Um das Vergabetransformationspaket der Bundesregierung war es zuletzt etwas still geworden. Ursprünglich hatte es geheißen, dass das BMWK auf der Grundlage des Inputs aus den schriftlichen Stellungnahmen und den Diskussionsrunden einen Referentenentwurf mit konkreten Lösungsvorschlägen im „Herbst 2023“ vorstellen wolle. Nun soll es wohl im „Sommer 2024“ endlich soweit sein. Es wird auch höchste Zeit, um das Gesetzesvorhaben noch in dieser Legislaturperiode abzuschließen. Mit dem vorliegenden Newsletter wird im Vorfeld des zu erwartenden Gesetzentwurfs noch einmal die Genese der Vorarbeiten dargestellt.
Der zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP im Jahr 2021 vereinbarte Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ hat das Ziel, die öffentlichen Vergabeverfahren zu vereinfachen, zu professionalisieren, zu digitalisieren und zu beschleunigen. Ziel ist es, die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ auszurichten und die Verbindlichkeit zu stärken, ohne dabei die Rechtssicherheit von Vergabeentscheidungen zu gefährden oder die Zugangshürden für den Mittelstand zu erhöhen. Weitere Vorhaben in diesem Kontext betreffen u.a. schnelle Entscheidungen der öffentlichen Hand und Mindestquoten für klimafreundliche Produkte.
Das Vergaberecht wurde 2016 mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien aus 2014 umfassend geändert. Das aktuelle Vergaberecht hat sich seitdem grundsätzlich bewährt. Die Komplexität dieses Rechtsbereichs ist jedoch ungewöhnlich hoch geblieben und seit 2016 sind auch viele Herausforderungen noch deutlicher zu Tage getreten. Im Lichte der vielfältigen Herausforderungen und drängenden Zukunftsfragen ist daher beabsichtigt, auch das Vergaberecht praxisgerecht und ambitioniert weiter zu modernisieren. Die öffentliche Beschaffung soll dabei Innovationen stärken und ihre Vorbildrolle für eine sozial-ökologische und digitale Transformation der Wirtschaft nutzen. Die Reform soll aber auch zum Bürokratieabbau beitragen.
Betroffenen Organisationen, Unternehmen und Verbänden sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern wurde im Rahmen eines digitalen öffentlichen Konsultationsverfahrens die Möglichkeit gegeben, ihre Einschätzungen und Ideen zur Vergabetransformation frühzeitig, transparent und bürokratiearm als Antworten auf die unten in fünf Aktionsfeldern aufgeworfenen Fragen einzubringen. Auch die öffentlichen Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber als wesentliche Stakeholder im Vergabeverfahren waren eingeladen, ihre Ideen und Vorschläge zu den Fragekomplexen über diesen Konsultationsprozess einzubringen.
Diese Fragekomplexe unterteilten sich in fünf Aktionsfelder:
Vergabehandbuch für Lieferungen und Dienstleistungen online
Leitfaden durch das Verfahren, Ablaufschemata, Formularsammlung und alle wichtigen Vorschriften
Aktionsfeld 1: Stärkung der umwelt- und klimafreundlichen Beschaffung
Die öffentliche Beschaffung soll ökologisch ausgerichtet und die Verbindlichkeit von umwelt- und klimabezogenen Anforderungen gestärkt werden. Das BMWK strebt dabei Mindestquoten für klimafreundliche Produkte in der öffentlichen Beschaffung an sowie die Beteiligung am Aufbau eines Systems zur Berechnung von Klima- und Umweltkosten.
Fragestellungen:
1. Auf welcher Stufe des Vergabeverfahrens ist eine (verpflichtende) Berücksichtigung von umwelt- oder klimabezogenen Aspekten am besten vorstellbar: In der Leistungsbeschreibung, bei den Eignungs- oder Zuschlagskriterien, in den Ausführungsbedingungen oder in einer Kombination davon?
