rehm-verlag   Online-Produkte öffnen

Newsübersicht < Newsbeitrag

Vergabekammer des Bundes zu Geheimwettbewerb und Teststellungen

Die Vergabekammer des Bundes hat sich im Beschluss vom 10.11.2023 (VK 1 - 63/23) zu zwei sehr praxisrelevanten Fragestellungen geäußert. Zum einen geht es um die Konstellation, dass mehrere Unternehmen den gleichen Nachunternehmer/Eignungsverleiher einsetzen, zum anderen um die Zulässigkeit von Teststellungen im Rahmen der Angebotswertung. In beiden Punkten hat die Vergabekammer das Vorgehen der Auftraggeberin als vergaberechtswidrig beanstandet.

Jetzt bewerten!

Die Auftraggeberin (AG) führt derzeit europaweit ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zur Vergabe einer Rahmenvereinbarung über Entwicklungs-, Liefer- und Dienstleistungen für eine Software durch. Abrufberechtigt sollen 95 Behörden und Ressorts der Bundesverwaltung sein, der Vertrag soll mit einem einzigen Vertragspartner geschlossen werden. Auftragsgegenstand ist die Beschaffung von marktverfügbarer Standardsoftware. Durch eine Standardkonfiguration dieser Standardsoftware soll im Weiteren eine behördenübergreifende Standard-Version entstehen, die bei Bedarf an die spezifischen Belange der jeweiligen Behörden und Ressorts angepasst werden soll.

Im Nachprüfungsverfahren kristallisierten sich folgende zwei Punkte als besonders strittig heraus:

  1. Während des Vergabeverfahrens stellte die AG fest, dass mehrere Bewerber/Bieter das gleiche Unternehmen (nachfolgend X) als Nachunternehmer bzw. Eignungsverleiher einsetzen wollten. Da „erhebliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer schweren Verfehlung sowie für die Verfälschung des Wettbewerbs“ bestünden, forderte die AG u.a. die Antragstellerin (Ast) auf, die X als Eignungsverleiher und Nachunternehmer zu ersetzen. Die ASt rügte, dass dieses Ersetzungsverlangen rechtswidrig sei. Nachdem die ASt die X nicht innerhalb der gesetzten Frist ersetzt hatte, teilte die AG der ASt mit, dass sie diese vom weiteren Vergabeverfahren ausschließe.

  2. Darüber hinaus hat sich die AG in den Vergabeunterlagen vorbehalten, die Anforderungen aus der Leistungsbeschreibung und des „Kriterienkatalog Leistung (A- und B- Kriterien)“ in einer „verifizierenden Teststellung“ zu überprüfen. Hierfür soll der Bieter mit dem zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Teststellung wirtschaftlichsten Angebot bei der AG ein Demosystem seiner Software installieren. Auch hiergegen wendete sich die ASt.

Die Vergabekammer des Bundes schloss sich der ASt im Ergebnis an und stellte zu beiden Punkten Vergaberechtsverstöße fest. Die Kammer untersagte daher die Zuschlagserteilung und gab der AG auf, das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in das Stadium vor Übersendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen und die ASt am Vergabeverfahren zu beteiligen.

Ley / Ley

Vergabehandbuch für Lieferungen und Dienstleistungen online

Leitfaden durch das Verfahren, Ablaufschemata, Formularsammlung und alle wichtigen Vorschriften

Vierteljahrespreis‎ 87,00 €
Online-Produkt

Ad 1:

Die Vergabekammer hält den Ausschluss der ASt mangels Eignung, weil sie die X trotz entsprechender Aufforderung der AG gemäß § 47 Abs. 2 S. 1, 4, 5, § 36 Abs. 5 S. 1, 3, 4 i.V.m. § 124 GWB nicht ersetzt hat, für rechtswidrig. Denn die X erfülle keine Ausschlussgründe i.S.d. § 47 Abs. 2 S. 1, 4, § 36 Abs. 5 S. 1, 3 i.V.m. § 124 GWB und dürfe von der ASt weiterhin als Eignungsverleiher und Nachunternehmer eingesetzt werden.

