Das OLG Düsseldorf hat sich ausführlich zu den Voraussetzungen für eine zulässige Abweichung vom Gebot der produktneutralen Leistungsbeschreibung bei der Beschaffung von Hard- und Software geäußert. Das Gericht hat im konkreten Fall die produktspezifische Ausschreibung gebilligt und seine bisherige Rechtsprechung zum Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers fortgeführt.
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Der Fall
Die Antragsgegnerin (Ag) schrieb eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung und Montage von interaktiven Displays für kommunale Schulen in einem EU-weiten offenen Verfahren aus. Beschafft werden sollen 1.200 Displays inklusive des hierfür benötigten Zubehörs, der Software und Dienstleistungen.
In der Leistungsbeschreibung war das Display einschließlich der dazugehörigen Software eines bestimmten Herstellers vorgegeben. Außerdem sollten die Bieter einen Nachweis über einen Partnerstatus bei diesem Hersteller erbringen.
Bereits im Jahr 2019 hatte die Ag 666 interaktive Displays einschließlich Software im Rahmen eines europaweiten Vergabeverfahrens beschafft. Dem damaligen Vergabeverfahren, aus dem der im aktuellen Verfahren vorgegebene Hersteller als Zuschlagsempfänger hervorging, lag eine produktneutrale Leistungsbeschreibung zugrunde. Im Rahmen der aktuellen Vergabe sollen nun die bislang nicht mit interaktiven Displays ausgestatteten Unterrichtsräume entsprechend nachgerüstet werden.
Die Ag begründete die Produktvorgabe in der Leistungsbeschreibung zum einen damit, dass ein Mischbetrieb mit Displays mehrerer Hersteller zu Schwierigkeiten bei Gebrauch und Wartung führen würde. Zum anderen würden die Arbeitsabläufe im Schulalltag beeinträchtigt, weil Schüler die Schulen regelhaft wechseln würden – etwa beim Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule oder aufgrund von Kooperationen und gemeinsamen Leistungskursen verschiedener Schulen. Auch die Lehrkräfte müssten sich bei einem Produktwechsel an ein anderes System gewöhnen, was zu erheblichem Zeitverlust für die eigentlichen Lehrinhalte führen würde.
Die Antragstellerin (ASt), die digitale Lernlösungen, wie interaktive Schultafeln oder Lernsoftware für Schulen anbietet, rügte die Produktvorgabe und stellte sodann einen Antrag auf Nachprüfung. Sie trug vor, die Vorgabe des Herstellers verstoße mangels objektiver und auftragsbezogener Gründe gegen das Gebot der produktneutralen Leistungsbeschreibung. Ein Mischbetrieb verschiedener Produkte sei üblich und könne daher regelmäßig ohne Mehraufwände oder Schwierigkeiten vollzogen werden.
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag der ASt zurück. Hiergegen legte die ASt sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein.
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Die Entscheidung
Die sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg. Das Gericht entschied, dass die Ag nicht gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung (§ 31 Abs. 1 VgV) und damit gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter (§ 97 Abs. 2 GWB) verstoßen habe.
Das OLG Düsseldorf traf dabei folgende Kernaussagen:
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Die Wahl des Auftragsgegenstandes unterliegt der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Das Vergaberecht regelt demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung.
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Nach § 31 Abs. 1 S. 1 VgV hat der öffentliche Auftraggeber die Leistungsbeschreibung aber in einer Weise zu fassen, dass sie allen Unternehmen den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewährt.
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In der Leistungsbeschreibung darf daher nur ausnahmsweise auf ein bestimmtes Produkt verwiesen werden, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist (§ 31 Abs. 6 S. 1, 2. HS VgV) oder wenn der Auftragsgegenstand andernfalls nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann (§ 31 Abs. 6 S. 2, 1. HS VgV). Die in § 31 Abs. 6 S. 2, 2. HS VgV vorgeschriebene Verwendung „oder gleichwertig“ bezieht sich allein auf die im Satz 2 im ersten Halbsatz genannte beschreibende Verwendung.
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Herstellerverweise sind nur dann durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.
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Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung muss aber nachvollziehbar begründet und dokumentiert sein. Einer vorherigen Markterkundung bedarf es bei der Ermittlung des Beschaffungsbedarfs nicht.
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Eine sachliche Rechtfertigung für eine Produktvorgabe aus technischen Gründen liegt dann vor, wenn im Interesse der Systemsicherheit und Funktion eine wesentliche Verringerung von tatsächlich bestehenden und abzuwendenden Risikopotentialen wie das Risiko von Fehlfunktionen und Kompatibilitätsproblemen bewirkt wird. Insbesondere in sicherheitsrelevanten Bereichen dürfen Auftraggeber den sichersten Weg einschlagen und so jedwedes Risikopotential ausschließen. Bei sonstigen Kompatibilitätsproblemen, die bei der Beschaffung neuer Systemkomponenten – insbesondere von IT-Komponenten – regelmäßig auftreten können, muss der Auftraggeber demgegenüber aufzeigen, dass durch den Wechsel des Systems oder die produktneutrale Ergänzung ein unverhältnismäßiger Mehraufwand entstünde oder die Funktionalität auf nicht hinnehmbare Weise beeinträchtigt würde.
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Die von der Ag dargelegten Kompatibilitätsprobleme sowie der dargestellte Mehraufwand stellen vorliegend mit Blick auf den Umstand, dass im schulischen Umfeld zur Gewährleistung eines reibungslosen Unterrichts eine gleichförmige Funktion einer Vielzahl von Endgeräten bei der Nutzung durch unterschiedliche Schülergruppen zu gewährleisten ist, einen unverhältnismäßigen Mehraufwand dar. Auch die Funktionalität für die Gewährleistung eines reibungslosen Unterrichts wird in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt.

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Fazit
Produktspezifische Vergaben im IT-Bereich können vor allem dann zum Thema werden, wenn Bestandssysteme erweitert oder ergänzt werden sollen.
Der Beschluss des OLG Düsseldorf zeigt verschiedene Begründungsansätze für eine entsprechende auftragsbezogene Produktvorgabe auf:
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Gewährleistung der Systemsicherheit sowie die Minimierung realer und potenzieller Risiken, etwa durch Fehlfunktionen oder Inkompatibilitäten
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zusätzlicher Aufwand durch den Parallelbetrieb unterschiedlicher IT-Systeme
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erhöhter Support- und Wartungsaufwand infolge von Kompatibilitätsproblemen
Wichtig ist, dass entsprechende Gründe fallspezifisch und auftragsbezogen zu dokumentieren sind.
Weitaus höher ist der Begründungsaufwand, wenn ein Produkt, für das sich der Auftraggeber entschieden hat, nur von einem Unternehmen geliefert werden kann und deshalb ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV (Direktvergabe) durchgeführt werden soll. In diesem Fall muss der Auftraggeber nach § 14 Abs. 6 VgV durch eine europaweit durchzuführende Markterkundung belegen, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.
Verfasser: Rudolf Ley
Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 10.07.2024