2. Existieren bereits zielgerichtete und hinreichend praxistaugliche Vorbilder für die verbindliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien?
3. Welche rechtlichen oder praktischen Punkte könnten am besten zu einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung beitragen? Wie hilfreich wären z.B. praktische Anleitungen, Begründungspflichten, Selbstverpflichtungen, Quoten, Ge- und Verbote oder Mindeststandards?
4. In welchen Branchen bestehen besondere Chancen für die umwelt- und klimafreundliche Beschaffung? Gibt es Ihrer Ansicht nach Leistungen, die keine entsprechende Umwelt- oder Klimarelevanz haben könnten?
Handbuch für die umweltfreundliche Beschaffung online
Praxisleitfaden
Aktionsfeld 2: Stärkung der sozial-nachhaltigen Beschaffung
Soziale Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung einschließlich der Stärkung der Verbindlichkeit sozialer Anforderungen.
5. Welche Aspekte einer sozial verantwortlichen Beschaffung sollten über die Berücksichtigung von Tarifverträgen prioritär bei der öffentlichen Beschaffung verfolgt oder intensiviert werden?
6. Wie könnte dies am besten im Vergabeverfahren und -recht integriert werden?
7. Wie können soziale Innovationen wie. z.B. Sozialunternehmen durch die öffentliche Vergabe gestärkt werden?

Beste Antworten.
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Aktionsfeld 3: Digitalisierung des Beschaffungswesens
Absicht, die öffentlichen Vergabeverfahren zu digitalisieren, indem die rechtssichere Digitalisierung der Vergabe vorangetrieben wird. Dazu wird unter anderem eine anwenderfreundliche zentrale Plattform geschaffen.
8. Welche der folgenden Dienste sind bekannt und welche werden davon genutzt? Zentraler Bekanntmachungsservice, Datenservice öffentlicher Einkauf, die neuen elektronischen Standardformulare, weitere Projekte zur Digitalisierung des öffentlichen Einkaufs. Was fehlt zur vollumfänglichen Digitalisierung der Vergabeverfahren?
9. Spricht etwas gegen die elektronische Einreichung von Nachprüfungsanträgen und virtuelle mündliche Verhandlungen in Nachprüfungsverfahren?
10. Welche weiteren Schritte sind praktisch und rechtlich zur Digitalisierung der Nachprüfungsverfahren erforderlich?
Aktionsfeld 4: Vereinfachung und Beschleunigung der Vergabeverfahren
Förderung der Vereinfachung und Beschleunigung der öffentlichen Vergabeverfahren sowie schnelle Entscheidungen.
11. Welche Vereinfachungs- und Beschleunigungspotentiale gibt es noch im Vergaberecht? Wo setzen Rechtssicherheit, Wirtschaftlichkeit oder das europäische Vergaberecht wichtige Grenzen?
12. Ist eine Flexibilisierung des Losgrundsatzes vorstellbar, etwa für wichtige Transformationsvorhaben?
13. Können Vergabeverfahren noch weiter professionalisiert werden? Warum haben sich Unternehmen zuletzt gegebenenfalls nicht mehr an öffentlichen Vergabeverfahren beteiligt?
14. Ist eine weitere Vereinheitlichung des Vergaberechts vorstellenbar (formell in einem „Vergabegesetz“ oder materiell stärkere Angleichungen)?
Aktionsfeld 5: Förderung von Mittelstand, Start-Ups und Innovationen
Die Zugangshürden für den Mittelstand sollen nicht erhöht werden. Die öffentliche Beschaffung soll innovativ ausgerichtet werden. Öffentliche Ausschreibungen sollen zum Beispiel für Start-Ups einfacher gestaltet werden.
15. Welche rechtlichen und praktischen Stellschrauben bestehen für eine starke Einbeziehung von kleinen und mittelständischen Unternehmen in die öffentliche Beschaffung?
16. Welche Rolle spielen Unteraufträge oder Bietergemeinschaften, Eignungskriterien oder Ausführungsbedingungen? Welche rechtlichen und/oder praktischen Herausforderungen werden hier gesehen?
