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Versteckte Produktvorgaben als Ausschlusskriterium

Die Vergabekammer des Bundes hat mit Beschluss vom 7.8.2024 festgestellt, dass für eine produktspezifische Ausschreibung ein besonders belastbarer sachlicher Grund in dem Sinne gegeben sein müsse, dass es keine vernünftige Alternativlösung gebe.

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Der Fall

Die Antragsgegnerin (Ag) veröffentlichte die beabsichtigte Vergabe einer Rahmenvereinbarung zur Lieferung von insgesamt 2340 Kettenmotorsägen nebst Zubehör für die Bundesforstverwaltung im Rahmen eines offenen Verfahrens.

Als Leitfabrikat wurde das Produkt des Herstellers X mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ vorgegeben. Die Ag hat in ihrer Leistungsbeschreibung die Produktdatenblätter der Geräte des Herstellers X übernommen.

Als Begründung für die Produktvorgabe führte die Ag an, das Referenzprodukt weise im Vergleich zu anderen Modellen deutlich niedrigere Werte im Bereich Vibration und Lärm auf und habe zudem ein geringeres Gewicht. Aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sei daher eine Nennung der Produktbezeichnung gerechtfertigt. Den Bietern werde der Nachweis ermöglicht, dass ihre Produkte mit dem Leitfabrikat gleichwertig seien.

Die Antragstellerin (ASt) erhob fristgerecht eine Rüge, in der sie im Wesentlichen bemängelte, dass die Ausschreibung auf die Produkte des Herstellers X beschränkt sei. Nachdem die Ag der Rüge nicht abgeholfen hatte, stellte die ASt einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes.

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Die Entscheidung

Die Vergabekammer hält den Nachprüfungsantrag wegen der fehlenden Produktneutralität der Leistungsbeschreibung für begründet und gab der Ag auf, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und auf Basis korrigierter Vergabeunterlagen neue Angebote einzuholen.

Es sei bereits im Ansatz fraglich, ob die Voraussetzungen für die Bezugnahme auf ein Referenzprodukt überhaupt vorlagen. Nach § 31 Abs. 6 VgV dürfe grundsätzlich nicht auf bestimmte Produkte eines Herstellers verwiesen werden; die nachgefragte Leistung sei grundsätzlich ohne derartige Bezugnahmen zu beschreiben. Die Bezugnahme auf ein Referenzprodukt sei nur ausnahmsweise zulässig, wenn der Auftragsgegenstand andernfalls nicht hinreichend genau und allgemeinverständlich beschrieben werden könne, wobei in diesem Ausnahmefall der Zusatz „oder gleichwertig“ erforderlich sei.

Vorliegend sei indes nicht erkennbar, warum die Ag die Motorsägen nicht schlicht durch Benennung einiger technischer, für die Ag wichtiger Parameter allgemein und ohne Bezugnahme auf ein Leitfabrikat beschreiben konnte. Maßstab für die Zulässigkeit der Benennung eines Leitfabrikats sei nach § 31 Abs. 6 VgV nicht, welches Produkt der Auftraggeber für vorzugswürdig halte. Die Vorschrift stelle vielmehr darauf ab, ob das gewünschte Produkt ohne Verweis auf das Leitfabrikat nicht hinreichend genau beschrieben werden könne. Dazu treffe der Vergabevermerk keine Feststellungen.

Ein Verstoß gegen das Gebot der Produktneutralität liege auf Sicht der Vergabekammer aber auch dann vor, wenn man die Vorgabe des Leitprodukts für zulässig halten würde. Ein öffentlicher Auftraggeber habe sich nach § 97 Abs. 1 GWB stets auch mit den wettbewerblichen Auswirkungen seiner Vorgaben zu beschäftigen.

