Das OLG Düsseldorf sorgt zum Jahresende wieder einmal mit einer denkwürdigen vergaberechtlichen Entscheidung für Furore. Im Beschluss vom 13.12.2017 (27 U 25/17) vertritt das Gericht im Rahmen eines nicht entscheidungstragenden sog. obiter dictums („nebenbei Gesagtes“) die Auffassung, dass viel dafür spreche, dass den öffentlichen Auftraggeber auch bei Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte eine Informations- und Wartepflicht vor dem Vertragsschluss treffe. Ein unter Außerachtlassung der Informations- und Wartepflicht geschlossener Vertrag sei wegen Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Gesetz als nichtig gemäß § 134 BGB einzustufen. Nur so könne effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden.
Sachverhalt:
Die Antragstellerin (eine Gesellschaft nach österreichischem Recht) begehrt im Wege eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vorläufigen Rechtsschutz gegen die von der Antragsgegnerin (eine Stadt im Bergischen Land) beabsichtigte Überlassung einer in deren Eigentum stehenden Teilfläche eines ehemaligen Freibadgeländes an einen gemeinnützigen Förderverein. Der Verein soll die auf dem Gelände vorhandenen Freizeitanlagen ausbauen und unterhalten und der Öffentlichkeit im Wesentlichen unentgeltlich zur Verfügung stellen. Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Stadt müsse vor Abschluss eines derartigen Überlassungsvertrags ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren durchführen. Die Antragstellerin hat mit mehreren Schreiben ihr Interesse an einer Beteiligung an einem solchen Verfahren bekundet. Die Stadt als Antragsgegnerin hat demgegenüber eingewendet, die Überlassung des Grundstücks sei vergaberechtlich irrelevant. Das Landgericht Wuppertal hat mit Urteil vom 21.7.2017 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Hiergegen wendete sich die von der Antragstellerin am 24.7.2017 eingelegte Berufung beim Oberlandesgericht Düsseldorf. Das OLG hat mit Beschluss vom 3.8.2017 der Antragstellerin bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag einstweilen untersagt, die Verträge ohne vorherige Durchführung eines transparenten und diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens abzuschließen. Allerdings hatte die städtische Antragsgegnerin bereits am 24.7.2017 einen Überlassungsvertrag mit dem Förderverein geschlossen, der jedoch noch unter der aufschiebenden Bedingung der Zustimmung des Rates der Stadt stand.
Entscheidung:
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Berufung zurückgewiesen, da der Antragstellerin das Rechtsschutzinteresse fehle. Sie habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, ein eigenes Interesse am Vertragsschluss zu haben.
Allerdings macht das OLG einige grundsätzliche Bemerkungen zum Vergabeverfahren. Das Gericht stuft zunächst die Überlassung des Grundstücks als eine Dienstleistungskonzession ein, weil die Antragstellerin als öffentliche Auftraggeberin Dienstleistungen in Form von Freizeitmöglichkeiten für ihre Bürger und Besucher beschaffe. Die Verwaltung und Instandhaltung der Anlagen erfolge durch den Betreiber, der in erheblichem Umfang das Betriebsrisiko trage.
Auch unterhalb der EU Schwellenwerte (bei Dienstleistungskonzessionen z.Z. 5.548.000 Mio. Euro) und selbst unterhalb einer sog. Binnenmarktrelevanz1 erfordere der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG, derartige Verträge in einem transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahren zu vergeben. Bei Verstößen hiergegen stehe dem betroffenen Bieter oder Bewerber der Zivilrechtsweg offen, um im Wege einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940 ZPO ein Zuschlagsverbot erwirken zu können. Sei, wie im Streitfall, der Zuschlag bereits erteilt, könne Primärrechtsschutz allerdings nicht mehr erreicht werden. Anderes gelte nur, wenn der geschlossene Vertrag unwirksam oder nichtig sei. Zunächst lehnt das OLG eine Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit des Vertrages wegen eines Verstoßes gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV bzw. gegen § 138 BGB wegen kollusiven Zusammenwirkens der Stadt mit dem Förderverein ab. Unschädlich sei auch, dass der Vertrag noch unter einer aufschiebenden Bedingung stehe; der Vertrag sei wirksam, solange nicht feststehe, dass die Bedingung nicht mehr eintreten könne.
Dann kommt das Gericht zu des Pudels Kern: Eine Vertragsnichtigkeit könnte sich daraus ergeben, dass die Stadt die Antragstellerin weder über den beabsichtigten Vertragsschluss informiert noch im Anschluss hieran eine angemessene Wartefrist eingehalten habe. Aus Sicht des Gerichts sprechen gewichtige Gründe dafür, auch im unterschwelligen Bereich die Einhaltung einer Informations- und Wartepflicht durch den öffentlichen Auftraggeber zu fordern. Dies folge aus den gemeinsamen Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die einen effektiven und vollständigen Schutz gegen Willkür des öffentlichen Auftraggebers verlangten. Auch die nationale Spruchpraxis kenne entsprechende Informations- und Wartepflichten, wie beispielsweise bei der Beamten- und Richterbeförderung sowie etwa bei der Vergabe von Wochenmarktveranstaltungen. Führe man diese Grundsätze konsequent fort, müsste – da nur dies effektiven Rechtsschutz gewährleiste – ein unter Außerachtlassung der Informations- und Wartepflicht geschlossener Vertrag gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Gesetz als nichtig eingestuft werden.
