Ein aktuelles Urteil des EuGH vom 29.4.2025 bringt neue Dynamik in den schleppenden Ausbau von Schnellladeinfrastruktur an deutschen Autobahnraststätten. Der EuGH hält eine entsprechende Erweiterung bestehender Verträge ohne ein neues Vergabeverfahren für zulässig, stellt dafür jedoch verschiedene Voraussetzungen auf. Ob diese im konkreten Fall erfüllt sind, muss nun das OLG Düsseldorf, das den EuGH um eine Vorabentscheidung gebeten hatte, prüfen.
Der Ausbau von Schnellladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge an Raststätten entlang deutscher Autobahnen stockt seit April 2022 aufgrund eines Vergaberechtsstreits um die Konzessionsverträge für die geplanten Ladeparks. Nun bringt ein aktuelles Urteil des EuGH vom 29.4.2025 neue Dynamik in das Verfahren. Der EuGH hält die Erweiterung der bestehenden Konzessionsverträge zwischen dem Bund und der Tank & Rast sowie ihrer Tochtergesellschaft Ostdeutsche Autobahntankstellen als vergaberechtsfreie Auftragsänderung grundsätzlich für möglich. Das Gericht nennt jedoch eine Reihe von Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Die Prüfung, ob diese im konkreten Fall gegeben sind, obliegt nun dem OLG Düsseldorf, das die Vorlagefrage an den EuGH gerichtet hatte. Obwohl sich das Urteil des EuGH unmittelbar auf die Vergabe von Konzessionen bezieht, lässt es sich aufgrund der weitgehend übereinstimmenden Regelungen zur Auftragsänderung in den Richtlinien 2014/23/EU und 2014/24/EU auch auf Liefer- und Dienstleistungsaufträge übertragen.
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Der Fall
Antragsgegnerin (Ag) im Vergabenachprüfungsverfahren ist die Deutsche Autobahn GmbH, eine vollständig bundeseigene Gesellschaft, die für die Verwaltung der deutschen Autobahnen und Fernstraßen verantwortlich ist. Als Beigeladene (Bg) sind die Unternehmen Tank & Rast sowie deren Tochtergesellschaft Ostdeutsche Autobahntankstellen beteiligt. Gemeinsam betreiben sie rund 90 % der Rastanlagen an deutschen Autobahnen auf Grundlage von etwa 360 Konzessionsverträgen mit dem Bund. 280 dieser Konzessionen wurden ursprünglich in den Jahren 1996 bis 1998 – ohne vorherige Ausschreibung – mit Laufzeiten von bis zu 40 Jahren an die damalige Betreiberin vergeben. Diese Vorgängergesellschaft befand sich seinerzeit zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes, wurde jedoch im Jahr 1998 vollständig privatisiert.
Im April 2022 erweiterte die Ag die bestehenden Konzessionen um die Errichtung und den Betrieb von Ladestationen für Elektrofahrzeuge an Rastanlagen, ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens. Diese Änderung wurde im EU-Amtsblatt bekannt gemacht. Zur Begründung des Verzichts auf eine Ausschreibung berief sich die Ag auf § 132 GWB. Die Bereitstellung von Schnellladeinfrastruktur sei als zusätzliche Dienstleitung im Rahmen der Konzessionsverträge erforderlich geworden, was bei deren Abschluss noch nicht vorhersehbar gewesen sei. Anlass für die Erweiterung ist das Schnellladegesetz vom 25.6.2021, das die Ag verpflichtet, dem Inhaber einer Konzession zum Betrieb eines Nebenbetriebs mit Tankstelle die eigenwirtschaftliche Übernahme von Errichtung, Unterhaltung und Betrieb der an diesem Standort geplanten Schnellladepunkte anzubieten, soweit dies nach dem Zweck der Konzession geboten ist und Teil 4 des GWB nicht entgegensteht.
Das niederländische Unternehmen Fastned, das ebenfalls Schnellladestationen betreibt, hält die Erweiterung der bestehenden Konzessionen um Ladestationen nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB für unwirksam, da ihr ein europaweites Vergabeverfahren hätte vorausgehen müssen. Fastned rief daher die Vergabekammer des Bundes an. Neben Fastned trat ursprünglich auch Tesla in dem Nachprüfungsverfahren als Antragsteller auf, zog sich später aber aus dem Verfahren zurück.
Nachdem die Vergabekammer des Bundes den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen hatte, erhob Fastned (ASt) sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein. Das OLG Düsseldorf legte dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vor, ob Art. 72 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 2014/24/EU auch auf solche öffentlichen Aufträge anwendbar sei, die ursprünglich außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2014/24/EU an eine Inhouse-Einrichtung vergeben worden seien, jedoch die Voraussetzungen der Inhouse-Vergabe im Zeitpunkt der Vertragsänderung nicht mehr vorlägen.
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Die Entscheidung
Der EuGH beschränkt sich in seinem Urteil nicht auf die Beantwortung der konkreten Vorlagefrage, sondern setzt sich darüber hinaus mit weiteren Aspekten des Vorlagebeschlusses des OLG Düsseldorf auseinander. Eingangs stellt der Gerichtshof klar, dass im vorliegenden Fall eine Konzessionsvergabe vorliegt, die nach Maßgabe der Richtlinie 2014/23/EU zu beurteilen ist. Zugleich weist der EuGH darauf hin, dass die darin enthaltenen Regelungen zur Auftragsänderung (Art. 43) weitgehend mit den entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2014/24/EU (Art. 72, umgesetzt in § 132 GWB) übereinstimmen.
