbereichen mit. Die Bekanntgabe der Wertungsbegründungen lehnte die Auftraggeberin weiterhin ab; nach § 5 Abs. 2 VgV seien die eingegangenen Angebote und ihre Anlagen sowie die Dokumentation über die Öffnung und über die Wertung der Angebote vertraulich zu behandeln.
Das Verwaltungsgericht wies die erhobene Klage ab. Es liege ein Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 5 Abs. 2 S. 2 VgV vor. § 5 VgV diene nach der Verordnungsbegründung dem „Schutz des ungestörten Wettbewerbs“. Damit ziele die Bestimmung gerade nicht ausschließlich auf den Schutz der Informationen der anderen Bieter, vielmehr solle auch verhindert werden, dass Bieter aus einem abgeschlossenen Vergabeverfahren Vorteile gegenüber Konkurrenten für künftige Vergabeverfahren erlangen. Die Regelung diene damit auch dem Schutz des öffentlichen Auftraggebers selbst.
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Die Entscheidung des VGH Bayern
Auf die Berufung der Klägerin änderte der VGH das Urteil des Verwaltungsgerichts ab und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin gem. § 1 Abs. 1 S. 1 IFG Einsicht in die Fachbewertung ihrer Konzepte zu gewähren.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts werde der Anspruch der Klägerin nicht durch § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 5 Abs. 2 S. 2 VgV ausgeschlossen. § 5 Abs. 2 S. 2 VgV stelle zwar eine Vertraulichkeitsregelung im Sinn von § 3 Nr. 4 IFG dar. Die Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit von „Interessensbekundungen, Interessensbestätigungen, Teilnahmeanträgen und Angeboten einschließlich ihrer Anlagen sowie die Dokumentation über Öffnung und Wertung der Teilnahmeanträge und Angebote“ bestehe aber nur zu Gunsten und nicht zu Lasten des jeweiligen Einreichers.
§ 5 VgV trage die Überschrift „Wahrung der Vertraulichkeit“. Für die Definition des vertraulichen Gegenstands komme es nach § 5 Abs. 1 VgV entscheidend auf die Einschätzung des übermittelnden Unternehmens an („von diesen als vertraulich gekennzeichneten Informationen“).
§ 5 Abs. 2 Satz 2 VgV erweitere den in § 5 Abs. 2 S. 1 VgV aufgeführten Kreis der zu schützenden Unterlagen auf die „Öffnung und Wertung der Teilnahmeanträge und Angebote“. Es wäre nicht systemgerecht, hinsichtlich dieser Ergänzungen eine andere Schutzrichtung anzunehmen. Ihren schützenswerten Charakter leiteten die Dokumente zu Öffnung und Wertung aus dem vertraulichen Charakter der Teilnahmeanträge und Angebote und damit ebenfalls aus Umständen ab, die der Sphäre des einreichenden Unternehmens zuzurechnen seien.
Dieses Verständnis decke sich auch mit den europarechtlichen Vorgaben. Zur unionsrechtlichen Grundlage des § 5 VgV in Art. 21 der RL 2014/24/EU sehe der EuGH (Urteil vom 17.11.2022 – Rs. C-54/21 –, Rn. 49) die Gefahr der Verfälschung des Wettbewerbs auch (nur) bei „Preisgabe von mitgeteilten Informationen an Dritte“.
Das Argument der Beklagten, der Zugang zu den Wertungsunterlagen des eigenen Angebots verschaffe der Klägerin einen Wettbewerbsvorteil, verkenne, dass das Vergaberecht die Erlangung oder das Innehaben eines „Wettbewerbsvorteils“ nicht schlechthin missbillige. So führten Wettbewerbsvorteile, die ein Unternehmen als bisheriger Auftragnehmer des Auftraggebers gewonnen hat, nicht zur Wettbewerbsverzerrung im nachfolgenden Vergabeverfahren, wenn der Vorauftrag nach den Regeln des Wettbewerbs vergeben wurde. Auch § 7 Abs. 1 VgV lasse die Teilnahme eines vorbefassten Unternehmens zu und verpflichte den Auftraggeber lediglich zur Ergreifung angemessener Kompensationsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme nicht verzerrt werde.
Außerdem stünde die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Bewertungsdetails seines Angebots jedem Wettbewerber gleichermaßen zu, so dass kein Teilnehmer im Wettbewerb bevorzugt werde. Die Kenntnis der Wertungsdetails habe unmittelbar nur zur Folge, dass der Einsicht nehmende Bieter sein Angebot künftig passgenauer auf die Bedarfe des Auftraggebers anpassen könne.
Schließlich hätte die Klägerin nach § 165 GWB ohnehin in die begehrten Unterlagen Einsicht nehmen können, wenn sie ein Nachprüfungsverfahren angestrengt hätte. Seien Unterlagen im Rahmen des Nachprüfungsverfahren nicht schutzbedürftig, wäre nicht einsichtig, warum dies nicht auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens gelten sollte.
Im vorliegenden Fall wiesen die beantragten Informationen keinen Bezug zu vertraulichen Inhalten oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen anderer Bieter auf, anderenfalls hätte dies ggf. zu einer Versagung oder Beschränkung des Informationsanspruches nach § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 5 Abs. 2 VgV bzw. § 6 IFG führen können.
Der VGH hat die Revision gem. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen, weil der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukomme, ob der Antrag eines Unternehmens gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 IFG auf Zugang zur Dokumentation der Wertung seines Angebots unter Hinweis auf den Vertraulichkeitsschutz gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 VgV abgelehnt werden dürfe.
Verfasser: Rudolf Ley
Beste Antworten.
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