Letztlich ließ das OLG Düsseldorf die Entscheidung in dieser Frage aber offen, da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig war.
Bewertung:
Zwar nur nebenbei im Rahmen einer Konzessionsvergabe gesagt, aber mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen für die Vergabepraxis. Flächendeckend ist im geltenden Vergaberecht eine Informations- und Wartepflicht vor Vertragsschluss lediglich im Oberschwellenbereich geregelt (§ 134 GWB). Ein Verstoß hiergegen führt dazu, dass ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam ist, wenn der Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist (§ 135 GWB). Unterhalb der EU-Schwellenwerte haben die Länder Mecklenburg-Vorpommern (§ 12 VgG M-V), Sachsen (§ 8 SächsVG), Sachsen-Anhalt (§ 19 LVG-SA) und Thüringen (§ 19 ThürVG) auch für unterschwellige Vergabeverfahren Informations- und Wartepflichten etabliert. Mit der jetzigen Entscheidung führt das OLG Düsseldorf solche Pflichten quasi durch die Hintertür ein. Dies passt zur grundsätzlichen Linie des Gerichts, einen wirksamen Rechtsschutz auch für Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte zu gewährleisten.
Die Gerichte sind sich zwar mittlerweile einig, dass ein Bieter, der im Bereich unterhalb der EU-Schwellenwerte einen Vergaberechtsverstoß durch den Auftraggeber beklagt, die Zivilgerichte im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gemäß §§ 935, 940 ZPO anrufen kann. Anhand welchen Maßstabs ein – in Vergabesachen eher unerfahrenes – Zivilgericht dann im Einzelfall eine Korrektur des gerügten Vergabeverstoßes anordnet, ist jedoch strittig. Während manche Gerichte betonen, dass Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte nur dann erfolgreich eingefordert werden kann, wenn der öffentliche Auftraggeber willkürlich entschieden und vorsätzlich gegen Vergabevorschriften verstoßen habe2, gehen andere Gerichte weiter und sehen eine generelle Verpflichtung des Auftraggebers auch unterhalb der Schwelle zur Einhaltung sämtlicher im konkreten Fall anwendbarer Vergabevorschriften3. Selbst bei diesem weiten Verständnis läuft der Rechtsschutz in der Praxis jedoch häufig ins Leere, da der Bieter von der bevorstehenden Zuschlagserteilung in der Regel nichts erfährt. Mit der Zuschlagserteilung ist sein Weg auf Primärrechtsschutz verbaut und er muss sich mit Sekundäransprüchen auf Schadensersatz begnügen. Mit einer Vorabinformation der nicht zum Zuge kommenden Interessenten steht und fällt also faktisch deren Möglichkeit, die Zuschlagserteilung an einen Konkurrenten zu verhindern. Genau hier setzt der aktuelle Beschluss des 27. Zivilsenates beim OLG Düsseldorf, dem übrigens in Personalunion der Vorsitzende Richter des Vergabesenates vorsteht, an, indem er durch die Ableitung einer Informations- und Wartepflicht aus dem ungeschriebenen Recht den Rechtsschutz auch unterhalb der Schwellenwerte „scharf schaltet“.
Nimmt man die Gewährung von Rechtsschutz ernst, so ist die Argumentation des OLG Düsseldorf trotz der zunächst etwas gewagt anmutenden Herleitung der Informations- und Wartepflicht nicht ganz von der Hand zu weisen. Obwohl es sich um ein obiter dictum im Rahmen einer Einzelfallentscheidung handelt, stehen zumindest Auftraggeber im Gerichtssprengel des OLG Düsseldorf vor der Frage, ob sie nicht proaktiv einer Informations- und Wartepflicht Rechnung tragen, um unnötige spätere Prozessrisiken zu vermeiden. Letztlich sollte sich auch der Gesetzgeber fragen, ob er einen Rechtsschutz-Flickenteppich und die damit verbundene Rechtsunsicherheit in Kauf nehmen will oder mit der – in der Vergangenheit mehrfach angekündigten - Etablierung eines ausgewogenen Nachprüfungsregimes auch unterhalb der EU-Schwellenwerte Ernst macht. Bei der Ausgestaltung eines solchen Rechtsschutzes wäre vor allem darauf zu achten, dass sich der Verwaltungsaufwand in Grenzen hält, da Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte ein Massenphänomen sind. Dies ließe sich durch Bagatellgrenzen und schlanke Verfahrensregelungen erreichen, § 19 ThürVgG könnte insoweit als Vorbild dienen. Das Bundesverfassungsgericht4 hat in seiner Grundsatzentscheidung zum Unterschwellen-Rechtsschutz zwar deutlich gemacht, dass den Gesetzgeber keine Pflicht zur Etablierung eines solchen Rechtsschutzes bzw. einer Informations- und Wartepflicht trifft, das bedeutet aber nicht, dass der Gesetzgeber nicht aktiv werden darf, wenn er entsprechenden Handlungsbedarf sieht.
Rudolf Ley
1 Siehe dazu EuGH, Urteile vom 16.4.2015, Rs. C-278/14 und vom 6.10.2016, RS. C-318/15
2 Z.B. OLG Brandenburg, Beschluss vom 2.10.2008, 12 U 91/08
3 z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.1.2010, I-27 U 1/09; sehr instruktiv LG Saarbrücken, Beschluss vom 29.6.2015, 4 O 141/15
4 BVerfG, Beschluss vom 13.6.2006, 1 BvR 1160/03
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