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Ohne Moos nix los!

Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 18.9.2024 (Verg 16/24) entschieden, dass eine Rahmenvereinbarung missbräuchlich angewendet werde, wenn für einen erheblichen Teil des Auftragsvolumens die Finanzierung völlig ungewiss sei. Es fehle die Vergabereife. Informiere der Auftraggeber die Bieter nicht über dieses Finanzierungsrisiko, sei diesen eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation nicht möglich.

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Der Fall

Die Antragsgegnerin (Ag) schrieb im offenen Verfahren eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung von bis zu sechs Kontroll- und Streifenbooten sowie sieben Tochterbooten mit einer Mindestabnahmemenge von zwei Kontroll- und Streifenbooten sowie zwei Tochterbooten aus. Haushaltsmittel standen dem Ag nur für die Mindestbestellmenge von insgesamt vier Booten zur Verfügung. Es war gänzlich ungewiss, ob die optionalen Boote in den nächsten Jahren finanziert werden können. Über dieses Finanzierungsrisiko informierte die Ag die Bieter nicht.

Die Antragstellerin (ASt) gab fristgemäß ein Angebot ab. Die Ag teilte der ASt mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag einem anderen Unternehmen zu erteilen. Die ASt rügte dies als vergaberechtswidrig; die Ag half der Rüge nicht ab. Die von der ASt angerufene Vergabekammer des Bundes wies den Nachprüfungsantrag zurück. Das OLG Düsseldorf gab der sofortigen Beschwerde der ASt gegen die Entscheidung der Vergabekammer statt.

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Die Entscheidung

Das Gericht hält den Nachprüfungsantrag für zulässig und begründet, da die gewählte Rahmenvereinbarung gegen das Missbrauchsverbot  nach § 21 Abs. 1 S. 3 VgV verstoße.

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Missbrauch der Rahmenvereinbarung

Ein Missbrauch der Rahmenvereinbarung liege vor, wenn der öffentliche Auftraggeber diese zu anderen als den mit der Rahmenvereinbarung verbundenen Zwecken einsetze. Zwar sei es dem Auftraggeber insbesondere in Bezug auf die Festlegung des Auftragsvolumens nach § 21 Abs. 1 S. 2 VgV gestattet, das in Aussicht genommene Auftragsvolumen nur „so genau wie möglich“ zu ermitteln und bekannt zu geben, es müsse nicht abschließend feststehen. Ein Missbrauch einer Rahmenvereinbarung liegt aber vor, wenn eine Rahmenvereinbarung der Befriedigung eines Beschaffungsbedarfs diene, der allenfalls theoretischer Natur sei, denn die zu beschaffenden Leistungen müssten auf einen grundsätzlichen Bedarf und auf eine ernsthafte Vergabeabsicht des öffentlichen Auftraggebers zurückzuführen sein. Missbräuchlich sei es daher auch, wenn die Ausschreibung eine Beauftragung nur in Aussicht stelle, der öffentliche Auftraggeber hierauf jedoch keinerlei Einfluss habe.

Ausgehend von diesen Grundsätzen habe die Ag im vorliegenden Fall die Rahmenvereinbarung zu vergabefremden Zwecken eingesetzt, weil eine Beauftragung über die vereinbarte Mindestabnahmemenge hinaus infolge ungesicherter Finanzierung völlig ungewiss und eine Information der Bieter hierüber unterblieben sei.

Vergabereife

Im Vergaberecht gelte der anerkannte Grundsatz der Vergabereife. Danach soll der Auftraggeber ein Vergabeverfahren erst dann einleiten, wenn alle Vergabeunterlagen fertig gestellt sind und wenn innerhalb der angegebenen Fristen mit der Ausführung begonnen werden kann. Zur Vergabereife gehöre auch, dass die Vergabestelle im Zeitpunkt der Ausschreibung in der Lage sein müsse, das Vorhaben durch verfügbare Haushaltsmittel zu finanzieren. Der öffentliche Auftraggeber habe Vorsorge für eine zumindest im Wesentlichen ausreichende Finanzierung zu treffen. Es müssten hinreichende Mittel für das Projekt im Haushalt als Ausgabe oder als Verpflichtungsermächtigung veranschlagt worden sein.