Der Ausschlusstatbestand des § 47 Abs. 2 S. 1, 4, § 36 Abs. 5 S. 1, 3 i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB scheitere im Hinblick auf die X schon daran, dass diese nicht "mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat", die dieser Vorschrift unterfallen.

Ley / Altus / Müller

Handbuch für die umweltfreundliche Beschaffung online

Praxisleitfaden

Vierteljahrespreis‎ 38,00 €
Online-Produkt

Die Beteiligung der X als Nachunternehmer oder Eignungsverleiher bezwecke oder bewirke auch keine „Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs“ i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB, auch wenn die X in ihrer Eigenschaft als Eignungsverleiher und Nachunternehmer an mehreren Angeboten beteiligt sei. Denn der (Geheim-)Wettbewerb, den die AG hier beeinträchtigt sehe, sei der Wettbewerb der am Verhandlungsverfahren teilnehmenden, einzelnen Bieter, also der Wettbewerb innerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens. Wenn ein Unternehmen wie hier lediglich als Nachunternehmer für ein oder mehrere Bieter tätig sei, aber selbst kein eigenes Angebot abgebe, sei dies für den Vergabewettbewerb hingegen grundsätzlich unbedenklich.

Aus denselben Gründen liege hier auch kein „Scheinwettbewerb“ dergestalt vor, dass mehrere Bieter nur scheinbar als unabhängig voneinander agierende Wettbewerber auftreten, diese tatsächlich aber in wesentlichem Umfang gemeinsam agieren und sich so Vorteile im Vergabewettbewerb verschaffen. Denn trotz der je nach Leistungsteil erheblichen Bedeutung der Vorleistungen und Leistungen der X für die einzelnen Angebote hätten die Bieter hier ausreichende eigene Gestaltungs- und Kalkulationsspielräume, ihr Angebot individuell und unabhängig zu erstellen.

18469-HJR-Website2023-04-RZ-Newsletter.webp

Beste Antworten.

Newsletter Vergaberecht

Dieser kostenlose Newsletter informiert Sie regelmäßig über neue Entwicklungen im Vergaberecht. Sie erhalten aktuelle und praxisbezogene Informationen und Produkttipps zu Vorschriften, EU-Vorgaben, Länderregelungen und aktueller Rechtsprechung.

Dass mehrere Angebote hinsichtlich der „Grundsoftware“ übereinstimmen, beruhe auf dem besonderen Beschaffungsbedarf der AG und nicht auf einem (angeblich abgestimmten) Verhalten der Bieter oder dem Verhalten der X und sei damit nicht den Marktteilnehmern anzulasten. Es sei vielmehr als wettbewerbsfördernd hervorzuheben, dass die AG ihre Beschaffungsmaßnahme nicht auf die Herstellerebene der Software beschränkt, sondern für weitere Dienstleister geöffnet habe, die mit Hilfe eines Nachunternehmereinsatzes in der Lage seien, der Antragsgegnerin entsprechende Lösungen anzubieten. Diesen wettbewerblichen Vorteil mache die AG durch ihr Verlangen, die X als Eignungsverleiher/Nachunternehmer zu ersetzen, allerdings zunichte. Denn mit dem Ausschluss der mit der X zusammenarbeitenden Bieter und dem darin liegenden Verbot, Software der X anzubieten, habe sich die Anzahl der Wettbewerbsteilnehmer einschließlich der von diesen angebotenen Softwareprodukte erheblich verringert.

 

Ad 2:

Bezüglich der Teststellung sei nicht zu beanstanden, dass eine solche Teststellung vor Erteilung des Zuschlags an einen bestimmten Bieter überhaupt durchgeführt werde. Vergaberechtswidrig sei es jedoch, dass die Antragsgegnerin den Bietern nicht hinreichend transparent mitgeteilt habe, welche konkreten Anforderungen der Leistungsbeschreibung bzw. des "Kriterienkatalogs Leistung" tatsächlich getestet werden sollen.