Im vorliegenden Fall seien die Vorgaben der Leistungsbeschreibung zwar grundsätzlich mit dem Gleichwertigkeitszusatz versehen. Allerdings wurden vier technischen Daten vorgegeben, die in der Leistungsbeschreibung mit dem Zusatz „max.“ versehen wurden. Dabei handelt es sich um die Parameter Gewicht, Schalldruckpegel, Vibrationswert und Emissionswert, die ebenfalls exakt den Produkten des Herstellers X entsprechen. Die Produkte der ASt überschritten diese definierten Maximalwerte geringfügig, so dass die ASt mit einem Angebot ihrer Produkte wegen Abweichens von den Vorgaben zwingend nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV hätte ausgeschlossen werden müssen; die „max.“-Vorgabe wirke als absolutes Ausschlusskriterium zulasten der ASt. Damit gebe es ausschließlich die Produkte des Herstellers X, welche die Vorgaben erfüllen könnten.

Auch wenn der Auftraggeber grundsätzlich frei sei in der Definition seines Beschaffungsbedarfs, so ziehe das Gebot der Produktneutralität doch Grenzen. Dies gelte, wie § 14 Abs. 6 VgV deutlich mache, insbesondere dann, wenn wie hier nur ein Produkt übrigbleibe, das die Anforderungen erfüllen könne. Der Rechtsgedanke des § 14 Abs. 6 VgV greife auch im vorliegenden Verfahren, obwohl die Ag formal ein offenes Verfahren durchgeführt habe. Denn die Ag habe die Vorgaben versteckt produktspezifisch so ausgestaltet, dass nur ein Produkt diese Vorgaben erfüllen könne. Dafür reiche nicht nur ein sachlicher Grund aus; dieser müsse vielmehr besonders belastbar sein in dem Sinne, dass es keine vernünftige Alternative geben dürfe bzw. keine vernünftige Alternativlösung. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz, auf den die Ag sich beruft, sei zwar auf der einen Seite ein besonders belastbarer Grund. Es sei gerechtfertigt und entspreche auch ihrer Fürsorgepflicht als Arbeitgeberin, dass die Ag höchsten Wert auf Arbeits- und Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeiter legt.

Erforderlich wäre aber auf der anderen Seite im Sinne einer Abwägung gewesen, dass die Ag sich vor dem Beginn des Vergabeverfahrens mit den wettbewerblichen Auswirkungen ihrer „max.“-Vorgaben befasst hätte. Sie habe jedoch keine Abwägung getroffen zwischen den Aspekten des Arbeits- und Gesundheitsschutzes einerseits und dem Ausschluss aller anderen Produkte vom Vergabewettbewerb andererseits. Die Ag habe Zertifikate des Kuratoriums für Waldarbeit und Forsttechnik (KWF) für die angebotenen Produkte verlangt, wobei sich die KWF-Prüfung auch auf die vier Parameter erstrecke, die als Maximalforderung ausgewiesen worden seien. Mit diesen Maximalforderungen gehe die Ag noch über die Standards der KWF-Prüfung hinaus, die von der Forstwirtschaft selbst durchgeführt werde und ebenfalls höchste Anforderungen an Arbeits- und Gesundheitsschutz stelle. Es sei daher auch vor dem Hintergrund des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nicht mehr verhältnismäßig und wettbewerbskonform, Produkte gänzlich vom Wettbewerb auszuschließen, welche die KWF-Standards erfüllten, nicht aber die noch weitergehenden vier Maximalwerte des Herstellers X exakt abbilden könnten, sondern geringfügig darüber lägen. Der Bedeutung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes könnte aus Sicht der Vergabekammer in wesentlich verhältnismäßigerer Art und Weise Rechnung getragen werden, indem die vier Werte und deren stufenweise Einhaltung als qualitative Wertungskriterien ausgestaltet würden. Dies wäre eine vernünftige Ersatzlösung i.S.v. § 14 Abs. 6 VgV. Die vorliegende Ausgestaltung als zwingende Ausschlusskriterien indes verstoße gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung.

Verfasser: Rudolf Ley

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