Haushaltsmittel bei Rahmenvereinbarungen

Das Gericht weist darauf hin, dass für den Abschluss einer Rahmenvereinbarung in diesem Zusammenhang zwar die Ansicht vertreten werde, dass eine Vorabfinanzierung sämtlicher später in Erwägung gezogener Leistungen nicht erforderlich sei bzw. nicht abschließend gesichert sein müsse. Aus Sicht des Gerichts bedürfe es im vorliegenden Fall aber keiner Entscheidung, in welchem Umfang die Finanzierung des voraussichtlichen Beschaffungsbedarfs bei Abschluss der Rahmenvereinbarung gesichert sein müsse. Stehe - so wie hier - bei Abschluss der Rahmenvereinbarung nur die Finanzierung eines Teils des voraussichtlichen Beschaffungsbedarfs fest, müsse hinsichtlich der übrigen Teile zumindest die begründete, auf objektive Anhaltspunkte gestützte Erwartung bestehen, dass die Finanzierung auch dieser Einzelaufträge sichergestellt und der bestehende Beschaffungsbedarf gedeckt werden könne, da anderenfalls die Durchführung der Beschaffung teilweise noch völlig offen sei. Eine solche begründete Erwartung könne beispielsweise angenommen werden, wenn durch die Rahmenvereinbarung ein wiederkehrender Beschaffungsbedarf im Bereich von Massenwaren und -dienstleistungen (z. B. Büromaterial, Streusand, regelmäßig wiederkehrende Postdienstleistungen, Rabattverträge bei Arzneimitteln u. ä.) gedeckt werden soll. Da die genannten Waren und die Dienstleistungen regelmäßig benötigt werden, würden die hierfür erforderlichen Haushaltsmittel turnusmäßig im jährlichen Haushaltsplan Berücksichtigung finden.

Anders liege der Fall bei besonderen und nicht turnusmäßigen wiederkehrenden Beschaffungsvorhaben, wie das vorliegende Verfahren zeige. Hier könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die erforderlichen Haushaltsmittel für den Abruf von neun weiteren Booten bereitgestellt würden. Im vorliegenden Fall liege eine Finanzierungszusage nur für die Mindestbestellmenge von insgesamt vier Booten vor. Eine Verpflichtungsermächtigung gemäß §§ 5, 22 Haushaltsgrundsätzegesetz und § 6 Bundeshaushaltsordnung sei für die optionalen neun Boote nicht im Haushalt veranschlagt gewesen. Es bestehe nach den eigenen Angaben der Ag auch keine begründete Erwartung, dass die erforderlichen Haushaltsmittel aller Voraussicht nach bewilligt würden.

Entschließe sich der öffentliche Auftraggeber in einem solchen Fall - völlig ungewisse Finanzierung eines erheblichen Teils der Einzelaufträge - gleichwohl für eine Rahmenvereinbarung, müsse er die Bieter über dieses Finanzierungsrisiko informieren. Unterbleibe eine solche Information, würden die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung beeinträchtigt und damit die Rahmenvereinbarung missbräuchlich angewandt. Für die Bieter sei eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation ohne Kenntnis der offenen Finanzierungsfrage nicht möglich.

Fazit

Die Vergabe von Rahmenvereinbarungen erfreut sich in der Praxis nicht zuletzt auch deshalb einer besonderen Beliebtheit, weil nach vorherrschender Meinung bei Abschluss der Rahmenvereinbarung Haushaltsmittel nur für eine vereinbarte Mindestabnahmemenge zur Verfügung stehen müssen. Diesem Verständnis scheint die Entscheidung des OLG Düsseldorf nun zu widersprechen und der Rahmenvereinbarung dadurch ein Stück weit die mit ihr bezweckte Flexibilität zu nehmen. Bei genauerer Analyse der Entscheidung zeigt sich jedoch, dass der zugrunde liegende Sachverhalt einen Ausnahmefall darstellt, der nicht generalisiert werden sollte. Nach dem eigenen Vortrag des Auftraggebers war es im vorliegenden Fall vollkommen ungewiss, ob über die Mindestabnahmemenge hinaus überhaupt Haushaltsmittel für weitere Boote bereitgestellt werden können. In einer solchen Fallkonstellation ist es in der Tat zweifelhaft, ob die Rahmenvereinbarung noch auf einen tatsächlichen Bedarf mit konkreter Beschaffungsabsicht gerichtet ist oder doch eher vergabefremden Zwecken dient, mit einem Inaussichtstellen von allenfalls theoretischen Absatzchancen.

Das OLG Düsseldorf lässt es über den vorliegenden Einzelfall hinaus ausdrücklich offen, in welchem Umfang die Finanzierung des voraussichtlichen Beschaffungsbedarfs generell bei Abschluss von Rahmenvereinbarungen gesichert sein muss. Außerdem bringt das Gericht zum Ausdruck, dass der Auftraggeber auch bei noch ungesicherter Finanzierung das Vergabeverfahren rechtskonform gestalten könne, indem er die Bieter auf die bestehenden Finanzierungsrisiken hinweise.

Verfasser: Rudolf Ley

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