Ein Auftraggeber könne auf das allgemeine Leistungsversprechen, das ein Bieter mit seinem Angebot abgibt, die ausgeschriebene Leistung im Zuschlagsfall vertragskonform zu erbringen, vertrauen. Genau so sei ein Auftraggeber aber auch frei in seiner Entscheidung, dass er das Leistungsversprechen der Bieter einschließlich der Erfüllung bestimmter Zuschlagskriterien mithilfe einer Teststellung überprüft. Die Grenzen dieses Leistungsbestimmungsrechts seien allerdings dann überschritten, wenn für diese Vorgehensweise des Auftraggebers tatsächlich keine nachvollziehbaren und auftragsbezogenen Gründe vorliegen und einzelne Wirtschaftsteilnehmer diskriminiert werden. Die Gründe, die die AG hier diesbezüglich vorbringe (die Vermeidung von ungewöhnlichen Funktionalitätsdefiziten, die den rechtzeitigen Einsatz der Software gefährden), seien angesichts des streitgegenständlichen Beschaffungsgegenstands (eine Software, die in 95 Bundesbehörden regelmäßig eingesetzt werden soll) objektiv nachvollziehbar.

Der Durchführung einer Teststellung vor Zuschlagserteilung stehe auch nicht entgegen, dass dies dazu führe, dass jedenfalls die zu testenden Teile der angebotenen Leistung bereits zum Zeitpunkt der Teststellung vorhanden sein müssen. Denn anders als die ASt meine, seien Angebote in Vergabeverfahren nicht stets darauf gerichtet, dass die zu beschaffende Leistung erst nach Vertragsschluss hergestellt werden müsse. Dem Umstand, dass eine Vorgabe hoher Leistungsanforderungen, die bereits zum Zeitpunkt der Teststellungen erfüllt sein müssen, wettbewerbsbeschränkende Wirkung haben könne, weil sie den Kreis der potentiellen Bieter einschränke, könne der AG gegebenenfalls im Zusammenhang mit der Festlegung der zu testenden Kriterien Rechnung tragen.

Die AG habe jedoch im Zusammenhang mit der angekündigten Teststellung gegen ihre vergaberechtlichen Gleichbehandlungs- und Transparenzpflichten verstoßen, weil sie die Anforderungen, die sie testen will, den Bietern nicht hinreichend eindeutig und transparent genug mitgeteilt habe. Den Vorgaben zur Teststellung in den Vergabeunterlagen lasse sich nicht entnehmen, welche der zahlreichen Anforderungen (insgesamt über 430 Positionen) aus der Leistungsbeschreibung und dem „Kriterienkatalog-Leistung“ dies genau betreffe. Abgesehen von dieser sehr großen Menge an Anforderungen wäre dies gerade im vorliegenden Fall ganz besonders geboten gewesen, weil der Teststellung im Rahmen der Wertbarkeit der Angebote eine maßgebliche Rolle zukommt. Denn die Nichterfüllung nur eines einzigen A-Kriteriums (von insgesamt über 300 solcher Kriterien!) führe bereits zum Ausschluss eines Angebots, wohingegen sich die Nichterfüllung eines B-Kriteriums „nur“ auf die insgesamt zu erzielende Anzahl von Wertungspunkten auswirke, was ggf. mit einer besseren Leistung in einem anderen B-Kriterium ausgeglichen werden kann. Die Testvorgaben der AG bestimmten daher wesentlich mit, welches Stadium die angebotene Software bereits zum Zeitpunkt der Teststellung haben müsse, und damit, wie der Angebotsgegenstand beschaffen sein müsse, um wertungsfähig zu sein. Diesen vergaberechtlichen Anforderungen sei die AG vorliegend nicht hinreichend gerecht geworden. Denn was sie den Bietern hinsichtlich der vorgesehenen Teststellung mitgeteilt habe, sei aus maßgeblicher objektiver Sicht eines mit der Ausschreibung vertrauten, erfahrenen Bieters nicht eindeutig.

Rudolf Ley

Sie sind nicht eingeloggt
Bitte benachrichtigen Sie mich bei neuen Kommentaren.
Ihr Kommentar erscheint unter Verwendung Ihres Namens. Weitere Einzelheiten zur Speicherung und Nutzung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
0 Kommentare zu diesem Beitrag
SX_LOGIN_LAYER