Die wesentlichen inhaltlichen Kernaussagen des Urteils lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Eine Konzession darf auch dann ohne erneutes Vergabeverfahren geändert werden, wenn sie ursprünglich ohne Ausschreibung an eine Inhouse-Einrichtung vergeben wurde und die Änderung zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Konzessionsnehmer diesen Inhouse-Status verloren hat. Andernfalls würde die vom Gesetzgeber beabsichtigte Flexibilität bei ausschreibungsfreien Vertragsänderungen unangemessen eingeschränkt, ohne dass dies durch den Wortlaut oder den Kontext der einschlägigen Bestimmungen gestützt wäre.
- Die Mitgliedstaaten müssen nicht sicherstellen, dass nationale Gerichte im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens gegen eine spätere Vertragsänderung auch die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Konzessionsvergabe überprüfen, wenn die Frist für eine direkte Anfechtung der ursprünglichen Vergabe bereits abgelaufen ist. In solchen Fällen hat der Grundsatz der Rechtssicherheit Vorrang.
- Die Änderung einer Konzession wird "erforderlich", wenn unvorhersehbare Umstände eine Anpassung der ursprünglichen Konzession erfordern, um sicherzustellen, dass sie weiterhin ordnungsgemäß ausgeführt werden kann. Dafür genüge es nicht, dass die bisherigen vertraglichen Bestimmungen die Situation, die sich aus den eingetretenen unvorhersehbaren Umständen ergibt, nicht erfassen.
Für den Fall, dass das vorlegende Gericht zum Ergebnis kommen sollte, dass im vorliegenden Fall nicht sämtliche Voraussetzungen des Art. 43 Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 2014/23 (Art. 72 Abs. 1 Buchstabe c Richtline 2014/24, umgesetzt in § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB) erfüllt sind, weist der EuGH darauf hin, dass das Gericht prüfen müsse, ob die in Art. 43 Abs. 1 Buchst. b (Art. 72 Abs. 1 Buchstabe b, umgesetzt in § 132 Abs. 2 Nr. 2 GWB) genannten Voraussetzungen vorliegen. Insbesondere wäre zu beurteilen, ob die Bau- oder Dienstleistungen, auf die sich die hier in Rede stehende Änderung bezieht, nicht in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht, und ohne zu erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten für den öffentlichen Auftraggeber zu führen, Gegenstand einer autonomen, im Anschluss an eine Ausschreibung erteilten Konzession sein konnten.

Beste Antworten.
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Fazit
Das Urteil markiert einen Etappensieg für die Bundesautobahn GmbH und für Tank & Rast, stellt jedoch noch keinen endgültigen Erfolg im laufenden Vergabenachprüfungsverfahren dar. Nun obliegt es dem OLG Düsseldorf zu prüfen, ob die vom EuGH formulierten Voraussetzungen des Art. 43 Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 2014/23 im vorliegenden Fall erfüllt sind. Besonders spannend wird sein, ob sich feststellen lässt, dass die Änderung erforderlich war, um die ursprüngliche Konzession weiterhin ordnungsgemäß ausführen zu können. Zu hoffen bleibt, dass das OLG zeitnah für Rechtsklarheit sorgt, damit nach nunmehr drei Jahren rechtlicher Unsicherheit endlich der Weg für den Ausbau der Ladeinfrastruktur an deutschen Raststätten freigemacht wird.
Über diese konkrete Frage hinaus stärkt das Urteil des EuGH den vergaberechtlichen Bestandsschutz:
Zum einen hat der EuGH klargestellt, dass auch ursprünglich inhouse vergebene Aufträge ohne Ausschreibung im Einklang mit den Richtlinienvorgaben geändert werden können. Dies gilt selbst dann, wenn im Zeitpunkt der Auftragsänderung die Voraussetzungen für ein Inhouse-Geschäft nicht mehr vorliegen. Eine Ausnahme hiervon gilt lediglich im Fall eines Wechsels des Auftragnehmers (§ 132 Abs. 2 Nr. 4 GWB).
Zum anderen ist bei einer späteren Vertragsänderung nicht mehr (inzident) zu prüfen, ob der ursprüngliche Vertrag vergaberechtskonform geschlossen wurde, sofern die Frist, innerhalb derer geschlossene Verträge vor den zuständigen Vergabenachprüfungsinstanzen angefochten werden können, abgelaufen ist. Gemäß § 135 Abs. 2 GWB beträgt diese Frist höchstens sechs Monate ab Vertragsschluss. Die mit dieser Ausschlussfrist verfolgte Intention, nach einer angemessenen Frist Rechtssicherheit herzustellen, würde konterkariert, wenn jede spätere Änderung erneut Anlass zur Überprüfung der ursprünglichen Vergabe böte. Der allgemeine Grundsatz der Rechtssicherheit steht einer solchen nachträglichen Kontrolle entgegen, sobald die gesetzlich vorgesehene Ausschlussfrist verstrichen ist.
Verfasser: Rudolf Ley