17. Wie stark werden Markterkundungen oder funktionale Ausschreibungen bzw. innovative Vergabeverfahren genutzt, um Innovationen und Start-Ups im Design von Vergabeverfahren besser zu berücksichtigen? Welche praktischen oder rechtlichen Hürden werden hier gesehen?
18. Welche Hinderungen bestehen, um innovative Vergabeverfahren (wie zum Beispiel dynamische Beschaffungssysteme oder elektronische Auktionen) zu nutzen?
Sonstiges
Die Aktionsfelder und Lösungsmöglichkeiten ergänzen und verstärken sich in vielen Fällen, stehen teilweise aber auch im Zielkonflikt zueinander. Zudem gibt es womöglich weitere Herausforderungen für die öffentliche Beschaffung, die rechtlich oder praktisch angegangen werden könnten.
19. Wie priorisieren Sie die Aktionsfelder? Welche aufgeworfenen Fragen sind Ihnen besonders wichtig?
20. Sehen Sie Zielkonflikte und falls ja, wie sollten diese aus Ihrer Sicht aufgelöst werden?
21. In welchen weiteren Bereichen sehen Sie rechtlichen Anpassungsbedarf der Vergabeverfahren? Welche praktischen Lösungen sehen Sie als besonders wichtig an?

Nach Darstellung des BMWK wurden bis Mai 2023 über 450 Stellungnahmen von Stakeholdern eingereicht. Die Auswertung der Fragebögen zeigte, dass die Stakeholder eine Vereinfachung des Vergaberechts als besonders wichtig erachteten, gefolgt von der Stärkung einer umwelt- und klimafreundlichen Beschaffung sowie der Digitalisierung der öffentlichen Vergabe.
Das BMWK hat im Rahmen seiner Information zum Ergebnis der Befragung darauf hingewiesen, dass die Stakeholder ein Spannungsfeld zwischen den Bereichen „Strategische Beschaffung“ und „effiziente Beschaffung“ sehen und ausdrücklich verdeutlicht, dass eine umwelt- und klimafreundliche Beschaffung das Vergabeverfahren nicht mit höheren Anforderungen unnötig verkomplizieren darf. Mit Blick auf den Grundsatz der Vergabe der Leistungen nach Losen wurde deutlich, dass die Beibehaltung dieses Grundsatzes für die Bedeutung für kleine und mittlere Unternehmen für wichtig erachtet wird.

Auf der Grundlage der Ergebnisse der öffentlichen Konsultation sowie der vom BMWK geleiteten Fachgesprächsrunden soll seitens des BMWK ein Referentenentwurf mit konkreten Lösungsvorschlägen erarbeitet werden. Dem Vernehmen nach soll der Gesetzentwurf im Sommer 2024 vorgelegt und in das parlamentarische Verfahren gegeben werden.
Hier scheint in der Tat Eile geboten, um das Gesetzesvorhaben noch in dieser Legislaturperiode abzuschließen
Verfasser: Rudolf Ley und Dietmar Altus
Quellen:
BMWK: Öffentliche Konsultation zur Transformation des Vergaberechts („Vergabetransformationspaket“) durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz; fragebogen-stakeholder-vergabetransformationspaket.pdf (bmwk.de); https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/F/fragebogen-stakeholder-vergabetransformationspaket.pdf?__blob=publicationFile&v=5;
BMWK; Öffentliche Konsultation zur Transformation des Vergaberechts; https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Service/Gesetzesvorhaben/oeffentliche-konsultation-zur-transformation-des-vergaberechts.html;
BMWK, Schlaglichter der Wirtschaftspolitik; Schlaglichter der Wirtschaftspolitik Juli 2023 (bmwk.de); https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Infografiken/Schlaglichter-der-Wirtschaftspolitik/2023/07/05-vergabetransformationspaket-2023-download.pdf?__blob=publicationFile&v=4